Lübeck, Timmendorfer Strand, Wismar
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Mail an Martin Eberhard:
Ihr habt doch auch Bromptöner? Wir wollten gestern zum Griechen mit dem Velo, aber mein Brompton hatte einen Platten am Hinterrad. Habe ich heute morgen mal auseinandergenommen, Schlauch gewechselt und wieder zusammengebaut. Musst Du jetzt noch einmal geniesserisch lesen: «Habe ich heute morgen mal auseinandergenommen, Schlauch gewechselt und wieder zusammengebaut». Hast Du auch schon mal, Martin? Dann darfst Du Dich Dr. Velo nennen. So ein Gnifel und Gschrübel (Zollmuttern!) bringen nur die Engländer zwäg!
Übrigens zum Thema «norddeutscher Sommer»: Der Wetterbericht ist seit Wochen – copy and paste – derselbe: «Wolken, abwechselnd mit Sonne, örtlich Schauer und Gewitter, kühl». Wir gewöhnen uns nur schwer daran.
Antwort von Martin Eberhard:
Den Titel als Dr. mech. bromp. hast du verdient, weil: Ich hatte nämlich in Groningen einen platten Reifen am Brompton. Und welcher wars wohl? Jenau, der hintere! Ich also voller Mumm auf der Terrasse alles schön bereitgelegt und natürlich so, dass sich Thesi dann nach getaner Arbeit wegen Wagenschmiere auf der Holzterrasse nicht grämen muss. Und dann hocke ich also vor dieser unsäglichen Hinterradnabe und klar, «nehmen wir erst mal die eine Mutter weg!» Nur, englisches Werkzeug, merke ich jetzt, habe ich nicht dabei Damit war für mich klar, das ist was für die Brompton-Vertretung in Groningen. Die schauen sich das an und zerlegen das Ding relativ zügig, ersetzen den Schlauch, das heisst, sie flicken den alten erst mal, schliesslich ist man in Holland sparsam. Nur, beim Aufpumpen platzt der Flick wieder auf und ich mache dann vorsichtig die Anregung, man müsste wohl einen neuen montieren. Meinen Ersatzschlauch wollte ich so noch nicht opfern. Gesagt, getan. Jetzt gehts ans Zusammensetzen und dann ist auch der Velomech am Anschlag. Er holt sich aus dem Lager ein neues Brompton und stellt es als Vorlage neben meines.
Du darfst dir also echt was einbilden auf deinen mechanischen Spürsinn!
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Die Hansestadt Lübeck gilt als eine der schönsten norddeutschen Städte. Zahlreiche Reise-, Städte- und Kunstführer befassen sich kompetent und ausführlich mit Lübeck. Wir tragen deshalb auch hier keine Eulen nach Athen und begnügen uns mit einigen persönlichen Eindrücken.
Lübeck verfügt über zwei Yachthäfen: Denjenigen des Lübecker Motorboot-Clubs an der Kanaltrave km 2.65 und die neue Hansa Marina vor den Media Docks im Hansahafen. Schiffe mit Baujahr vor 1965 können im Museumshafen liegen, hinter der historischen Drehbrücke. Diese muss einen Tag zum voraus bestellt werden, weshalb wir uns an die Kade vor den historischen Schuppen 6 im Hansahafen legen, zusammen mit anderen Traditionsschiffen. Im Holsteinhafen, dem eigentlichen Museumshafen ist es, so ergibt ein Augenschein, wegen Bauarbeiten und verschiedener Veranstaltungen sehr laut. Mit Zustimmung des Hafenmeisters bleiben wir deshalb vor dem Schuppen 6 liegen. Wir haben für Lübeck rund einen Monat eingeplant und brauchen deshalb Strom und Wasser. Stromzapfsäulen sind vorhanden, Wasser nicht. Das Wasser werden wir uns irgendwie organisieren müssen*.
Der Fluss Trave fliesst durch Lübeck, als Kanaltrave, Stadttrave und Untertrave. Die Trave mündet – ja, wo denn wohl! – bei Travemünde in die Ostsee.
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À propos Hansa Marina Yachthafen: Seit bald einem Monat liegen wir vor dem Schuppen 6 und damit direkt gegenüber diesem Yachthafen. Wir geniessen das Privileg, die An- und Ablegemanöver der Freizeitkapitäne mit ihren wunderschönen und sehr teuren Yachten (unter einer halben Million geht da nichts) bewundern zu dürfen. Die wild herumhüpfenden Crews, gestikulierend mit Stangen und Stecken, die bis zur Rotglut strapazierten Bug- und Heckstrahler, die viel zu hoch oder zu tief gehängten Fender haben uns zur festen Überzeugung kommen lassen, dass in Deutschland Sportbootführerscheine im Versandhandel erworben werden können.
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Eine bauliche Besonderheit von Lübeck sind die «Gänge», welche von den Strassen abzweigen. Es sind schmale, niedrige Tore, durch welche man in malerische Hinterhöfe mit niedrigen Häuschen gelangt.
In diesen Gängen wohnten früher die einfachen Arbeiter und Handwerker. Davon zeugen noch die Namen der Gänge: Brandweinbrenner Gang, Schlachter Gang oder Spinnrademacher Gang. Heute sind es begehrte Wohnlagen, kein Freilichtmuseum, weshalb wir uns beim Betreten eines Gangs jeweils Zurückhaltung auferlegt haben.
Nachts werden die Gaslaternen angezündet und man fühlt sich urplötzlich ins Mittelalter zurück versetzt.
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Wahrzeichen Lübecks ist natürlich das Holstentor, ein Verkaufsschlager in Marzipan, der Lübecker Spezialität.
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Während unseres Lübeck-Aufenthaltes besucht uns Jörg Nagel, Lions-Freund von Christian und bleibt drei Tage an Bord. Als Arzt hatte er nicht nur eine Praxis in Zürich, sondern auch weltweit humanitäre Einsätze geleistet. Jörg hat in Hamburg ein Auto gemietet und das gibt uns die Gelegenheit zu einem Ausflug an die nahe Ostseeküste. Etwas westlich von Travemünde, am Brodtener Ufer, ist sie steil und steinig, ideal zum Wandern.
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Ein weiteres lohnendes Ausflugsziel, wenn man schon einen Mietwagen zur Verfügung hat, ist die Hansestadt Wismar im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern, also ehemals DDR. Wir spulen das komplette Touristenprogramm ab: Stadtrundfahrt (mit einem ehemaligen US-Schulbus), Hafenrundfahrt, Altstadtwanderung mit Kirchturmbesteigung. Wobei «Besteigung» insofern unzutreffend ist, als der Turm der Sankt Georgenkirche mit einem Lift ausgestattet ist.
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Am rechten Ufer der Trave, aber immer noch zur Stadt Lübeck gehörend, liegt Gothmund. Ein Fischerdorf, die Häuser reetgedeckt, ein Kleinod wie aus einer anderen Zeit. Gepflegt und herausgeputzt wie ein Freilichtmuseum, aber ein bewohntes Dorf. Nur ein Fussweg durch die Häuser. Jeder Vorgarten mit einer Kette abgesperrt. Offensichtlich haben die Bewohner schlechte Erfahrungen mit Besuchern gemacht, die sich in einem Freilichtmuseum oder in einem Streichelzoo wähnen.
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Die Zeit vergeht wieder einmal viel zu schnell, die Tage sind angefüllt mit Museumsbesuchen, Fahrradausflügen sowie dem fälligen Öl-, Fett- und Putzlappentag, also Ölwechsel an Hauptmaschine und Generator samt Wechsel der Öl- und Dieselfilter. Und wenn es denn einmal einen ganzen Tag lang trocken ist, ist das die Gelegenheit, alle Teakteile mit einer neuen Lage Teaköl sowie das Dach von Salon und Achterkabine mit Hartwachs zu versehen. Ist alles in einem Tag gemacht und das Schiff bleibt innen so zuverlässig und aussen so schön, wie es sein soll. Und weil wir in Lübeck sind, der Heimatstadt der Familie Mann, lesen wir wieder einmal «Die Buddenbrooks» von Thomas und «Wallenstein» von Golo Mann.
Aus dem Logbuch
- Lübeck. Die alte Hansestadt ist eine der schönsten Städte Norddeutschlands. Liegemöglichkeiten in mehreren Yachthäfen. Neu für Motor- und Segelyachten ist der Hansahafen an der Untertrave. Für Traditionsschiffe Liegemöglichkeit im Museumshafen vor oder hinter der historischen Drehbrücke. Alle Einkaufsmöglichkeiten einer Stadt. Angaben zu kulturellen und sonstigen Sehenswürdigkeiten finden sich in den üblichen Reiseführern. Dennoch vier Tipps.
Kulturtipp: Das Hansemuseum an der Untertrave ist ausstellungsdidaktisch gesehen das modernste und bestgemachte Museum, das wir kennen.
Gastrotipp: «Schiffergesellschaft», älteste Gaststätte Lübecks. Obwohl wir bei Traditions-Gaststätten, die über eine jahrhundertealte Vergangenheit und eine entsprechende Inneneinrichtung verfügen, vorsichtig geworden sind, weil man ja auch noch anständig essen und trinken möchte: Die «Schiffergesellschaft» ist hervorragend geführt. Drittens: Der bekannteste Marzipanproduzent Lübecks ist Niederegger, vor dessen Geschäft in der Innenstadt die japanischen und chinesischen Reisegruppen Schlange stehen. Den (für unseren Geschmack) besseren Marzipan, weil mit viel weniger Zucker, macht der „Marzipan-Speicher“ an der Untertrave. Viertens: Das Weinhaus Tesdorpf wird in der 12. Generation immer noch von einem Tesdorpf geführt. Die Auswahl ist sensationell.
Euer bunter und lebhaft geschilderter Bericht hilft mir, diese Ostseetage mit Euch nicht im Nebel des Vergessens verschwinden zu lassen. Aus dem witzigen Gespräch mit dem Oberkellner in der „Schiffergesellschaft“ bei gepflegtem Mahl sind mir die glänzenden Augen beim Namen „Jasmina, 4 Stuben Zürich“ geblieben, ein Wintertreff? Cheers. Jörg Nagel