Seit Monaten freuten wir uns auf den Tag, an welchem wir die Wohnungstüre in der Schweiz für einige Monate hinter uns abschliessen und mit vollgepacktem Auto nach Aalsmeer, den Liegeplatz unseres Schiffes fahren würden. Am 3. Mai 2005 war es dann endlich soweit. Bei strömendem Regen packten wir in den ersten Morgenstunden noch die Velos aufs Dach und dann fuhren wir wirklich und wahrhaftig in unsere neue Zukunft – das Leben auf einem Schiff. Von der Fahrt durch Frankreich, Luxemburg und Belgien gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen, ausser dass wir lernten, dass man mit Velos auf dem Autodach bei den französischen Autobahnzahlstellen wirklich nur jene Durchfahrten benützen sollte, welche nicht höhenbeschränkt sind. Es empfiehlt sich sehr, die Kreditkartendurchfahrten nicht zu benützen. Sonst kracht es grauenhaft auf dem Dach, dasselbe hat Beulen, die Velos hängen traurig herunter und der Veloträger ist Schrott. Nur wirklich Dumme vergessen an diesen Zahlstellen, dass sie Velos auf dem Dach haben. Wir gehören zu ihnen…
In Aalsmeer angekommen, starteten wir die grosse Umlade- und Einrichtungsoperation. Wir wissen nicht, wie wir das alles geschafft hätten ohne die Hilfe von Markus, dem Partner unserer Tochter. Nach der 10stündigen Fahrt von Pfäffikon nach Aalsmeer machte er sich voller Tatendrang daran, die Werkstatt im Vorderschiff auszumisten und aufzuräumen.
Der Empfang in unserem Liegehafen bleibt uns unvergessen. Längsseits neben uns lag die «M.S. Vandoor». Das schweizerische Eignerpaar, Marina Speck und Peter Weisshaupt, hatten uns erwartet und ein sensationelles Nachtessen vorbereitet: «Ihr sollt nach dieser langen Fahrt nicht auch noch kochen müssen!» Das ist Gastfreundschaft!
Am nächsten Morgen wollten wir zuerst einmal mit unserem Schiff fahren. Nun hat ein Fünfzigtönner zu Wasser natürlich seine Eigenheiten und wirklich spannend machen es die in den Niederlanden üblichen starken Winde, die immer exakt von der Seite kommen, von welcher man sie nicht brauchen kann. Aber dank unserem erfahrenen und geduldigen Instruktor Kapitän Max schafften wir die ersten Hebebrücken problemlos.
Die Landschaft ist umwerfend holländisch, wie aus dem Bilderbuch. Wir haben immer geglaubt, Windmühlen seien nur noch Museumsstücke. Das stimmt aber nicht, viele von ihnen sind noch in Betrieb und versehen ihren Dienst als Entwässerungspumpen. An vielen Orten sind die Kanäle höher als das umgebende Land, weil dieses früher überflutet war. Komisches Gefühl: Vom Steuerhaus auf die neben dem Kanal fahrenden Autos hinunter zu schauen!
Ein Schiff von 22.57 m Länge, 4.05 m Breite und 50 Tonnen Gewicht bietet sichere Gewähr, dass es dem Eignerpaar nie, aber wirklich nie langweilig wird. Stahl im Wasser heisst Rost, Rost heisst schleifen, grundieren und streichen – natürlich nur bei trockenem Wetter.
Ein Sechszylinder-Diesel von 8.25 l Hubraum sorgt für die Fortbewegung, ein Dreizylinder-Diesel produziert Strom. Beide Dieselmotoren wollen kontrolliert und überwacht sein. Weil das Kühlwasser direkt aus dem Kanal, See oder Fluss bezogen wird, muss es mehrfach filtriert werden. Filter pflegen zu verstopfen…
Das Bordnetz hat 12, 24 und 220 Volt. Der Strom wird in Häfen direkt vom Land bezogen. Unterwegs versorgen uns der Schiffsdiesel via zwei grosse Dynamos und der Generator mit der nötigen elektrischen Energie; was nicht benötigt wird, wird in grossen, schweren Akkus gespeichert. Eine komplizierte und in der Regel (in der Regel!!!) zuverlässige Elektronik «stellt die Weichen» zwischen den verschiedenen Stromproduzenten und –verbrauchern. Was für ein erhebendes Gefühl, als bereits an unserem vierten Schiffstag beim Aufwachen ziemlich viele Kontrolllampen ziemlich rot leuchteten! Gottseidank liegt Max, der Voreigner unseres Schiffes, mit seiner Yacht in unserer Nähe. Binnen einer knappen Stunde hatten wir die Ursache der Störung gefunden: Ein Müscheli hatte sich in einem Rückschlagventil der Wasserkühlung des Generators festgesetzt und zudem hatte ich am Ladecomputer die Ladeleistung viel zu hoch eingestellt. Im Moment brummt der Generator zufrieden vor sich hin, die Waschmaschine läuft, und für Tumbler und Staubsauger reicht es auch noch. Fast ein bisschen langweilig…
Unsere erste grössere Ausfahrt machten wir von den Westeinderplassen, wo wir bis Ende Monat einen festen Hafenliegeplatz haben, über die «Ringvaart van de Harlemmerpoldermeer» zu den Kagerplassen, einem wunderschönen Seengebiet mit Seen, Kanälen und Inseln. Das Pfingstwochenende verbrachten im Gebiet «de Kever», in der von allen Unbilden des Wetters geschützten Bucht einer kleinen Insel. Zum ersten Mal waren wir völlig auf uns gestellt, ohne Landstrom, ohne Wasseranschluss. Wir konnten testen, ob alle Systeme auch ausserhalb eines Hafens funktionieren: Zentralheizung, Waschmaschine, Tumbler, Kühlschränke, Trinkwasser usw. «M.S. Kinette» war zum ersten Mal so richtig unser Zuhause.
Ein sicheres Anzeichen dafür, dass wir uns wirklich wohl fühlen ist, dass wir schlafen wie die Murmeltiere. Eigentlich erstaunlich, dass wir unseren Lebensrhythmus so schnell umstellen konnten! Und ebenso erstaunlich ist, was Charlotte aus unserer kleinen Bordküche zaubert: Den Coq au vin aus dem Duromatic fanden unsere holländischen Schiffsnachbarn jedenfalls absolut hinreissend!
Eine besondere Erwähnung verdient unser Beiboot: Als wir «M.S. Kinette» kauften, war ein Schlauchboot von 4.3 m Länge mit einem 25 PS-Aussenborder im Preis inbegriffen. Es ist auf dem Achterdeck stationiert und wird mit einem elektrischen Hebekran zu Wasser gelassen. Ich fand dieses Gummiding grässlich und wollte es sofort verkaufen, aber Charlotte sah einen alten Mädchentraum verwirklicht und lag mir solange in den Ohren, bis ich nachgab. Etwas widerstrebend muss ich mittlerweile zugeben, dass das Schlauchboot überaus praktisch ist.
Am Pfingstsamstag beispielsweise fuhren wir damit bei prächtigstem Wetter mitten in das etwa eine Motorbootstunde entfernte nächste Städtchen namens Sassenheim, vertäuten es an einem Quai und gingen einkaufen und flanieren. Gottseidank blieben uns wenigstens unsere überaus praktischen Brompton-Klappvelos erhalten. Sie fahren sich beinahe wie «normale» Velos. Wir brauchen sie zum Einkaufen, zur Erkundung der Gegend und zum Besuch der riesigen (165 Fussballfelder gross!) Blumenbörse in Aalsmeer.
Am Dienstag nach Pfingsten fuhren wir zurück zu unserem Liegeplatz nach Aalsmeer. Das Wetter war klar und sonnig, aber die holländischen Eisheiligen sind entweder besonders heilig oder dann besonders eisig. Das Thermometer zeigte bestenfalls 12 Grad.
Am wohlsten fühlten sich die Enten, die unserem Schiff einen Besuch abstatteten. Wir geben uns keinen Illusionen hin: Sie kamen nicht wegen uns, sondern wegen des alten Brotes!
Die Fahrt von den Kaagerplassen (ein wunderschönes Seengebiet) zurück nach Aalsmeer war navigatorisch ziemlich anspruchsvoll, weil die Übergänge von einem See zum andern sehr schmal und teilweise kurvenreich sind.
Umso mehr geniesst man dann den Feierabend. Die Tage hier sind deutlich länger als in der Schweiz. Dass wir 1000 km nördlicher sind, merkt man nicht nur am Klima, sondern auch an den langen Tagen. Meistens sitzen wir abends noch in unserem geräumigen Steuerhaus, lesen und trinken noch einen Kaffee.
Zurzeit planen wir unsere Reise nach Belgien. Diese Reise wird Gegenstand unseres nächsten Monatsberichtes sein.