Bericht 64, April 2010

Gorinchem – Biesbosch – Geldermalsen – Vianen – Zwolle – Leeuwarden

(Merwedekanal, Linge, Lek, Gelderse IJssel, Friesische Gewässer; 444.41 km, 11 Schleusen, 35 Hebebrücken)

Meerkerk – Leeuwarden

Meerkerk – Leeuwarden

Wir haben im letzten Bericht geschildert, dass wir den geplanten Abstecher nach Gouda streichen mussten und direkt nach Gorinchem fuhren, weil Christian für drei Wochen ein Mandat in der Schweiz übernahm. In diesen drei Wochen bleibt Charlotte auf dem Schiff und erfüllt sich einen lang gehegten Wunsch: Eine neue, hausfrauengerechte Küche.

Die alte Küche wird abgebrochen

Die alte Küche wird abgebrochen

Nach einem längeren Evaluationsverfahren, bei welchem natürlich die Hausfrau das letzte Wort hatte (die Versuchung ist gross, anzufügen: wie immer), haben wir uns für das schwedische Möbelhaus entschieden. Aus einem einfachen Grund: Wir fahren ja zwischen den Niederlanden, Belgien und Frankreich hin und her. In diesen Ländern ist auch das schwedische Möbelhaus sozusagen omnipräsent und so finden wir überall Ersatzteile, sollte das nötig werden.

Die neue Küche

Die neue Küche

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Eingeweiht wird die neue Küche nach Christians Rückkehr aus der Schweiz während einer Fahrt auf der Linge. Die Linge ist ein idyllisches Flüsschen im grünen Herz der Niederlande, der Betuwe. Das bekannteste Städtchen an der Linge ist Leerdam, erstens wegen des Leerdammer-Käses und zweitens wegen seiner Glasbläsereien.

Die Linge – wie wenn man auf dem Greifensee fahren würde

Die Linge – wie wenn man auf dem Greifensee fahren würde

Normalerweise ist auf diesem Flüsschen ziemlich Betrieb. Aber jetzt, im April, haben wir die Linge ganz für uns. Sie ist befahrbar bis nach Geldermalsen.

Asperen an der Linge

Asperen an der Linge

Wir fahren die Linge soweit hoch, wie wir können und kehren dann um, weil die Liegeplätze in Geldermalsen allesamt von überwinternden Jachten belegt sind. Also fahren wir zurück bis nach Asperen. Dort finden wir einen ruhigen Liegeplatz, wenn auch ohne Strom oder Wasser. Der einzige, der das Idyll stört, ist ein Gemeindeangestellter, der 15 Euro einzieht. Daran haben wir uns erst gewöhnen müssen, dass in den Niederlanden auch dann Liegegeld eingezogen wird, wenn keine Einrichtungen vorhanden sind. Falls es doch Wasser und Strom hat, muss man das erst noch separat bezahlen.

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Nach der erfolgreichen Einweihung der neuen Küche folgt bereits die nächste Première: Wir fahren in den Biesbosch, um erstmals mit unserem neuen Ankergerät vor Anker zu gehen. Der Biesbosch, wir haben das in Bericht 56 ausführlich beschrieben, ist ein atemberaubendes Naturschutzgebiet – ein Labyrinth von Schilf, mit Weiden bestandenen Inselchen, offenen Wasserflächen und verschlungenen Wasserpfaden. Viele Wassersportler meiden ihn wegen seiner Untiefen. Auf der Suche nach einem geeigneten Ankerplatz laufen wir trotz Echolot ebenfalls auf, können uns aber wieder frei fahren. Bei kräftigem Wind finden wir einen Ankerplatz im Lee einer kleinen Insel. Charlotte dreht das Schiff in den Wind, bringt es zum Stillstand und während es ganz langsam rückwärts zu treiben beginnt, lässt Christian die Ankerkette ausrauschen.

Im Biesbosch vor Anker

Im Biesbosch vor Anker

Wir machen eine Peilung, indem wir eine virtuelle Linie vom Schiff zu zwei hintereinander liegenden Baumgruppen legen. Nach einer halben Stunde kontrollieren wir die Peilung: Das Schiff ist trotz des kräftigen Windes immer noch am gleichen Ort, der Anker hält fest. Die Abendsonne und die Vulkanasche sorgen für einen atemberaubenden Sonnenuntergang. Obwohl es unsere erste Nacht im offenen Wasser vor Anker ist, schlafen wir wie die Murmeltiere, während der Wind ums Schiff pfeift und uns die Wellen sanft wiegen.

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Nach dieser Nacht im Biesbosch fahren wir zurück nach Meerkerk, wo wir unsere Freunde Andy und Silvia Bruppacher an Bord nehmen. Sie werden eine Woche mit uns fahren.

Mit den Bruppachers auf dem Rhein westwärts

Mit den Bruppachers auf dem Rhein westwärts

Unser Sommerziel sind die Provinzen Friesland und Groningen und der Weg dorthin führt über den Rhein und ab Arnhem die Gelderse IJssel. Der Rhein hat in den Niederlanden verschiedene Arme mit unterschiedlichen Namen: Lek, Waal, Merwede, Niederrhein. Wir selbst fahren auf dem Lek und dem Niederrhein stromaufwärts Richtung Arnhem.

Hochwassermarken in Wijk bij Duurstede

Hochwassermarken in Wijk bij Duurstede

In Arnhem biegen wir mit einer Spitzkehre in die Gelderse IJssel ein, welche stromabwärts Richtung IJsselmeer führt. Diese Spitzkehre um den sogenannten IJsselkopf ist nicht ohne. Erstens herrscht hier starker Berufsverkehr und zweitens liegen wir während des Wendemanövers quer zur Strömung.

Der IJsselkopf

Der IJsselkopf

Man tut gut daran, weit auszuholen, damit man frei vom IJsselkopf bleibt und in die Gelderse IJssel hineinsieht. Die Strömung beträgt an diesem Tag rund 4 km/h.

Viel Verkehr am IJsselkopf

Viel Verkehr am IJsselkopf

Die Gelderse IJssel beschreibt viele, zum Teil recht unübersichtliche Kurven. Die stromaufwärts fahrenden Schiffe fahren dort, wo sie am wenigsten Gegenströmung haben, also in der Innenkurve. Das bedeutet, dass sie laufend die «Strassenseite» wechseln. Das zeigen sie mit dem «blauwe bord», also der blauen Tafel und einem Blinklicht in dessen Mitte an.

«Linksverkehr» wird mit dem «blauwe bord» angezeigt

«Linksverkehr» wird mit dem «blauwe bord» angezeigt

Das entgegenkommende Schiff zeigt ebenfalls, die blaue Tafel (bei Schiffen über 20 m Länge gehört sie zur vorgeschriebenen Ausrüstung) und weicht deutlich nach links aus. Insbesondere vor unübersichtlichen und engen Kurven gibt man mit Vorteil seine Position und Fahrtrichtung an. Der Funkspruch auf Kanal 10 – das ist die Schiff-Schiff-Verbindung – ist ganz kurz: «919. Kinette in der Abfahrt». «919» ist der Flusskilometer, die Tafeln stehen am linken Ufer. Die Antwort kann dann lauten: «920. River Queen in der Auffahrt. Steuerbord». Das bedeutet, dass «River Queen» – ein Hotelschiff – einen Flusskilometer entfernt ist, stromaufwärts fährt und im Linksverkehr kreuzen will.

Kreuzen mit einem Hotelschiff im Linksverkehr

Kreuzen mit einem Hotelschiff im Linksverkehr

Wir sind hier in der Provinz Gelderland, der grössten niederländischen Provinz. Schon im Mittelalter war dies dank der Handelsschifffahrt eine wohlhabende Gegend. Drei Städte im Gelderland sind ehemalige Hansestädte, nämlich Doesburg, Hattem und Zutphen. Die Hanse war im 14./15. Jahrhundert ein Handelsbündnis norddeutscher Kaufleute, ein Vorläufer der europäischen Wirtschaftsunion sozusagen.

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In der Innenstadt von Zwolle

In der Innenstadt von Zwolle

Zwolle in der Provinz Overijssel ist ebenfalls eine ehemalige Hansestadt und der Reichtum ist noch heute sichtbar.

Eine neue Eisenbahnbrücke entsteht

Eine neue Eisenbahnbrücke entsteht

Die Eisenbahnbrücke über die Gelderse IJssel bei Zwolle wird neu und höher gebaut. Die bisherige musste für grössere Schiffe gehoben werden, bei der neuen Brücke wird dies nicht mehr nötig sein.

In einem dreitägigen Manöver wird das Mittelstück auf Pontons herangefahren und hochgehisst werden. Der Fluss wird dann für die Schifffahrt gesperrt sein. Wir haben Glück, die Operation «Mittelstück» wird erst in einigen Tagen beginnen.

Hausverzierung in Zwolle

Hausverzierung in Zwolle

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In Fahrraddistanz von Zwolle, nämlich rund 20 Kilometer, liegt Raalte. Das Dorf wäre keiner Erwähnung wert, würde es nicht das «Amerikaanse Motorfiets Museum Holland» beherbergen, also das amerikanische Motorradmuseum. Das Museum ist einen Besuch wert. Rund 140 Maschinen aus den Jahren 1910 bis 1983 sind ausgestellt. Nicht nur Harley Davidsons, sondern auch Maschinen der Marken Indian, Henderson, Thor, Excelsior, Reading Standard usw.

Motorradmuseum bei Zwolle

Motorradmuseum bei Zwolle

Motorradmuseum bei Zwolle

Motorradmuseum bei Zwolle

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Von Zwolle fahren wir weiter nördlich in die Provinz Friesland. Dass wir uns im Wassersportparadies der Niederlande befinden, merken wir sehr schnell. Ein dichtes Netz von Kanälen, Seen und Flüsschen durchzieht die topfebene Landschaft. Zahllose Jachthäfen, Bootsvermietungen und Liegeplätze lassen erahnen, was hier in der Hochsaison abgeht.

Friesische Wasserlandschaft

Friesische Wasserlandschaft

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Christian hat vor vielen Jahren zusammen mit Freunden in Friesland gesegelt, aber auf eigenem Kiel befahren wir das Revier das erste Mal. Was uns auffällt, sind die unzähligen Liegeplätze in freier Natur.

Ein Marrekrite-Liegeplatz

Ein Marrekrite-Liegeplatz

Zwar ohne Einrichtungen wie Strom und Wasser, aber dafür – was für die Niederlande nicht selbstverständlich ist – gratis. Sie werden von der Organisation «Marrekrite» eingerichtet und unterhalten. «Marrekrite» ist ein Zusammenschluss von 21 friesischen Gemeinden und der Provinz Friesland und besteht schon seit 1957.

Beschilderung eines Marrekrite-Liegeplatzes

Beschilderung eines Marrekrite-Liegeplatzes

Der Marrekrite-Wimpel

Der Marrekrite-Wimpel

Eine Randnotiz: Der politisch Verantwortliche für das Languedoc-Roussillon und damit für den Canal du Midi, ein gewisser Georges Frêche, hat öffentlich erklärt, der Canal du Midi, eines der populärsten Reviere für Mietboote, interessiere ihn nicht. Deshalb sind alle Investitionen blockiert. Derweil werden hier in Friesland allerorten Liegeplätze gebaut, samt Wasser- und Stromzapfstationen, bezahlbar mit Chipkarte – zur Förderung des einträglichen Bootstourismus. Man muss ja nicht immer alles verstehen…

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In Leeuwarden erleben wir den Koninginnedag. Der 30. April ist eigentlich der Geburtstag der verstorbenen Königin Juliana, aber weil am Geburtstag von Königin Beatrix, im Januar, kein Festwetter zu herrschen pflegt, legte sie beim Thronwechsel 1980 fest, der Tag der Königin werde – als Nationalfeiertag – weiterhin am 30. April gefeiert.

Zum Tag der Königin gehört traditionell ein gigantischer Flohmarkt

Zum Tag der Königin gehört traditionell ein gigantischer Flohmarkt

Was ein rechter Niederländer ist, trägt am Tag der Königin ein Kleidungsstück oder ein Accessoire in orange, der Farbe des Königshauses.

Orange muss es sein!

Orange muss es sein!

Orange muss es sein!

Orange muss es sein!

Orange muss es sein!

Orange muss es sein!

Man könnte den «Tag der Königin» auch «Tag der Bierbrauer» oder «Heineken Day» nennen. An vielen Orten artet das fröhliche und farbenfrohe Fest in ein Massenbesäufnis aus. Wie der römische Historiker Tacitus bereits vor rund 2000 Jahren festgestellt hat, sind die Friesen besonders trinkfreudig.

Halber Niederländer

Halber Niederländer

Ganzer Niederländer

Ganzer Niederländer

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Aus dem Logbuch

  • Wijk bij Duurstede. Historischer Hafen und zwei Jachthäfen in einem toten Arm des Niederrheins. Abendverkauf am Freitag. Wochenmarkt am Mittwochmorgen. Sehenswürdigkeiten: Museum Dorestad und Kasteel Duurstede.
  • Zutphen. Zwei Jachthäfen mit allen Einrichtungen. Abendverkauf am Freitag. Wochenmarkt am Donnerstagmorgen und am Samstag. Sehenswürdigkeiten: Städtisches Museum Zutphen, Museum Henriëtte Polak, Grafisches Museum.
  • Zwolle. Liegeplätze an der Thorbeckegracht. Wasser und Elektrisch. Abendverkauf am Donnerstag. Wochenmarkt am Freitagmorgen und am Samstag. Sehenswürdigkeiten: Städtisches Museum, Ölwindmühle und St.-Michaëlskirche.
  • Leeuwarden. Zahlreiche Liegeplätze längs der Durchfahrtroute nach Dokkum in Leeuwarden, ausgebaut im April/Mai 2010. Wasser und Elektrisch mittels Chipkarte. Sehenswürdigkeiten: Princessehof, Fries Museum, Verzetsmuseum (Geschichte des friesischen Widerstandes im WK II).

Ein Gedanke zu „Bericht 64, April 2010

  1. Sehr geehrte Familie Huber

    Ich kann einfach nicht anders, als Ihnen zu sagen: Ihre Seite und die vielen Reise- und Erfahrungsberichte sind toll. Ich bin übrigens darauf gekommen, weil ich ein Interview über Ihren Auftrag in Graubünden mit dem Hinweis auf Ihren Winter-Liegeplatz in Gorinchem las und dann googelte.

    Meine Frau und ich sind selbst begeisterte Fluss- und Kanalschifffahrer – allerdings bisher nur mit Mietbooten in den Niederlanden und Frankreich.

    Ich wünsche Ihnen weiterhin gute Fahrt und freue mich auf Ihre nächsten Berichte. Wer weiss, vielleicht sehe ich die Kinette ja im Juli/Aug. in den Niederlanden (zwei Wochen Ferien in Katwijk aan Zee).

    Herzliche Grüsse
    Thomas Soliva

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