Montargis – Briare – Digoin – Roanne
(Canal de Briare, Canal latéral à la Loire, Canal de Roanne à Digoin)
In Montargis geben sich unsere Gäste sozusagen die Klinke in die Hand. Während Kurt und Gerry, erschöpft vom Schiffsputz, die Heimreise in die Schweiz antreten, kommt eine Familie für eine Woche an Bord, mit der wir seit über dreissig Jahren befreundet sind.
Kleine philosophische Zwischenbemerkung: Der Begriff «Freunde» hat durch Facebook eine völlige Abwertung erfahren. Dort hat man jede Menge «Freunde», die einem nicht einmal einen Fünfziger für die Parkuhr leihen würden.
Die wirklichen Freunde, mit denen man auch Sorgen und Probleme teilt, kann man in der Regel an einer Hand, im Glücksfall an zwei Händen abzählen. Umso kostbarer sind solche Freundschaften. Ende der philosophischen Zwischenbemerkung.
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Von Montargis fahren wir auf dem Canal de Briare bis Briare. Dieser Kanal verbindet das Seine- mit dem Loirebecken.
Zur Wasserscheide hinauf schleust man von der Seine aus in insgesamt 41 Schleusen. In dem unter Henri IV begonnenen Kanal sieht man noch heute die Spuren der Vergangenheit.
In der Nähe der Schleuse 21 «Moulin Brûlé» sind noch die Reste einer 1610 erbauten Treppe von vier aufeinanderfolgenden Schleusen zu erkennen, die unaufhaltsam von der Natur rückerobert werden.
Die grösste Höhe überwindet die Schleusentreppe von Rogny-les-sept-écluses. Die ursprüngliche Schleusentreppe, bestehend aus einer Schleuse mit sieben Kammern, wurde Ende des 19. Jahrhunderts durch sechs einzelne Schleusen ersetzt, mit welchen man 24.7 Meter hinauf- oder hinunterschleust.
Die Scheitelstrecke des Canal de Briare führt durch ein weites Gebiet von Hochmooren und Étangs. Hierher verirren sich nur Gänse, Fischer und Schwäne. Christian ist der festen Überzeugung, dies sei einer der schönsten Liegeplätze Frankreichs. Ob das so ist, lassen wir dahingestellt. Idyllisch und ruhig ist er jedenfalls.
Vom Étang de la Gazonne aus schleust man durch acht Schleusen nach dem 28.5 Meter tiefer liegenden Briare hinunter.
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In Briare überquert man in einem 662 Meter langen genieteten Eisentrog (erbaut 1896) die Loire.
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Von nun an befinden wir uns auf dem Canal latéral à la Loire, also dem Seitenkanal der Loire. Er weist auf einer Länge von 196 Kilometern 36 Schleusen auf und endet bei Digoin, wo er mit dem Canal du Centre und dem Canal de Roanne à Digoin zusammentrifft.
Die kleinen Kanäle in Frankreich, welche von der Berufsschifffahrt nur noch selten benützt werden, sind natürlich in der behördlichen Prioritätenliste weit hinten. Umso mehr freut es uns, wenn wir sehen, dass – wie hier – schadhafte Ufer repariert werden.
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Angenehm überrascht sind wir vom Service und der Zuverlässigkeit der Schleusenwärter. Jetzt, in der Nachsaison, muss ein Schleusenwärter oft mehrere Schleusen bedienen. Dennoch klappt es immer, wenn wir am Abend auf den nächsten oder übernächsten Tag eine Schleuse bestellen.
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Und wenn wir schon beim Blumenverteilen sind, winden wir auch der Gemeinde Sury-près-Léré ein Kränzchen. Im kleinen Dorf gibt es keinerlei Einkaufsmöglichkeiten. Sozialer Treffpunkt ist die Bar des Restaurants «Chez Fred», in welchem man nicht nur sehr gut und sehr günstig essen und trinken, sondern auch Brot für den nächsten Tag bestellen kann. Dennoch hat die Gemeinde eine gepflegte Anlegestelle eingerichtet, versehen mit Strom- und Wasseranschlüssen. Die ersten zwei Nächte sind gratis, hernach wird es kostenpflichtig. Böse Zungen bezeichnen dies als «Holländerklausel», herrührend von der Erfahrung, dass holländische Böötler wochenlang an jenen Orten liegen bleiben, wo es nichts kostet. Irgendwie verständlich, wenn man weiss, dass in Holland ein Euro pro Meter Schiffslänge als Liegegeld durchaus üblich ist, selbst wenn weder Elektrisch noch Wasser angeboten werden.
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Weinbaumässig gesehen befinden wir uns im Weissweingebiet des Sancerre und Pouilly-Fumé. Selbstverständlich drücken wir uns nicht vor der schweren Aufgabe, einige Flaschen zu degustieren.
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In Beaulon treffen wir auf Schiffskollegen, die ebenfalls auf der Fahrt ins Winterquartier nach Roanne sind: Joseph und Madeleine mit «Wietske», Nicco und Janne mit «Eliane» sowie Peter und Jane mit «Tokoloshe».
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Das Wetter ist jetzt, Mitte Oktober, immer noch trocken. Langsam beginnen sich die Wälder zu verfärben. Dem warmen Altweibersommer folgt ein sehr stimmungsvoller Herbst.
Zum Herbst gehören Morgennebel und davon gibt es im Loiretal reichlich. Auch wenn man Nebel auf dem Wasser sowenig schätzt wie auf der Strasse: Was wäre ein Herbst ohne Morgennebel? Hauptsache, er löst sich irgendwann auf, sodass man sieht, wohin man fährt… Der unbestreitbare Vorteil gegenüber dem Verkehr auf dem Strasse ist übrigens, dass man immer weiss, ob ein Schiff entgegenkommt oder nicht. Darüber kann man sich nämlich jeweils bei den Schleusenwärtern erkundigen. Die wissen genau, was sich zwischen zwei Schleusen bewegt.
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Die Blätter beginnen sich zu verfärben, die Abende werden immer kürzer.
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Am späten Nachmittag des 15. Oktober biegen wir in den Canal de Roanne à Digoin ein. Der Schleusenwärter der Schleuse «Les Bretons» erwartet uns bereits, die Schleusentore stehen offen und drei Schleusen später legen wir in La Croix Rouge hinter der «Wietske» von Joseph und Madeleine an.
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Die nächste Schleuse ist elf Kilometer entfernt, wir haben sie auf halb elf Uhr bestellt. Da wir in diesem relativ untiefen und nicht sehr breiten Kanal nicht schneller als mit etwa sieben bis acht Stundenkilometern fahren können, müssen wir um neun Uhr morgens auslaufen – trotz Nebel.
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Unterwegs haben wir eine deprimierende Begegnung. Mitten im Nirgendwo liegt die «Gégène». Wir hatten sie letztmals im Mai 2007 in Digoin gesehen, als sie zum Verkauf stand (siehe Bericht Nr. 28). Ihr Eigner, ein ehemaliger Berufsschiffer, hatte sie immer gepützelt und gepflegt. Jetzt taucht «Gégène» im Morgennebel auf.
Aber in welch erbärmlichen Zustand befindet sich dieses einstmals so gepflegte Schiff!
Offensichtlich ist ihr neuer Eigner nicht in der Lage, das Schiff zu unterhalten. Ein Jammer!
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Unser nächster Halt ist Melay, ein kleines Dörfchen unweit der Loire. Hier wohnen unsere Lions-Freunde Jean-Luc und Claudine, die schon kurz nach unserem Einlaufen am Quai stehen und uns zum Nachtessen einladen. Es ist wie ein Heimkommen und wie sich noch Michael und Anne, ein weiteres Lions-Paar, zur fröhlichen Tafelrunde gesellt, hebt das Erzählen erst recht an.
Am nächsten Morgen nimmt uns Jean-Luc auf seinen Morgenmarsch mit, mit dem er den Tag beginnt.
Wir haben drei Winterhalbjahre – unterbrochen durch längere Aufenthalte in der Schweiz – in diesem Gebiet verbracht. Aber jedes Mal, wenn wir in der Schweiz sind, scheint uns die Schweiz enger, besiedelter und im immer dichteren Verkehr erstickend. Anstelle langer Erklärungen, warum wir hier das Gefühl haben, frei atmen zu können, fügen wir einige Bilder ein.
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Am frühen Nachmittag des 17. Oktober 2011 werden wir durch die Schleuse Nr. 1 Roanne geschleust und laufen in den Hafen von Roanne ein. Wir lassen das dumpfe Schiffshorn ertönen und bald stehen alte Bekannte am Quai und nehmen uns die Taue ab. Dann beginnt das grosse Wiedersehen.
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Am 7. März 2011 sind wir aus unserem Winterhafen in Amsterdam ausgelaufen und am 17. Oktober 2011 laufen wir in unseren diesjährigen Winterhafen ein. Siebeneinhalb Monate Fahrt durch die Niederlande, Belgien und Frankreich ohne Unfall, Pannen und Zwischenfälle. Im Logbuch sind 1632 Kilometer Fahrstrecke eingetragen, 169 Schleusen, 160 Dreh- und Hebebrücken, zwei Schiffslifte, vier Schiffshebewerke und zwei Tunnels. Hinter diesen nüchternen Zahlen verbergen sich grossartige Erlebnisse, bleibende Eindrücke und unvergessliche Bilder.
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Aus dem Logbuch
- Montargis. Anlegemöglichkeit am Quai vor dem Commissariat de Police (Port Renée de France) und oberhalb der Schleuse 33 «la Marolle». Wasser und Elektrisch. Kostenpflichtig. Alle Einkaufsmöglichkeiten. Vom Bahnhof aus direkte Zugverbindung nach Paris.
- Sury-près-Léré. Kleiner, neu erstellter Halte fluviale. Elektrisch und Wasser. Die ersten zwei Nächte sind gratis, nachher kostenpflichtig. 100 m von der Anlegestelle entfernt befindet sich das Restaurant «Chez Fred». Nicht verpassen! Sehr gepflegt, sehr freundlicher Service, beeindruckende Weinkarte, sehr günstige Preise. Keine Lebensmittelgeschäfte, (sehr gutes) Brot kann man bei Fred auf den nächsten Tag bestellen.
- Cours-les-Barres. Kleiner Halte fluviale. Elektrisch und Wasser. Gratis. Restaurant. Bäcker.
- Beaulon. Kleiner Hafen in einer Ausbuchtung. Elektrisch und Wasser gratis. Ein Kilometer vom Dorf Beaulon entfernt. Dort guter Bäcker, guter Metzger, kleiner Proximarché, Apotheke, Pizzeria. Dorfmuseum.
- La Croix Rouge. Kleiner Halte fluviale mit Pollern bei PK 49. Teilweise untief. Toilette, Wasser, aber kein Elektrisch. Gratis. Keine Einkaufsmöglichkeiten, aber sehr ruhig.
- Melay. Längerer Quai mit Pollern. Toiletten. Wasser und Elektrisch (zwei Steckdosen in einem Kasten an einem etwa 60 Meter entfernten Laternenpfahl). Bäcker, Metzger, kleiner Supermarkt im Dorf. Sehenswürdigkeit: In der Nähe ist die «Stèle Jean Moulin», welche an den berühmtesten französischen Widerstandskämpfer erinnert. Er wurde hier zusammen mit zwei Kampfgefährten im April 1943 von einem britischen Flugzeug abgesetzt.