Roanne – Montchanin – Roanne
(Canal de Roanne à Digoin, Canal du Centre; 240 km, 76 Schleusen)
Die wohlgenährten Enten im Hafenbecken schwimmen mit ihren Jungen, kleinen Flaumknäueln, umher, auf den Weiden machen staksige Fohlen die ersten Gehversuche und die amerikanischen Ehepaare im Hafen kommen aus ihrem Winterurlaub in den USA zurück, die Frauen frisch geliftet, die Gesichter noch leicht verschwollen – kein Zweifel, es ist Frühling. Höchste Zeit also für «La Loire en fête» in der Capitainerie von Roanne.
Die Hafengemeinschaft veranstaltet für die Einwohner von Roanne ein Fest mit einem internationalen Buffet, einer Tonbildschau zum Leben auf dem Wasser und einem nautischen Flohmarkt. Charlottes Beitrag zum Buffet sind Erdbeertörtchen mit einem Schweizerkreuz aus gschwungener Nidle (für unsere deutschen Leser: Schlagrahm), die denn auch im Nu weg sind.
Die Veranstaltung gibt uns aber auch Gelegenheit, mit den lokalen Behördenvertretern unsere Anliegen zu besprechen. Sowohl der Unterhalt des Kanals als auch die Ausstattung des Hafens sind sehr verbesserungsfähig. Aber die Mühlen der französischen Bürokratie mahlen noch langsamer als anderswo…
***
In diese Zeit fällt ein Telefonanruf eines Freundes aus unserem Schweizer Wohnort. Er ist – bereits zum zweiten Mal – mit dem Fahrrad unterwegs nach Santiago de Compostela. Urs Horat fragt uns, ob wir immer noch in Roanne seien? Wir sind, und so übernachtet der müde Pilger in unserer Gästekajüte.
***
Und dann endlich, am 23. Mai, ist es soweit: Wir laufen aus! Begleitet vom Tuten der Schiffshörner, dem üblichen Roanner Ritual beim Auslaufen oder bei der Rückkehr eines Überwinterers, fahren wir in die Schleuse ein.
Wir haben im Sinn, mit Erich, einem Neffen von Charlotte und seiner Frau Paula, den Canal de Roanne à Digoin hinunter und dann den Canal du Centre bis zur Wasserscheide hinauf zu fahren. Dort wollen wir wenden und, mit den nächsten Verwandten als Gästen, nach Roanne zurück fahren.
Christian will nämlich unbedingt am 13./14. Juni wieder in Roanne sein, weil dann der hiesige Lion’s Club sein fünfzigjähriges Jubiläum feiert. Hätten wir allerdings gewusst, was auf uns zukommt, wären wir wohl gar nicht ausgelaufen…
***
Unsere erste Reise beginnt vielversprechend. Erich und Paula sitzen – wenn auch angesichts der kühlen Witterung gut verpackt – auf dem Vorderdeck und geniessen die Einsamkeit der Landschaft.
«Le canal tranquille» wird der Canal de Roanne à Digoin genannt. Als Schweizer befahren wir ihn immer mit einem gewissen Nationalstolz, wurde er doch seinerzeit mit schweizerischem Kapital gebaut. Aus Dankbarkeit hat die Stadt Roanne sogar einen Platz «Carrefour Helvétique» getauft.
***
In Digoin, dort, wo eine Kanalbrücke über die Loire führt, legen wir an und besuchen, was wir schon lange im Sinn hatten, das Keramik-Museum. In einem an sich schon sehenswerten alten Gebäude ist eine prachtvolle Sammlung von über tausend Fayencen untergebracht. In Digoin wurde schon in der Römerzeit Ton gebrannt, weil hier grosse Lehmvorkommen liegen und der Brennstoff, nämlich Kohle, auch nicht weit entfernt gefördert wurde.
Unsere nächste Station ist Paray-le-Monial, wo uns die Bordküche mit Gschwellten (Pellkartoffeln) und einer opulenten Käseplatte beglückt. Am Tisch mit uns sitzen unsere langjährigen Bekannten Béatrice und Ernst Tobler aus Pfäffikon ZH, die hier mit ihrem Wohnmobil Station machen.
***
In Roanne sind mehrere Schiffe etwa zur gleichen Zeit zu ihrer Sommerreise ausgelaufen. Und so kommt es, dass wir in Paray-le-Monial, am Beginn des Canal du Centre, zu dritt einträchtig hintereinander liegen: Zuvorderst die kleine «Butskop» von Henri und Geneviève (welche Wert darauf legen, dass sie in erster Linie Savoyarden und erst dann Franzosen sind!), dann wir mit «Kinette» und hinter uns Alain und Fathi mit der behäbigen «L“Alfanaka».
***
Das Wetter lassen wir unerwähnt. Wir strafen es mit Verachtung. Wir reden uns ein, dass es gar kein schlechtes Wetter gibt, nur schlechte Ausrüstung. Aber beim Blick aus dem Steuerhaus könnte man wirklich in tiefste Depressionen verfallen: Ein ländlicher Dauerregen hat es sich gemütlich eingerichtet…
Was bleibt uns anderes übrig, als die verregneten Abende mit Spielen zu verbringen? Und da wir fürs Leben gerne spielen, ist der Regen gar nicht so schlimm. Jedenfalls bringen wir unseren Gästen «Mexican Train» bei, welches mit einem aus 91 Steinen bestehenden Domino-Set (der höchste Stein ist die Doppelzwölf) gespielt wird.
Mit unseren amerikanischen und australischen Nachbarn haben wir im Winter einmal zu sechst an einem Sonntag von Nachmittags um 16 Uhr bis morgens um 2 Uhr Mexican Train gespielt und hatten es einfach nur lustig. Und für alle, die sich um unsere Finanzen sorgen: Nein, es geht nicht um Geld, nur der Spass und die Unterhaltung und die witzigen Sprüche zählen.
***
Wir haben jetzt mit Fayence-Museum und Mexican-Train lange genug um den heissen Brei herum geredet, aber es führt kein Weg daran vorbei, dass wir auch von Pleiten, Pech und Pannen erzählen. Leben auf dem Schiff bedeutet ja nicht einfach sun, fun and nothing to do.
Kennen Sie Murphy’s Law? Es gibt ja ganze Sammlungen von Murphy-Weisheiten, aber die ursprüngliche Erkenntnis von Murphy war sinngemäss diese: Wenn die Möglichkeit besteht, dass etwas schief geht, so geht es schief und zwar im ungünstigsten Augenblick und mit der grössten Schadensfolge. Auf einem Schiff könnte – rein theoretisch natürlich – eine unter Druck stehende Heisswasserleitung leck werden. Gemäss Murphys Gesetz müsste das mitten in der Nacht passieren und – ebenso rein theoretisch weitergedacht – das heisse Wasser müsste an einem schwer zugänglichen Ort herausspritzen, es müssten sich dort elektrische Schaltungen befinden und es würde dann – wir befinden uns Gottseidank immer noch im hypothetischen Bereich – einen Kurzschluss verursachen. Beinahe Hyper-Murphy wäre es, wenn noch Gäste am Quai stünden, um erwartungsfroh ein paar Tage mit zu fahren.
Der Schritt von der Theorie zur Praxis erfolgt auf unserem Schiff in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai im idyllischen Hafenbecken von Génélard am Canal du Centre.
Ein Heisswassserschlauch löste sich vom Heizkessel… Warum sollen wir das weiter schildern? Sie ahnen ja die Fortsetzung und Sie liegen mit Ihrer Ahnung sogar richtig. Genau so hat es sich abgespielt und hätten wir nicht im Winter aus einem einzigen 220-Volt-Stromkreis deren sechs gemacht und diese einzeln abgesichert, so wären wir wohl noch lange im Dunkeln gesessen. Die Gäste, nämlich Charlottes Schwester und deren Mann, verbrachten die Nacht im Hotel. Immerhin hatten sie insofern Glück, als es ihnen nicht so erging, wie es Freunden von uns im Hotel «Südstadt» in Wilhelmshaven erging. Sie mussten unerwartet in einem Hotel übernachten, hatten deshalb keine Zahnbürsten dabei und erkundigten sich am Hotelempfang, ob sie wohl eine Zahnbürste kriegen könnten. Die Antwort war kurz und zackig: «Wer keine eigene Zahnbürste hat, muss bei uns gar nicht übernachten wollen!»
***
Unsere nächste Szene spielt in Montchanin, dem höchsten Punkt des Canal du Centre, wo sich die Schiffswerft von Jeff Renel befindet.
Jeff lässt alles stehen und liegen und flickt den Heisswasserschlauch behelfsmässig, nachdem wir ein paar Tage nur noch kalt geduscht hatten und unser kanadischer Schiffsnachbar Foster bringt, nachdem wir wenige Tage später wieder in Roanne eingelaufen waren, auch die kurzgeschlossene Heizung wieder zum Laufen. Ende gut, alles gut?
***
Zwei Lehren haben wir aus dieser Panne gezogen: Erstens, dass die Kernkompetenzen einer Schiffswerft die Stahlarbeiten mit Schweissgerät und Trennscheibe und allenfalls das Anbringen der Unterwasserfarbe sind. Wir waren vor zwei Jahren eigentlich ganz froh, als uns unsere holländische Werft auch die Heizung mit Warmwasserversorgung einbaute, die entsprechenden Leitungen legte und die Heizung ans Bordnetz anschloss. Heute wissen wir, dass man für Elektrik und Sanitär die entsprechenden Fachleute beiziehen muss. Sie hätten uns gesagt, dass man nie – NIE – einen Kunststoffschlauch direkt an den Boiler anschliesst, sondern (mindestens!) den ersten Meter als Kupferrohr führt. Und sie hätten von Anfang an für alle Stromverbraucher getrennte und einzeln abgesicherte Stromkreise gelegt. Jedenfalls ist für Unterhaltung im nächsten Winter gesorgt: Wir werden das gesamte Heisswassersystem in Kupferrohren verlegen.
Die zweite Lehre ist der Umgang mit Pannen. Wenn mitten in der Nacht plötzlich der Strom ausfällt und Heisswasser herumspritzt, so würde man in diesem ganz speziellen und denkwürdigen Moment das Schiff dem Erstbesten für einen Euro verkaufen. Nur ein paar Tage später lehnt man locker und entspannt an der Reling und erzählt den staunenden Neulingen, die soeben ein Schiff gekauft haben, wie man mitten in der Nacht souverän mit einer üblen Heisswasser-Panne fertig wurde und sonnt sich in der Bewunderung, die einem alten Seebären gebührt. Man möchte nur ein bisschen von dieser Gelassenheit hinüberretten zum nächsten Moment, da Murphy wieder zuschlägt!