Brügge – Gent – Antwerpen – Gorinchem
(Genter Ringfahrt und Genter Kanäle, Zeeschelde, Hafen Antwerpen, Schelde-Rijnverbinding, Volkerak, Hollandsch Diep, Amer, Biesbosch, Mark und Dintel, Boven Merwede; 317.85 km, 9 Schleusen)
Die vier Fahrstunden von Brügge nach Gent bringen wir ohne nennenswerte Ereignisse hinter uns. Wir fahren hinter einem Frachtschiff her, in dessen Kielwasser für uns alle Engstellen freigehalten und die Brücken geöffnet werden.
Die grosse Schifffahrt umfährt Gent in einer Ringfahrt. Wir aber wollen nahe ans Zentrum, wohin uns unser Navigationsprogramm «PC Navigo» zuverlässig führt.
Gent weist mehrere Jachthäfen auf. Wir entscheiden uns für den im Jahre 2005 neu gestalteten Portus Ganda, den wir nach einer spannenden Fahrt durch eine Schleuse, niedrige Brücken und ziemlich verwinkelte Stadtkanäle erreichen.
Portus Ganda ist eigentlich ein Jachthafen, aber an einem Quai hat es Anlegemöglichkeiten für längere Schiffe samt Strom und Wasser. Die nächtliche Aussicht von hier aus ist ausgesprochen malerisch. Einmal mehr wohnen wir an bevorzugter Lage.
Wir haben im letzten Bericht das Ansinnen von Brügge erwähnt, als Venedig des Nordens zu gelten und dazu bemerkt, dieser Titel gebühre Amsterdam. Gäbe es den etwas bescheideneren Titel «Venedig Flanderns», so würde er bestimmt nicht Brügge, sondern Gent zustehen.
Gent entstand im 7. Jahrhundert um – wie könnte es anders sein – zwei Abteien herum. Die Altstadt mit ihren kleinen, engen Gassen liegt zwischen den beiden Flüssen Leie und Schelde. 1827 wurde mit dem Kanal Gent-Terneuzen ein Seekanal fertig gebaut, welcher Gent den Anschluss zum Meer ermöglichte. 1968 wurde in Terneuzen eine neue Seeschleuse in Betrieb genommen und seitdem laufen Schiffe mit bis zu 60’000 Tonnen Transportkapazität in den Industrie- und Handelshafen von Gent ein. Davon merkt man allerdings im historischen Zentrum nichts.
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Wir selbst werden aber nicht Richtung Terneuzen fahren, sondern unser nächstes Ziel ist Antwerpen. Dazu müssen wir nach telefonischer Voranmeldung die kleine Brusselsepoort-Schleuse in Gent passieren. Der Schleusenwärter weist uns darauf hin, dass zwischen dem Portus Ganda und seiner Schleuse die Lousbergsbrug mit nur 3.40 m Höhe liege. Wie hoch wir denn seien? Wenn wir Antennenbügel und Blaue Flagge abbauen, ist Kinette 3.18 m hoch, sodass wir dieser Brücke unbesorgt entgegen blicken.
Wie wir dann die Lousbergsbrug passieren, scheinen uns diese 3.40 Meter ziemlich grosszügig gemessen und am Ende haben wir noch ganze zwei Zentimeter Freiraum zwischen dem Suchscheinwerfer – dem höchsten Punkt des Steuerhauses – und der Brücke. Letztere ist demzufolge nur 3.20 m hoch (oder tief…). Gerade noch mal gut gegangen…
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Auf der Seeschelde von Gent nach Antwerpen sind es 80 km, ohne Hebebrücken und ohne Schleusen dazwischen. Aber die Seeschelde ist ein Gezeitenwasser. Bei Flut ist der Wasserstand in Antwerpen fünf Meter höher als bei Ebbe, in Gent zwei Meter. Man plant seine Fahrt mit Vorteil so, dass man mit dem ablaufenden Wasser und nicht gegen den Strom unterwegs ist, denn die Strömung erreicht bis zu 8 Stundenkilometer.
Jetzt heisst es rechnen: Die Flut erreicht Gent vier Stunden nach Antwerpen. Wenn wir zwei Stunden vor Hochwasser in Gent die Gezeitenschleuse passieren können, haben wir am Anfang eine schwache Gegenströmung, dann auf dem Hauptteil der Fahrtstrecke eine starke Strömung in unserer Fahrtrichtung, und am Schluss in Antwerpen nach Niedrigwasser eine sehr schwache Gegenströmung. Anhand der Gezeitentabelle errechnen wir, dass wir um sechs Uhr früh in Gent schleusen müssen.
Unsere Berechnungen sind offensichtlich nicht völlig abwegig, denn auch einige Frachtschiffe machen mit uns zusammen am Abend vor der Schleuse fest, um am nächsten Morgen mit der ersten Schleusung auslaufen zu können.
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Um fünf Uhr früh ist Tagwache. Ein kurzes Frühstück und dann werden hinter uns, neben uns und vor uns Schiffsdiesel angeworfen. Der Schleusenwärter weist uns auf Funk an, hinter dem Frachtschiff «Credo», das neben uns die Nacht verbracht hat, in die Schleuse einzulaufen.
Die Schleuse ist sehr gross, aber sie wird bis auf den letzten Platz gefüllt. Kurz vor sieben Uhr wird das riesige Tor der Schleuse emporgezogen und die Fahrt talwärts kann beginnen.
Zu Beginn haben wir tatsächlich noch schwache Gegenströmung, aber dann kentert die Flut und die Fahrt wird immer schneller.
Man muss den Fluss und die Strömung gut lesen, um nicht in einer engen Kurve auf der «Innenbahn» auf eine Sandbank aufzufahren oder auf der «Aussenbahn» ans Ufer gedrückt zu werden. Hier kommt uns – das tönt etwas skurril, trifft aber zu – unsere jahrelange Kanu-Erfahrung zugute und wir bleiben auf der Ideallinie. Gottseidank ist die Funkdisziplin der Berufsfahrt (und unsere selbstverständlich auch!) vorbildlich. Laufend werden Position und Fahrtrichtung durchgegeben, sodass man sich nicht plötzlich in einer der engen Kurven einem Bergfahrer gegenüber sieht.
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Wir legen die etwas über 80 Kilometer von Gent nach Antwerpen dank der Strömung in rund fünf Stunden zurück, passieren die Royers-Schleuse sowie die Siberiabrug und die Londenbrug (zwei Hebebrücken) und laufen dann ins Willemdock ein, einen der drei Antwerpener Jachthäfen.
Rund um uns sind chromblitzende Millionärsjachten, einige wenige sind schiffig, die meisten sind einfach protzige Statussymbole. Uns kümmert das allerdings nicht, denn wir liegen hier gut und erkunden eine Woche lang die Umgebung von Antwerpen mit dem Velo.
Rund ums Willemdock liegen ehemalige Lagerhäuser, sogenannte «Entrepot-Docks», wie zum Beispiel das Felix-Lagerhaus, das Königliche Zwischenlager und das Godfried-Lagerhaus. In diese prachtvollen alten Lagerhäuser wurden in den letzten Jahren luxuriöse Lofts eingebaut. Hier entsteht auch das hypermoderne «Museum am Strom» (MAS), das 2010 eröffnet werden soll. Beabsichtigt ist, darin die Sammlungen dreier Museen, darunter diejenige des Schifffahrtsmuseums, unterzubringen.
In dem neben dem Willemdock gelegenen Dock soll ein Museumsdock mit alten Schiffen entstehen. Bereits liegen hier drei alte Schlepp- und Frachtschiffe, die besichtigt werden können.
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Im Morgengrauen des 12. August laufen wir aus dem Willemdock aus und die Stimmung im Hafen von Antwerpen ist unvergesslich. Anstatt vieler Worte lassen wir einfach Bilder sprechen.
Unser Ziel ist der Hafen von Drimmelen in den Niederlanden. Das sind nicht weniger als rund 100 Kilometer mit zwei stark frequentierten Grossschleusen – der Kreekrak- und der Volkerakschleuse –, teilweise über offenes Wasser und am Schluss eine von der Berufsschifffahrt stark befahrene Wasserstrasse, die Amer. Wir haben noch nie eine derartige Strecke in einem einzigen Tag zurückgelegt und dieser Fahrplanung sind einige, nennen wir sie «konstruktive Diskussionen» zwischen Kapitän (Christian) und I. Offizier (Charlotte) vorangegangen. Die Fahrt über das offene Wasser des Volkerak und des Hollandsch Diep hätten wir gerne auch fotografisch dokumentiert, aber es giesst dermassen aus Kübeln, dass wir vollauf mit navigatorischen Aufgaben ausgelastet sind.
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Jedenfalls erreichen wir nach exakt acht Fahrstunden Drimmelen, was für hundert Kilometer (inklusive zwei Grossschleusen) nicht schlecht ist. Eigentlich wäre ja der Biesbosch unser Ziel gewesen, aber in Drimmelen haben wir einen sicheren Platz und alle Annehmlichkeiten eines (teuren) Jachthafens, und die weiss man nach hundert Kilometern Fahrt durchaus zu schätzen.
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Aber am nächsten Tag zieht es uns unwiderstehlich in den Biesbosch. Was heute auf der Karte mit seinen unzähligen Wasseradern wie ein riesiges Labyrinth aussieht, war im Mittelalter einer der grössten und fruchtbarsten Polder der Niederlande.
Aber in der Nacht vom 18. auf den 19. November 1421 brach eine verheerende Sturmflut über das Gebiet herein. Innert weniger Stunden war «Land unter», alle Dörfer und Befestigungen waren mit Mann und Maus verschwunden. Dort, wo vorher Menschen und Tiere gelebt hatten, war in einer einzigen Nacht ein riesiger Binnensee entstanden. Im Laufe der Jahrzehnet und Jahrhunderte transportierten die grossen Flüsse immer mehr Schlamm und Sand, bis allmählich diese seltsame Landschaft aus Schilf, Weiden und einem Labyrinth von Wasserarmen entstand. Dieses Naturreservat beherbergt mittlerweile zahllose Tier- und Pflanzenarten.
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Wir haben uns gerade gemütlich im Biesbosch eingerichtet, wie uns ein Telefon von Madeleine und Joseph Niederberger erreicht. Sie hatten uns seinerzeit in Roanne besucht, um sich von uns beim Wechsel vom Land- zum Wasserleben beraten zu lassen. Mittlerweile sind sie stolze Besitzer der «Wietske», eines in Holland als Tjalk bekannten Schiffstyps.
Die Niederbergers sind nur gerade drei Fahrstunden von unserem Liegeplatz im Biesbosch entfernt und diesen Abstecher nehmen wir kurzentschlossen in Angriff, zumal wir dieses Fahrgebiet von Mark und Dintel überhaupt nicht kennen.
Immerhin werden wir mit einer spektakulären Abendstimmung verwöhnt, die uns leidlich über das schmerzhaft hohe Hafengeld hinwegtröstet.
Aber es wird ein gemütlicher Abend mit den Niederbergers, welche die Gelegenheit benützen, uns noch einmal nach Strich und Faden auszuquetschen. Christian seinerseits benützt die Gelegenheit, um die Niederbergers für die nächste Ausgabe des «Schleusenschiffer» zu interviewen.
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Nach zwei Tagen verabschieden wir uns und steuern unser diesjähriges Ziel an, nämlich Gorinchem. Hier werden wir Kinette aus dem Wasser nehmen, um das Unterwasserschiff zu behandeln, hier wollen wir Kinette nach dem neuen europäischen Regelwerk für Grossschiffe (Kinette gilt, weil länger als 20 Meter, als Grossschiff) zertifizieren lassen und hier werden wir auch den Winter verbringen.
Aus dem Logbuch
- Gent Portus Ganda. Neuer, grosser Jachthafen in der Nähe des Zentrums von Gent. Erreichbar über Visserijvaart und Voorhoutkaai. Fingerpontons für Jachten und Quailiegeplätze für grössere Schiffe. Wasser und Elektrisch (16 Amp). Kostenpflichtig. Alle Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe.
- Antwerpen. Jachthaven Willemdok. Grosser, moderner Jachthafen mit allen Einrichtungen inkl. WiFi. Kostenpflichtig. Alle Einkaufsmöglichkeiten (inkl. Gut assortiertes Rotlichtviertel) in Fussdistanz.
- Drimmelen. Grosser, moderner Jachthafen mit allen Einrichtungen inkl. WiFi. Kostenpflichtig. Einkaufsmöglichkeiten im 4 km entfernten Made.
- Biesbosch. Naturschutzgebiet. Viele Liege- und Ankerplätze. Weder Wasser noch Elektrisch. Keine Einkaufsmöglichkeiten.
- Hoeven. Jachthafen t’ lamgat. Wasser und Elektrisch (nur 6 Ampère). Kostenpflichtig. Einkaufsmöglichkeiten in 10 min Velodistanz in Zevenbergen.
- Gorinchem. Passantenhaven Lingehaven. Fingerpontons für Jachten und Quailiegeplätze für grössere Schiffe. Wasser und Elektrisch (16 Amp). Kostenpflichtig. Alle Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Brückenhöhe beachten!
Danke für diese sehr informativen berichte, sehr viele tips danke und vieleicht sehen wir mal die kinette