Paris – Melun – Saint-Mammès – Montargis
(Seine, Canal du Loing, 141.3 Kilometer; 27 Schleusen)
Wir sind in unserem letzten Bericht in Paris angekommen, stellen hier fest, dass wir gut im Zeitplan liegen (sofern wir überhaupt nach Zeitplan fahren) und beschliessen spontan, einen ganzen Monat im Port Arsenal nahe der Bastille zu bleiben. Gewöhnlich sind Liegeplätze im Arsenal für unsere Schiffsgrösse horrend teuer – knapp achtzig Euro pro Tag –, aber der Capitaine du port offeriert uns für den September eine attraktive Nachsaisons-Monatspauschale. Die Aussicht, einen ganzen Monat mitten in Paris zu wohnen ist so bestechend, dass wir nach kurzem Blick in die Bordkasse zusagen.
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Auf einem grösseren französischen Markt fühlt man sich dem Schlaraffenland ziemlich nahe. Die Märkte in Paris sind das Schlaraffenland, zumindest was die Fülle, die Qualität und den Preis der angebotenen Lebensmittel betrifft.
Natürlich bekäme jeder schweizerische Lebensmittelinspektor beim Anblick der Fisch- und Fleischauslagen sofort Zustände – keine Glaswand zwischen Ware und Konsument. Aber seltsamerweise haben die Franzosen eine überdurchschnittlich hohe Lebenserwartung und darüber hinaus schlägt sich die Abwesenheit überflüssiger Regelungen und Vorschriften auch im Warenpreis nieder. Ein Kilo fangfrischer Lachs sieben Euro, ein Kilo erstklassiges Rindsfilet dreissig Euro – undsoweiter undsofort.
Die Redensart «Leben wie Gott in Frankreich» hat offensichtlich ihre Berechtigung. Bei einem kurzen Abstecher in die Schweiz anfangs September stellen wir jedenfalls fest, dass wir uns unsere französischen Trink- und Essgewohnheiten in der Schweiz angesichts der exorbitanten Preise kaum mehr leisten können. Das Leben in Zürich ist, wer hätte das jemals gedacht, mittlerweile deutlich teurer als in Paris. Nur noch zur Abrundung: Wir waren in Paris im Kino («Midnight in Paris» natürlich, von Woody Allen). Wir haben für das Kinoticket Euro 5.50 bezahlt. Dafür erhält man in einem Zürcher Kino gerade mal einen Kartonbecher Popcorn. Irgendwie ist es ja rührend, wie schamlos sich der gutmütige schweizerische Konsument abzocken lässt.
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Aber lassen wir das und kehren wir zu dem zurück, was Sie als Besucher unserer Homepage mehr interessiert: Die Schifffahrt. Nach einem ausgedehnten Markteinkauf laufen wir an einem Sonntagmittag gegen Ende September aus dem Port Arsenal aus und nehmen Kurs seineaufwärts.
Mit an Bord sind Kurt, ein Neffe von Charlotte, sowie Gerry, ein Bekannter. Beides sind gestandene Familienväter, die uns eine Woche begleiten werden.
Die erste Nacht verbringen wir nach 40 Kilometer Fahrt stromaufwärts im Oberwasser der Seine-Schleuse 7 in Coudray.
Das tönt nicht sehr idyllisch, ist es aber. Nur so als Geheimtipp, allerdings nicht für Jachten: Der Abstand zwischen den Pollern beträgt dreissig Meter und Häringe einzuschlagen wäre angesichts der vorbeirauschen Grossschifffahrt nicht sehr ratsam.
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In Melun erwartet uns eine freudige Überraschung. Seit unserem letzten Halt am Quai hat die Stadtverwaltung zwei solide Säulen mit Stromanschlüssen und Wasserzapfstellen eingerichtet. Die zwölf Euro, die ein Gemeindearbeiter abends bei uns einzieht, betrachten wir unter diesen Umständen als durchaus angemessen.
Der älteste, schon in gallischer Zeit besiedelte Teil von Melun liegt auf einer Insel in der Seine. Jedenfalls zitiert Julius Caesar in «de bello gallico» den Bericht eines gewissen Leutnant Labienius, in welchem von einer gallischen Befestigung an dieser Stelle die Rede ist.
Heute befindet sich auf dieser Insel, unweit oberhalb unseres Liegeplatzes ein Gefängnis – ein Zuchthaus der alten Schule mit hohen Mauern, Gittern und Wachttürmen. Sicher kein Beispiel für modernen Strafvollzug, aber ebenso sicher kein ISO-zertifiziertes Fünfsterne-Wohlfühl-Etablissement wie in… – ach lassen wir das.
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Nachzutragen bleibt, dass die Seine hier, oberhalb Paris, so klar und sauber ist, dass sie angesichts der sommerlichen Temperaturen Ende September unwiderstehlich zu einem Abendschwumm einlädt.
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Auf der Seine zwischen Paris und Saint-Mammès ist sehr viel Berufsverkehr und wir fahren am besten, wenn wir uns bereits etwa zwei Kilometer vor einer Schleuse über Funk anmelden. Das erspart uns zwar nicht immer Wartezeiten, aber die Schleusenwärter teilen uns jeweils mit, ob die Schleuse bei unserem Eintreffen bereit ist oder ob wir es gemütlich nehmen können, weil sie gerade am Schleusen sind.
Sagt man «Seine» und «Berufsverkehr“, so denkt man unwillkürlich an ein dichtes Verkehrsgewühl. Aber sobald man Paris verlassen hat, ist die Seine ein breiter Fluss, der träge zwischen bewaldeten Ufern fliesst. Auf den rund neunzig Kilometern zwischen Paris und Saint-Mammès fährt man meistens die längste Zeit allein und hört nur das Rauschen der Bugwelle.
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Bei Saint-Mammès biegt man über Steuerbord in den Canal du Loing ein und befindet sich schlagartig in einer anderen Welt.
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Praktisch während unserer gesamten diesjährigen Reise, welche uns von Nordholland nach Paris und dann seineaufwärts nach Saint-Mammès führte, tummelten sich auf dem Display unseres AIS (Erklärung im Bericht Nr. 74) die ebenfalls mit einem AIS ausgerüsteten Schiffe und herrschte reger Funkverkehr.
Auf unserem weiteren Weg nach Roanne befahren wir nämlich vier Kanäle, deren Schleusen alle das sogenannte Freycinet-Mass aufweisen, also rund 39 Meter Länge und 5.10 Meter Breite. Die maximale Grösse der hier verkehrenden Schiffe ist damit vorgegeben. Sie können bis zu 365 Tonnen Fracht aufnehmen, vorausgesetzt, die Kanäle sind genügend tief ausgebaggert. Das ist je länger, je weniger der Fall, weshalb der Wassertransport immer weniger rentiert, und der Güterverkehr auf die Strasse verlagert wird.
Es ist deshalb eine geradezu freudige Überraschung, wie bereits auf dem ersten Kilometer des Canal du Loing die «Necta» auftaucht, zuerst auf dem Display des AIS und dann im Morgendunst. Aber das war es denn auch, auf der weiteren Reise nach Montargis bleibt das Display leer und der Funk still.
Nur noch wenige Berufsschiffe laden Getreide in Nemours und Montargis. Der Kanal wird hauptsächlich noch von der Freizeitschifffahrt benützt.
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Der September verwöhnt uns mit sommerlicher Wärme und wir nehmen es gemütlich bis zu unserem Etappenziel Montargis, wo uns Kurt und Gerry verlassen werden.
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In Montargis erwartet uns eine weitere freudige Überraschung. Am Quai vor dem Commissariat de Police, an welchem meistens Hotelschiffe festmachen, ist nicht nur ein Liegeplatz frei, sondern die Stadtverwaltung hat neu auch Wasser- und Stromanschlüsse installiert.
Bevor Kurt und Gerry von Bord gehen, helfen sie tatkräftig beim Schiffsputz mit. Der Regen ist nicht nur sauer, er ist auch ziemlich dreckig und das schlägt sich auf dem Deck nieder. Aber nach einigen Stunden Arbeit glänzt Kinette wie neu und uns bleibt nur noch, Kurt und Gerry schweren Herzens zu verabschieden.
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Aus dem Logbuch
- Paris. Liegeplätze in Port Arsenal und im Bassin de la Villette. Aufgepasst, wenn Sie mit einem Mietboot unterwegs sind: Auf der Seine ist Empfangsbereitschaft auf Funkkanal 10 obligatorisch. Im übrigen müssen wir Paris nicht erklären.
- Melun. Liegeplätze am Seine-Quai (Port de la Reine Blanche). Wasser und Elektrisch. Kostenpflichtig. Wochenmarkt am Mittwoch- und Samstagmorgen. Gute Einkaufsmöglichkeiten
- Moret sur Loing. Halte fluviale im Flüsschen Loing direkt unterhalb der Schleuse Moret 19. Wasser und Elektrisch. WiFi. Capitainerie mit Dusche und Toilette. Kostenpflichtig. Markt am Dienstagmorgen. Hervorragende, gepflegte und preisgünstige Metzgerei (Christophe et Nathalie Même, 8 rue Grande)
- Cépoy. Anlegemöglichkeit unterhalb Schleuse Cépoy 1 vor Jugendherberge. Elektrisch und Wasser. Gratis. Kleiner Supermarkt. Bäcker und Metzger.
- Montargis. Anlegemöglichkeit am Quai vor dem Commissariat de Police (Port Renée de France) und oberhalb der Schleuse la Marolle 33. Wasser und Elektrisch. Kostenpflichtig. Alle Einkaufsmöglichkeiten. Vom Bahnhof aus direkte Zugverbindung nach Paris.