Winterquartier in Roanne
Ende November/anfangs Dezember geniessen wir herrlichstes Herbstwetter, das wir zu ausgedehnten Wanderungen benützen.
Weil wir ja die Gegend um Roanne noch nicht so gut kennen, schliessen wir uns einer französischen Wandergruppe in Renaison an, welche jeden Montagnachmittag eine mehrstündige Wanderung unternimmt. Das ist nicht nur gut für unsere Figur, sondern auch für unsere Französischkenntnisse.
Auf einer dieser Wanderungen kommen wir mit einer sehr rüstigen und munteren Dame ins Gespräch, die bei den Steigungen meistens voraus klettert. Sprudelnd vor Unternehmungslust erzählt sie von einem 50-km-Volksmarsch, an welchem sie kürzlich teilgenommen habe und vom 100-km-Marsch, der in zwei Wochen anstehe. Wie wir sie schüchtern nach ihrem Alter fragen, meint sie, sie sei noch nicht sehr alt, sie werde erst in sieben Monaten Neunzig!
Auf Einladung von Avenir Suisse, einem liberalen Think Tank in Zürich, reist Christian Ende November in die Schweiz, wo er einen Vortrag über liberale Politik hält, den die NZZ als «Paukenschlag» bezeichnet. Weil der Lion’s Club Zürich Altstadt am Limmatquai zu Gunsten des Taubblindenheims in Langnau am Albis Grittibänzen verkauft, welche im Behindertenwerk St. Jakob gebacken worden waren, kann Christian auch noch etwas für seine Präsenz bei den Zürcher Lion’s tun.
Charlotte lässt es sich mittlerweile in Roanne wohl sein. Das ist insofern nicht besonders schwer, als im Nachbardorf Renaison das Winzerwurstfest und in Roanne das Fête de la lumière sowie der Hafenmarkt stattfinden. Zudem hat unsere Tochter Annette ein paar Freitage zusammengenommen und sich für eine Woche auf dem Schiff einquartiert.
Das Winzerfest dreht sich um «Le saucisson du vigneron», welcher, ähnlich wie in der Schweiz die Treberwürste, ziemlich tief in den Marc geschaut hat. Schliesslich ist die Côte Roannaise ein Weinbaugebiet, wobei wir den hier produzierten Wein am ehesten und sehr wohlwollend mit dem Prädikat «bekömmlich» versehen wollen.
Dafür ist die Stimmung, dank Wein und Winzerwurst, fröhlich und ausgelassen.
Die «Fête de la lumière» ist ein typisches Winterfest, mit dem Licht in die langen, dunklen Winternächte gebracht werden soll. In einem Sternmarsch begibt man sich auf den Hauptplatz von Roanne, wo ein Feuerwerk stattfindet. Aber ein paar Räbeliechtli würden diesem Fest gut tun!
Der mit zunehmender Kälte immer mehr aufkommenden Weihnachtsstimmung können auch wir uns nicht entziehen und so erhält auch Kinette einen weihnächtlichen Lichterschmuck.
Unsere Lichterkette ist zwar sehr bescheiden, aber sie strahlt Wärme aus. Das ist immerhin mehr als man von der sogenannten Weihnachtsbeleuchtung der Zürcher Bahnhofstrasse sagen kann. Dieses kalte Licht könnte direkt aus einer Leichenhalle stammen.
Was für uns Schweizer ausserordentlich gewöhnungsbedürftig ist, sind die Ladenöffnungszeiten während der Weihnachtszeit. Die meisten Läden sind nicht nur am 24. Dezember geöffnet, sondern auch am Weihnachtstag und am Stephanstag, also am 26. Dezember.
Den Heiligen Abend verbringen wir im Kloster von Semur-en-Brionnais bei den Schwestern der Gemeinschaft St Jean. Höhepunkt der Nacht ist die Mitternachtsmesse in der Klosterkapelle.
Nach der Messe sitzen wir alle zusammen – Klosterschwestern, Priester und Gäste – in der Klosterkapelle auf dem mit einem warmen Teppich bedeckten Boden und singen Weihnachtslieder. Wie dann noch «Stille Nacht, heilige Nacht» auf Deutsch erklingt, sind wir endgültig auf Weihnachten eingestimmt. Später wird noch heisse Schokolade gereicht, dann sinken wir glücklich und müde in unserem Gästezimmer ins Bett. Auch wenn wir weder katholisch noch sehr religiös sind, hat uns diese Nacht im Kloster tief beeindruckt.
Den Weihnachtsabend selbst feiern wir an Bord unseres Schiffs zusammen mit unseren holländischen Freunden Ton und Dicky von der Vrouwe Dirkje. Ton ist ein begabter Koch und sein Kaninchen mit Rotkohl, Rotweinbirnen und Kastanienpurée ist beinahe überirdisch gut. Bis vier Glasen der Hundswache (für Landratten: zwei Uhr morgens) sitzen wir zusammen, essen, trinken und spielen Canasta.
Dann fahren wir für einige Tage in die Schweiz. Wir wollen die Weihnachtsfeier mit unseren Kindern nachholen und mit lieben, langjährigen Freunden zusammen Silvester feiern. Unsere Schiffsnachbarn Henri und Geneviève behalten derweil unser Schiff im Auge.