Und so hat das Eignerpaar der «Tarahumara» die Reise von Saint-Quentin nach Hasselt erlebt
«Alles fing ganz harmlos an …»
Mit diesen Worten begann Christian Huber zum Abschied seinen Eintrag in unser Gästebuch.
Wir, Paul und Susanne Bliese aus dem Raum Kassel, hatten schon eine ganze Weile darüber nachgedacht, wie wir unseren Ruhestand ab 2021 gestalten wollten. Noch einmal ein Studium? Ein Ehrenamt übernehmen? Haus und Garten umgestalten? Lesen, reisen, Golf spielen? Alles für sich schöne Tätigkeiten, wir aber suchten etwas anderes. Wir wollten noch einmal etwas ganz Neues. Reisen, aber mit unserem Zuhause. Das große Haus verkaufen, in dem es sich 23 Jahre wunderbar gelebt hat, das mit zunehmendem Alter aber immer mehr zu einer Last zu werden drohte, mit einem großen Garten noch dazu. Ein Wohnmobil war unsere Sache nicht. So kristallisierte sich sehr bald der Wunsch heraus, ein Schiff zu kaufen. Das lag nahe, haben wir uns doch immer schon gern auf dem Wasser, am Wasser, unter Wasser aufgehalten. Sind gesegelt, haben Motorboote gechartert und waren 20 Jahre lang Sporttaucher. Ein Leben auf dem Wasser sollte es also werden. So wurden wir bei unserer Internetrecherche auf die Seite www.kinette.ch aufmerksam und nahmen Kontakt zu Christian Huber auf. Wir hatten viele Fragen bezüglich des Kaufs eines Schiffes, die Christian uns allesamt ausführlich beantworten konnte. Ein erster Besichtigungstermin eines alten zu Wohnzwecken umgebauten Kahns in Briare/Frankreich verlief eher enttäuschend. Uns wurde klar, dass wir erheblich mehr Geld ausgeben mussten, wollten wir ein Schiff mit einem hohen Maß an Komfort und Technik, das unseren Vorstellungen entsprach und sich ganzjährig bewohnen ließ. So stießen wir auf das Angebot des holländischen Maklers Jitse Doeve. Die «Tarahumara» lag im Port Arsenal mitten in Paris. Ein guter Grund, einmal wieder diese wunderschöne Stadt zu besuchen. Es wurde ein Wochenendtrip geplant, und Anfang April war klar, dass wir gefunden hatten, was wir suchten.
Der Voreigner Paul King, ein Brite, wollte das Schiff Ende Mai nach Saint-Quentin bringen, wo wir es in den Sommerferien übernehmen konnten.
Von dort sollte es ab Juli nach Ostfriesland überführt werden, da wir einen Ganzjahresliegeplatz in Weener bekommen hatten. Nun stellte sich jedoch heraus, dass wir die noch nötige Prüfung für den Sportschifferschein erst Anfang August ablegen konnten. Also suchten wir einen Schiffsführer. Warum nicht mal Christian Huber fragen? Er war sofort einverstanden, was uns natürlich außerordentlich freute. Wir waren sicher, dass wir keinen besseren Mann für unser Vorhaben finden konnten. Und so war es dann auch. Die Frage, ob wir mit jemandem, mit dem wir lediglich Mailkontakt hatten, mehrere Wochen auf engem Raum verbringen konnten, erübrigte sich sofort. Christian erwies sich als offen, kultiviert, an vielen Themen interessiert und höchst sachkundig, was die Binnenschifffahrt anging, sowieso.
Am 13. Juli legten wir in Saint-Quentin ab. Von Anfang an machte Christian deutlich, dass er zwar der Schiffsführer bei diesem Törn sei, wir jedoch die Tarahumara fahren würden.
Für Paul, der gleich aus dem engen Liegeplatz fahren musste, war das der Sprung ins kalte Wasser. Diese Vorgehensweise erwies sich jedoch als goldrichtig, lernte er so doch am besten den Umgang mit dem Schiff. Schon nach kurzer Zeit ging es durch Tunnel und enge Schleusen. Hatten wir bis dahin lediglich Erfahrung mit kleineren gecharterten Kunststoffbooten, so zeigte es sich sehr schnell, dass das Fahren unserer 24 m langen 80-Tonnen-Lady doch eine ganz andere Sache war. Hinzu kam die umfangreiche Technik des Schiffes. Paul King hatte als Ingenieur das Schiff bauen lassen und viele technische Besonderheiten eingeplant, an deren Bedienung wir uns erst allmählich gewöhnen werden. Dafür wird es immer noch Zeit brauchen. Dank Christians Unterstützung lernten wir täglich dazu, und die anfängliche Anspannung und Nervosität wich mehr und mehr der Freude am Fahren.
Das Schleusen und andere Manöver wurden bald Routine. Wunderbare Naturerlebnisse und -beobachtungen am Ufer und einzigartige Stimmungen vor allem am frühen Morgen begeisterten uns: Fischreiher, Kormorane, Haubentaucher und viele andere Wasservögel hielten sich hier auf. Wir fuhren durch herrliche Flusslandschaften und wunderschöne Städte.
Als wir uns schließlich von Christian verabschieden mussten, hatten wir das Gefühl, dass die gemeinsame Zeit «betreuten Fahrens» viel zu schnell vorbei gegangen war. Wir haben durch ihn intensive Wochen erlebt und sind vertraut mit der Fortbewegung auf dem Wasser geworden. Dafür sind wir ihm sehr dankbar. Paul King nannte es eine «steep learning curve», und das trifft es gut. Der Gedankenaustausch beim Abendessen ging zudem weit über das Fahren auf Binnengewässern hinaus. Interessante Gespräche mit einem Mann, der viel Lebenserfahrung und Interesse für das Weltgeschehen mitbrachte, machten die abendliche Mahlzeit stets zu einem schönen Ausklang des Tages.
Bedauerlich ist, dass wir auf unserem Überführungstörn zu wenig Zeit hatten, um die Orte, durch die wir fuhren, näher zu erkunden. Das jedoch lag nun mal in der Natur der Sache. In zwei Jahren wird das anders sein. Dann spielt Zeit für uns keine Rolle mehr. Was für ein Luxus!
Wir freuen uns auf unser neues Leben!
* Das ist eine Anspielung auf die berühmte und in der Folge immer wieder abgewandelte Karikatur, welche 1890 bei Otto von Bismarcks Rücktritt in der englischen Satirezeitschrift «The Punch» veröffentlicht wurde.
Spannend, spannend.
Herzlichen Glückwunsch zu eurer ‚Jungfernfahrt‘