Bericht 5, August/September 2005

Epernay (Champagne) bis Verdun (Lorraine)

Liest man unsere bisherigen Reiseberichte, könnte man den Eindruck erhalten, das Leben auf einem Hausboot auf Europas Wasserstrassen sei eitel Sonnenschein – sun, fun and nothing to do und Wanderungen durch kilometerlange Champagnerkeller.

Die Kellergewölbe von Moët et Chandon in Epernay erstrecken sich über 28 km

Die Kellergewölbe von Moët et Chandon in Epernay erstrecken sich über 28 km

Dem ist nicht so, denn abgesehen von den alltäglichen Unterhalts- und Reparaturarbeiten sowie administrativen Problemchen gibt es auch – wenn auch Gottseidank selten – Zwischenfälle, die uns mehr beschäftigen. Zuerst zur täglichen Routine. An Tagen, an welchen wir gefahren sind, ist abends immer zuerst der Motor an der Reihe: Ölstand, Kühlwasserfilter, Keilriemenspannung und Kühlflüssigkeit werden kontrolliert. Dann muss die Schraubenwelle abgeschmiert werden. Darauf folgt die Kontrolle der Akkus: Sind sie voll oder müssen wir Strom mit dem Generator erzeugen? Wie steht es mit den Wassertanks? Zu den administrativen Freuden des Lebens unterwegs gehört es, das Nachsenden der Post zu organisieren. Sodann empfiehlt es sich schon aus Kostengründen, sich die entsprechenden nationalen SIM-Cards zu besorgen. In den Niederlanden haben wir ein Abonnement und die Kosten werden automatisch unserem Bankkonto belastet. Da wir kein französisches Bankkonto haben, mussten wir eine Prepaid-Karte fürs Natel kaufen. Damit wir mit dieser Karte via Notebook und Natel unsere Mail erledigen können, waren dann allerdings ein paar Informatikkunststückchen notwendig. Ohne die hilfsbereite Holländerin Door Winkel (digidoor4u@orange.fr) aus der schwimmenden Schiffsgemeinde sowie unseren Sohn hätten wir das nicht geschafft.

Wenn wir von «Zwischenfällen» sprechen, kommen wir hier nicht umhin, zwei Geschichten zu erzählen. Die eine hat mit Holzkohle zu tun, die andere mit Zwetschgenwähen. Mit der Holzkohle hätten wir beinahe unser Schiff abgefackelt und die Zwetschgensteine verschafften Christian rund acht Stunden Arbeit. Aber schön der Reihe nach. Wir lagen in der zweiten Julihälfte in Rethel an einem Liegeplatz mit Picknick-Tischen und -Bänken. Was lag näher als ein Grillabend. Christian schichtete sorgfältig Holzkohle auf, setzte die Zündwürfel in Brand und montierte die Grillplatte. Wegen eines besonders grossen Holzkohlenstücks passte die Platte nicht auf den Grill, weshalb dieses Holzkohlenstück wieder in den Holzkohlensack zurückwanderte – natürlich nicht ohne sorgfältige Prüfung, ob das besagte Stück allenfalls nicht schon glühte. Wenn man das im Nachhinein so erzählt, so kann man sich ja nur über die eigene Leichtfertigkeit wundern. Mehrere Stunden später, wir waren im Schiff beim Abwaschen, kam ein aufgeregter Schiffsnachbar. Es dringe Rauch aus der Abstellkammer im Vorderschiff. Wir ersparen uns, weil ziemlich peinlich, die detaillierte Schilderung dessen, was alles hätte passieren können und welche brennbaren Stoffe in der besagten Abstellkammer lagerten. Jedenfalls war lediglich der Sack mit der Holzkohle verglüht respektive verbrannt, ein Brettchen angesengt und ein Plastikkanister angeschmolzen. Wir schrammten mit anderen Worten haarscharf an der Katastrophe vorbei.

Die Geschichte mit den Zwetschgensteinen könnte man auch überschreiben mit: «Wie unsere Ehe auch den dritten Zwetschgenstein überstand.» Dazu müssen wir etwas weiter ausholen. Charlotte ist eine grosse Liebhaberin von Früchtewähen. Sie sind köstlich, sie fördern die gute Laune und sie sind beim Dorfbäcker erhältlich. Zum weiteren Verständnis müssen wir zudem einen Exkurs über Schiffstoiletten einfügen. Schiffstoiletten sind ziemlich komplizierte Einrichtungen mit Leitungen, durch welche das Spülwasser von aussen hereingepumpt wird, einem Zerhacker und einer Pumpe, welche die fein zerhackten Exkremente in den Schmutzwassertank befördert. Das heikle Teil ist der Zerhacker, weil er nur mit einlagigem Toilettenpapier sowie natürlich mit den besagten Exkrementen fertig wird. Feuchttüchlein, Tampons, Zigarettenfilter, Zündhölzchen und ähnliche Fremdkörper blockieren den Zerhacker.

Die Unbill kündigte sich eines unschönen Morgens damit an, dass der Zerhacker beim Spülen der Toilette ein überaus hässliches Geräusch von sich gab. Die Hoffnung, das Phänomen gehe von selbst vorüber, erfüllte sich leider nicht. Ein tiefer Blick in die Toilettenschüssel brachte auch keinen Aufschluss. Sanitärinstallateure gibt es in jedem Dorf. Aber einen Sanitärinstallateur, der sich mit Schiffstoiletten auskennt, hätten wir über hunderte von Kilometern kommen lassen müssen. Christian stieg deshalb kurz entschlossen ins blaue Übergwändli und machte sich an die grosse Zerlegung der Toilette. Nicht ohne vorher alle Seeventile abgeschlossen zu haben, weil er sonst das Schiff versenkt hätte.

Nach lächerlichen vier Stunden fäkaltechnischer Knochenarbeit war die Ursache gefunden: Ein Zwetschgenstein, den Charlotte offensichtlich zuvor versehentlich verschluckt hatte. Nach weiteren zwei Stunden war die Toilette sorgfältig gereinigt, alle Dichtungen gefettet und die komplizierte Apparatur wieder zusammengesetzt. Hier könnte die Geschichte ein Ende haben, und wir hätten uns dies ja auch gewünscht, hätte die Toilette am folgenden Morgen, nachdem Charlotte sie aufgesucht hatte, nicht wieder das uns nun schon sattsam bekannte, überaus hässliche Geräusch von sich gegeben. Mit Übergwändli, Werkzeugkoffer und einem zurückhaltend vorwurfsvollen Blick Richtung Charlotte machte sich Christian wieder an die Arbeit (beiläufig bemerkt: Sonntagsarbeit). Dank des Trainings am Vortag dauerte die Übung nur noch drei Stunden, begleitet von Charlottes schuldbewussten Blicken. Ihr Schuldbewusstsein hatte Charlotte übrigens schon nach dem ersten Zwetschgenstein eindrücklich demonstriert, indem sie den immer noch köstlichen Rest der Zwetschgenwähe den Enten verfütterte, welche ihr Glück kaum fassen konnten.

Hier müsste die Geschichte nach menschlichem Ermessen wirklich zu Ende sein. Sie ist es nicht.

Am Montagmorgen war Christian beim Dorfgaragisten in Damery damit zu Gange, zwei Butangasflaschen gegen zwei Propangasflaschen umzutauschen – ein beinahe aussichtsloses Unterfangen. Irgendwie gelang es dann aber doch und zwar dank der Unterstützung des Dorfwirtes. Als Christian frohgemut zum Schiff zurückkehrte, sah er an Charlottes Gesicht sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Machen wir es kurz: Christian stieg ein drittes Mal ins Übergwändli. Nunmehr mit der detaillierten Kenntnis des Innenlebens der Schiffstoilette versehen, bastelte Christian aus einer alten Funkantenne ein Greifwerkzeug, mit welchem er zielsicher Zwetschgenstein Nummer 3 aus dem Zerhacker fischte. Dauer der Übung diesmal: Fünf Minuten.

Wir wollen nicht unerwähnt lassen, dass wir in dieser schweren Zeit nicht nur das volle Mitgefühl unserer Schiffsnachbarn Bill und Nancy (www.billandnancy.com) genossen, sondern auch ihre Schiffstoilette benutzen durften. Diese Hilfsbereitschaft wäre aber ziemlich strapaziert worden, wenn Charlotte dort auch… – aber lassen wir das. Sie hat nicht.

Damit können wir wieder zu den erfreulicheren Seiten unseres Bordlebens zurückkehren. Dazu gehören Journalistenbesuche aus der Schweiz. Deren hatten wir gleich zwei, nämlich Ruedi Baumann vom Tages-Anzeiger und Daniel Röthlisberger mit dem Fotografen Michael Stahl von der Schweizer Familie. Es wäre äusserst unfair, diesen Medienschaffenden zu unterstellen, sie hätten den Zeitpunkt deshalb so gewählt, weil wir uns im Champagnergebiet aufhielten. Wir können bezeugen, dass seriös und intensiv gearbeitet wurde. Die Ergebnisse waren jedenfalls beeindruckend und wir wurden über unsere Homepage mit positiven Rückmeldungen förmlich überschwemmt.

Nach unserem Abstecher in die Gegend von Epernay fuhren wir marneaufwärts zurück nach Châlons-en-Champagne, auch Venedig von Nordostfrankreich genannt. Wir fanden wenige Gehminuten von der Kathedrale St. Etienne entfernt in einem Seitenarm der Marne einen Liegeplatz im Schatten alter Kastanienbäume.

Châlons hält einem Vergleich mit Reims durchaus stand. Wo Reims mit seiner einzigartigen Kathedrale und seiner ebenso einzigartigen Vergangenheit auftrumpfen kann, glänzt Châlons mit seinen idyllischen Kanälen, seinen riesigen Pärken mit uralten Baumbeständen und mit weiträumigen Plätzen. Für einmal fuhren wir nicht selbst auf dem Wasser, sondern liessen uns durch die besagten Kanäle fahren. Das war schon deshalb ein besonderes Erlebnis, weil weite Teile unterirdisch angelegt sind.

Die unterirdischen Kanäle von Châlons

Die unterirdischen Kanäle von Châlons

Notre-Dame-en-Vaux in Châlons-en-Champagne

Notre-Dame-en-Vaux in Châlons-en-Champagne

Châlons lebt nicht nur von seinen Kirchen, Pärken, Kanälen und Plätzen, sondern ist auch gewillt, sich wirtschaftlich zu entwickeln. Zu diesem Zweck soll der Luftfrachtverkehr im nahe gelegenen Flughafen deutlich ausgebaut werden. Offensichtlich ist man sich nicht nur in Zürich der wirtschaftlichen Bedeutung eines Flughafens bewusst.

Von Châlons aus fuhren auf dem Canal latéral à la Marne in südöstlicher Richtung nach Vitry-le-François. Die zwei Tage Fahrt von Châlons nach Vitry wurden die beiden nervenaufreibendsten seit Beginn unserer Reise. Wir waren förmlich eingekeilt zwischen langsam fahrenden Lastschiffen und mussten froh sein, wenn wir am Ende des Umzugs auch einmal in eine Schleuse durften.

In Vitry-le-François bogen wir ab in den Canal de la Marne au Rhin und schlagartig wähnten wir uns im Schifferparadies. Es begann schon bei der ersten Schleuse. Gewohnheitsmässig hatten wir in Vitry per Funk unser Abbiegemanöver angekündigt. Das muss der Schleusenwärter gehört haben, denn als wir uns der Schleuse näherten, waren die Tore schon weit offen. Die Schleusen auf dem Lateralkanal sind durchwegs automatisiert und fernbedient. Auf dem verkehrsarmen Marne-Rhein-Kanal hingegen werden sie von Schleusenwärtern handbedient.

Dieser Kanal wurde zwischen 1838 und 1853 gebaut mit der Absicht, Paris und Nordfrankreich mit dem Elsass, dem Rhein und Deutschland zu verbinden. Beträchtliche Hindernisse in hügligem Gebiet mussten überwunden werden, daher die vielen Schleusen und einige Tunnels.

Wir befuhren das Teilstück von Vitry-le-François bis Troussey. Auf rund 110 km erwarteten uns über 80 Schleusen und eine Scheitelstrecke. Darunter versteht man eine Art Wasserscheide: Von Westen her steigt der Kanal an, unterquert mit einem 4877 m langen Tunnel den höchsten Punkt und steigt dann wieder ab. Bei Troussey mündet der Kanal in den Canal de l’Est, also in die kanalisierte Maas, auf welcher wir Richtung Norden fahren würden.

Bei der ersten Schleuse auf dem Marne-Rhein-Kanal mussten wir unser Tagesziel angeben. Auf unserer Weiterfahrt begleiteten uns ein, manchmal zwei Schleusenwärter, die auf dem Treidelpfad mit ihrem Töffli vorausfuhren und jeweils die nächste Schleuse für uns vorbereiteten. Kein Warten, kein Schlange stehen, kein Rotlicht – wir konnten unser Glück kaum fassen. Unsere Begleiter konnten uns auch ganz genau sagen, ob wir mit Gegenverkehr zu rechnen hatten (wir hatten nicht) und wo für ein Schiff unserer Grösse noch ein Liegeplatz frei war. Als wir dort am Abend anlegten, fragten sie uns höflich, wann wir am nächsten Morgen bis wohin weiterzufahren gedächten. Tatsächlich stand am nächsten Morgen schon die erste Schleuse offen, als wir losfuhren. Auch wenn automatisierte Schleusen durchaus ihre Vorteile haben, hatten wir doch den üblichen Schwatz mit den Schleusenwärtern vermisst. Sie sind in der Regel eine unschätzbare Quelle wertvoller Informationen.

Während unserer Fahrt auf Flüssen und Kanälen begegnen uns immer wieder Fischer am Ufer. Fischer und Schiffer sind naturgemäss nicht gerade Freunde, weil sich vor allem die Fischer gestört fühlen, die bei der Vorbeifahrt von Schiffen ihre Angelruten einziehen müssen. Bis jetzt hatten wir jedoch noch nie eine unerfreuliche Begegnung, weil wir, wo immer möglich, unsere Fahrt verlangsamen und etwas ausweichen. Dass Fischen eine todernste Sache sein kann, erlebten wir in Pargny-sur-Saulx. Dort fanden an einem Wochenende die französischen Meisterschaften in der «Pêche à coup» statt. Was die professionellen Fischer an Gerätschaften auffahren, ist beinahe unglaublich. Wir liessen uns dieses Schauspiel nicht entgehen und staunten nicht schlecht, als der jeweilige Fang nach dem Wägen am Abend lebendig und unversehrt wieder im Wasser landete.

Auf der Anfahrt zum Mauvages-Tunnel war ein Öl- und Filterwechsel fällig. Da die Ölwanne an einem Schiffsdiesel am tiefsten Punkt des Schiffes ist, kann man das Öl nicht wie sonst bei einem Ölwechsel einfach ablassen, sondern es muss abgepumpt werden. Bei 15 Litern Öl ist das eine willkommene Fitnessübung. Gleichzeitig war ein Wechsel der Brennstofffilter fällig. Weil dabei Luft in den Diesel-Kreislauf gelangt, muss dieser entlüftet werden. Eine der Entlüftungsschrauben sitzt am höchsten Punkt des Diesel-Kreislaufs und ist mit einer Kupferdichtung versehen.

Entlüftungsschraube mit Kupferdichtung

Entlüftungsschraube mit Kupferdichtung

Es scheint ein ehernes Gesetz zu sein, dass Dichtungen nicht mehr dicht sind, wenn man sie nach getaner Arbeit wieder einsetzt. Manchmal hilft Reinigen, manchmal ein bisschen Feilen. Hier half gar nichts mehr. Unerbittlich tröpfelte Diesel aus der Entlüftungsschraube. Leider sind derartige Kupferdichtungen ziemlich spezielle Teile und man kann sie nicht einfach im nächsten Bricomarché kaufen.

Wir sassen mit anderen Worten fest, wäre da nicht ein örtlicher Yachtbesitzer gewesen, mit dem Christian zufällig ins Gespräch gekommen war. Spontan anerbot sich Monsieur Duquesne, Christian zur nächsten Grossgarage, der regionalen Renault-Vertretung, zu fahren. Dort stellte sich heraus, dass der nunmehr pensionierte Monsieur Duquesne jahrelang Direktor dieser Firma gewesen war. Das half allerdings auch nichts, weil in der Personenwagenabteilung trotz riesigem Ersatzteillager keine passende Dichtung zu finden war. Unser Helfer gab nicht auf und so ging die Fahrt weiter zur Lastwagenabteilung von Renault. Dort fand sich – oh Glück! – eine passende Dichtung und wir erhielten gleich deren drei «avec les compliments de la maison». Alle Versuche, die Dichtungen oder die Fahrt zu bezahlen, schlugen fehl. Das sei doch eine Selbstverständlichkeit. Einmal mehr hatten wir ein Beispiel der Hilfsbereitschaft auf dem Wasser erleben dürfen.

Als wir unsere Fahrt endlich fortsetzen konnten, öffneten sich die Schleusen des Himmels und es goss den ganzen Tag in Strömen. Getreu nach dem Motto, wonach es kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung gibt, fuhren wir ungerührt weiter. Aus den Zeitungen erfuhren wir von schlimmen Überschwemmungen in der Schweiz und priesen uns glücklich, als am nächsten Tag die Sonne wieder schien.

Eindrücklicher Höhepunkt unserer Fahrt auf dem Marne-Rhein-Kanal war der 5 km lange Tunnel von Mauvages. Weil der Tunnel über keine Entlüftung verfügt, darf man ihn nicht mit eigener Kraft befahren. Zweimal im Tag wird ein Konvoi zusammengestellt, der dann von einem elektrischen «Toueur» durch den Tunnel geschleppt wird. Die Konstruktion dieses Schleppers stammt aus dem Jahre 1912, ein technischer Dinosaurier wie aus dem Verkehrsmuseum. Das Prinzip ist altertümlich, aber bestechend einfach und dem einer Standseilbahn ähnlich. Auf dem Grund des Tunnels ist eine Kette eingelassen, an welcher sich die Maschine sozusagen durch den Tunnel hangelt. Das Ganze geschieht im Schneckentempo und die Durchquerung des Tunnels dauert nicht weniger als anderthalb Stunden. Von anderen Schiffsleuten hatten wir Verschiedenes über diese Fahrt gehört, namentlich von solchen, die am Ende des Konvois geschleppt worden waren. Sie waren ständig links und rechts an die Tunnelwände geknallt. Wir hatten insofern Glück, als der Konvoi nur aus uns bestand.

Als wir nach anderthalb Stunden das Tageslicht erblickten, atmeten wir erleichtert auf. Von nun an gings bergab und zwar in einer elektronisch gesteuerten Schleusentreppe, wie wir sie vom Ardennenkanal her kannten. Weil der Kanal mit dem Tunnel den höchsten Punkt erreicht, wird er von einem Speisewasserbecken gefüllt. Der Effekt auf dem ersten Kilometer war grossartig: Das Wasser war glasklar und wir sahen bis zum Grund.

In Troussey verliessen wir den Marne-Rhein-Kanal und bogen nach Norden ab in den Canal de l’Est. Geographisch hatten wir nun die Champagne verlassen und befanden uns im Departement Meuse, das mit Verdun, den Argonnen und St. Mihiel ein wichtiges Reiseziel des sogenannten «Erinnerungstourismus» ist. Es besitzt zahlreiche geschichtliche Sehenswürdigkeiten sowie ein bemerkenswertes Kulturerbe aus der Zeit der Renaissance und des 17. Jahrhunderts. Beispiele sind Bar-le-Duc mit der Oberstadt und dem Renaissanceviertel, Montmédy mit den Befestigungsanlagen, die Altstadt von Marville, die an spanische Renaissance erinnert oder Commercy, wo wir Halt machten.

Commercy ist unter anderem berühmt wegen der Madeleines. Der Überlieferung nach geht dieses Gebäck auf eine Köchin namens Madeleine zurück, die am Hof des polnischen Königs Stanislas angestellt war. Der besagte Monarch, Schwiegervater von Louis XV, gleichzeitig auch Herzog von Lothringen, hatte Commercy zu seiner Sommerresidenz erkoren. Davon zeugen noch heute prachtvolle Bauten.

In Commercy kam M.S. Kinette zu unerwarteten Ehren. Eine Fotografin, welche Hochzeitsfotos machen musste, erkor spontan unser Schiff zur Kulisse für das sichtlich glückliche Brautpaar.

Mittlerweile war es wieder sommerlich heiss geworden und wir waren froh um das kühlende Lüftchen, das uns auf dem Wasser immer begleitet. In den letzten Augusttagen fuhren wir Richtung Verdun, wo wir einen mehrtägigen Aufenthalt vorgesehen hatten. Die Zufahrt zu Verdun auf dem Kanal ist nicht ganz ohne Tücken: Der Kanal beschreibt eine 90° Drehung nach links unmittelbar vor ein 50 m langes Tunnel, an welches sich eine Schleuse anschliesst. Wir waren dem Schleusenwärter avisiert worden und er erwartete uns mit offenen Schleusentoren. Das hatte immerhin den Vorteil, dass wir sicher waren, dass uns an dieser Engstelle kein anderes Schiff entgegenkam.

Wie in vielen Städten befindet sich der Hafen von Verdun mitten im Zentrum. Mit wenigen Schritten ist man in der Altstadt, bei der Kathedrale und in der Zitadelle. Etwa fünf Velominuten vom Zentrum entfernt liegt übrigens ein idyllischer kleiner See, versehen mit der Tafel «Baignade interdite». Offensichtlich muss das etwas anderes bedeuten als wir in der Schule gelernt haben, jedenfalls war der kleine See von zahlreichen Badenden bevölkert.

Die nächsten Tage werden wir in Verdun verbringen und Ausflüge in die Umgebung unternehmen. Sicher werden wir Fort Douaumont und das berühmte Beinhaus («Ossuaire») besichtigen. Davon mehr in unserem nächsten Reisebericht. Hier verlässt uns auch unsere Tochter, die uns die letzten 14 Tage auf dem Schiff begleitet hat. Wir werden sie in jeder Hinsicht vermissen: Oft fuhr sie auf dem Velo auf dem Treidelpfad voraus und fotografierte das Schiff vom Kanalufer aus, half den Schleusenwärtern bei den handbetriebenen Schleusen und steuerte manchmal sogar das Schiff. Darüber hinaus haben wir wohl selten soviel gelacht wie in diesen beiden Wochen.

Das Schleusengeissli von Lacroix-sur-Meuse

Das Schleusengeissli von Lacroix-sur-Meuse

Im Übrigen sind unsere Tage in Frankreich gezählt. Am 24. September wird der Canal de l’Est bis zur belgischen Grenze während drei Wochen für Unterhaltsarbeiten geschlossen. Unser nächstes grösseres Reiseziel ist deshalb Givet an der französisch-belgischen Grenze.

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