St-Quentin bis Cambrai
Wir liegen mit der 24 m langen «Tarahumara» in Cambrai am Canal de Saint-Quentin. «Wir», das sind das Ehepaar Susanne und Paul aus Kassel und ich, Christian. Begonnen hat die Geschichte im März 2019, als uns Paul und Susanne, die auf unsere Homepage gestossen waren, folgende Mail schrieben:
Wir schrieben ihnen diese Antwort:
«Sie fragen uns nach den laufenden Kosten eines Schiffs von rund 24 m Länge. Was den Treibstoffverbrauch betrifft, so sollten Sie sich die Logbücher des aktuellen Eigners vorlegen lassen. Moderne Dieselmotoren mit diesem Zylindervolumen verbrauchen je nach Fahrweise etwa 5 bis 7 Liter Diesel pro Stunde. Der Durchschnitts-Freizeitkapitän fährt maximal 300 Stunden pro Jahr.
Sie benötigen eine Schiffsversicherung, welche eine Hausratversicherung, eine Kaskoversicherung und eine Haftpflichtversicherung umfasst. Sie werden Offerten von verschiedenen Versicherungsgesellschaften einholen. Rechnen Sie einmal mit maximal 2’000 Euro pro Jahr.
Die weiteren laufenden Kosten hängen von Ihrem Lebensstil ab. Wenn Sie der Yachthafentyp sind, wird es bei dieser Schiffslänge teuer. In Deutschland und in den Niederlanden dürfen Sie in einem Sportboothafen mit Liegegebühren bis zu 1,80 Euro pro Meter Schiffslänge pro Nacht rechnen. Die Tarahumara ist aber mit hydraulischen Ankerwinden, grossen Tanks, einem ausserordentlich leistungsfähigen Generator und einem Beiboot ausgerüstet: Sie können sowohl in Deutschland (Havel, Mecklenburg-Vorpommern), als auch in den Niederlanden (Maasplassen, Biesbosch, ganz Friesland) wochenlang vor Anker liegen und per Beiboot zum Einkaufen fahren. Keine Liegegebühren, dafür die totale Freiheit.
Im weiteren hängen die laufenden Kosten von Ihren handwerklichen Fähigkeiten ab. Je mehr Unterhalts- und Reparaturarbeiten Sie selber erledigen können, desto günstiger fahren Sie. Rechnen Sie zudem mit einem Werftaufenthalt alle fünf Jahre zwecks Erneuerung des Antifoulings und der Anoden, welcher mit Kosten von 2’000-3’000 Euro verbunden ist. Hinzu kommt der Ersatz der Akkus, welche je nach Akkumanagement eine Lebenszeit von 5 bis 10 Jahren haben. Unsere Gel-Akkus erreichten dank aktivem Akkumanagement eine Lebensdauer von 12 Jahren.
Wir selbst haben in den 14 Jahren unseres Lebens auf dem Wasser mit einem ausgesprochen nicht asketischen Lebensstil, alle laufenden und periodischen Kosten (Lebensunerhalt, Schiffsunterhalt, Versicherungen, Hafengebühren, Treibstoff, Reparaturen etc.) mit eingerechnet, pro Monat 3’500 Euro budgetiert, die wir aber nie brauchten.»
Im Laufe der folgenden Korrespondenz schrieben uns Paul und Susanne, sie hätten die 24 m lange und 4.71 m breite «Tarahumara» gekauft, die 2001 in England auf Kiel gelegt worden sei. Sie möchten das Schiff nach Ostfriesland überführen, da sie dort einen Winterliegeplatz bekommen hätten. Sie seien noch beide berufstätig und daher an die Sommerferien gebunden. Später schrieben sie, sie hätten den Prüfungstermin für den deutschen Schein für Schiffe über 20 Meter erst nach ihren Ferien. Die Frage, die dann kam, war ziemlich logisch: «Hätten Sie Lust und Zeit, die ganze Strecke von St-Quentin bis Ostfriesland mit uns zu fahren? Wir würden uns freuen …»
Um es kurz zu machen: Nachdem wir uns über die Modalitäten meiner Begleitung einig geworden sind, fahre ich am 11. Juli mit dem TGV nach Paris und mit einem Regionalzug der SNCF, der schon so lange keine Waschanlage mehr gesehen hat, dass die Landschaft durch die völlig verschmutzten Fenster (Dreckiger sind nur noch die Zugstoiletten) im braunen Nebel versinkt, weiter nach St-Quentin, werde von Paul und Susanne am Bahnhof abgeholt und gehe an Bord der «Tahamura».
Dort wartet bereits der vormalige Eigner Paul King, der das neue Eignerpaar am folgenden Tag in die Technik der «Tarahumara» einweisen wird. Das wird sich, trotz vorbildlicher Dokumentation, als nicht ausreichend erweisen. Paul King, seines Zeichens Ingenieur, hatte sich beim Bau des Schiffs technisch richtiggehend ausgetobt und so ziemlich alles hineingepackt, was sich an Technik in einem Schiff elektrisch, hydraulisch oder mit Druckluft betreiben lässt. Glücklicherweise ist der neue Eigner ein frohes Gemüt und technisch sehr versiert. Funktioniert einmal etwas nicht, dann nimmt er die Herausforderung sportlich an.
Wir schreiben den 11. Juli und wollen bis Ende Monat in der Gegend von Ostholland sein. Das Endziel wäre eigentlich Ostfriesland, aber das ist in der vorgegebenen Zeit vermutlich illusorisch. Auf dem Wasser ist Hochsaison, weshalb man mit überfüllten Liegeplätzen (besonders für ein Schiff von 24 m Länge!) und Wartezeiten vor den Schleusen rechnen muss. Liegeplätze in Jachthäfen findet man in der Hochsaison höchstens, wenn man vor 13 Uhr aufkreuzt, aber so kommt man natürlich nicht vorwärts. Es geht ja um eine Überführung von A nach B und nicht um Ferien. Das Zwischenziel ist deshalb eine Schiffswerft in der niederländischen Provinz Overijssel.
Aus Erfahrung weiss ich, dass man im Ober- und Unterwasser von Schleusen übernachten kann, wenn man (über Funk) die Erlaubnis des Schleusenwärters einholt. Aber dann ist man nicht in einer Stadt und damit weit weg von Einkaufsmöglichkeiten. Glücklicherweise verfügt die «Tarahumara» über einen grossen Kühlschrank und einen ebenfalls grossen Tiefkühler, weshalb vor dem Auslaufen ein Grosseinkauf im riesigen Supermarkt «Auchan» angesagt ist – vier rappelvolle Einkaufstrolleys.
Am 13. Juli laufen wir aus und fahren auf dem Canal de Saint-Quentin fünf Schleusen bis nach dem einen Kilometer langen Tunnel von Lesdins. Im Gegensatz zum nachfolgenden, über 5 km langen Tunnel von Riqueval, durch den man geschleppt wird, fährt man selbst durch den Tunnel von Lesdins.
Wir sind jetzt in der sogenannten Scheitelhaltung des Canal de Saint-Quentin, sozusagen der Wasserscheide zwischen Seine und Schelde. Zuerst kommt aber noch der erwähnte Tunnel von Riqueval, in den Karten auch «Souterrain de Bellicourt» genannt. Durch diesen Tunnel wird man von einem elektrischen Zugfahrzeug geschleppt. Pro Tag werden zwei Konvois von bis zu 20 Frachtschiffen sowie Freizeitbooten zusammengestellt, je einer am Morgen und am Abend. Dafür muss man sich 48 Stunden zuvor telefonisch anmelden. Am nächsten Tag ist aber französischer Nationalfeiertag, Quatorze Juillet, da werden weder die Schleusen noch der Schlepper bedient. Damit wir am Tag darnach um 07:30 Uhr einen Schlepp haben, schleusen wir bereits am 13. Juli zur Scheitelhaltung hinauf und legen uns nach dem Tunnel von Lesdins an einen kleinen Quai. Wir wollen noch nicht bis zum Quai d’attente, dem Wartequai vor dem Riqueval-Tunnel fahren, weil dieser letzte Kanalabschnitt vor dem Tunnel zwischen hohen Mauern liegt und deshalb ziemlich düster daherkommt. Die letzten paar Kilometer zwischen Lesdins und dem Tunneleingang hat es keine Schleusen mehr, wir sind ja in der Scheitelhaltung. Am Abend des 14. Juli verholen wir deshalb an den Quai d‘attente.
Am nächsten Morgen, pünktlich um 07:30 Uhr, kommt die Bedienungsmannschaft des Zugfahrzeuges, französisch «Toueur», und hängt die «Tarahumara» – sie ist an diesem Morgen das einzige Schiff – an ein etwa 20 m langes Tau. Der Toueur ist ein technischer Dinosaurier, gebaut 1924. Den Strom bezieht er von einer Oberleitung und mit dem Elektromotor hangelt er sich an einer Kette, die auf dem Boden der gesamten, über fünf Kilometer langen Strecke liegt, durch den Tunnel. Grössere Schiffe von der Art der «Tarahumara» mit ihren langen, geraden Seitenwänden haben mit dem Geschlepptwerden keine Probleme, weil sie einfach mit leicht eingeschlagenem Ruder der dicken Holzleiste auf der Seite des Treidelpfades entlang schleifen. Die bei Yachten üblichen Ballonfender wären hier völlig ungeeignet. Mit einer Yacht möchte ich das offen gestanden nicht machen.
Das Ganze dauert rund anderthalb Stunden und kostet 22 Euro, wobei die Rechnung an die Heimatadresse der Schiffseigner geschickt wird.
Auf der anderen Seite des Tunnels wird die «Tarahumara» losgeworfen und wir steigen durch 17 Schleusen nach Cambrai an der kanalisierten Schelde ab. Die Schleusen sind automatisiert, man steuert sie mit einer Fernbedienung, der „télécommande“, die man an der ersten Schleuse des Canal de Saint-Quentin erhält und an der letzten wieder abgibt. Der Sportboothafen von Cambrai ist erwartungsgemäss belegt und wir legen die «Tarahumara» reichlich improvisiert am Aussenquai hin.
Meine noch ziemlich unerfahrene Crew hat in zwei Fahrtagen 22 Schleusen im Freycinet-Mass (38.5 x 5.10 m) und zwei Tunnels bewältigt und dabei beeindruckende Fortschritte erzielt. Die «Tarahumara» ist 4.71 m breit. Rechnet man noch die Fender resp. Reibhölzer hinzu, bleibt beim Einfahren in eine dieser Schleusen links und rechts nicht sehr viel Raum. Ist das Schiff mit den Schleusenwänden nicht völlig in einer Linie, dann rumpelt es unweigerlich. Paul und Susanne haben schnell begriffen, dass man so früh wie möglich in gerader Fahrt und langsam – laangsaam! – auf die Schleuse zuhalten muss und zwar so, dass man die linke und die rechte Schleusenwand in der genau gleichen Persepktive sieht.
In den kommenden Tagen werden wir auf der kanalisierten Schelde zur «richtigen» Schelde fahren. Nach Mortagne du Nord werden wir in Belgien sein. Mein Plan ist es, auf der Schelde an Péronnes vorbei einen kurzen Abstecher nach Antoing zu machen, dort beim Bunkerschiff «Captain Neptunia» Diesel zu bunkern, nach Péronnes zurück und dann auf dem Canal Péronnes-Nimy-Blaton-Ath via Schiffslift von Stépy-Thieu nach Namur zu fahren, dort in die Maas einzubiegen und dann auf der Maas zu Tal bis in die Niederlande zu fahren. Das gibt schon noch ein paar Berichte her …
Susanne und Paul, welch ein Abenteuer, aber gut geplant und wohldurchdacht. Träume werden wahr. Lebt sie aus, solange es geht.Wir wünschen: seeehhhr lange!!!
Christa und Klaus
Hallo Susanne-schlichtweg beeindruckend-wünsche euch sehr viel Freude mit der Tarahumara und immer die Handbreit Wasser unter dem Kiel. LG Gunter