Roanne – Decize – Baye
(Canal de Roanne à Digoin, Canal latéral à la Loire, Canal du Nivernais; 191 Kilometer, 60 Schleusen)
Am frühen Nachmittag des 29. April 2007 werfen wir in Roanne die Leinen los, machen im Hafenbecken eine 180°-Drehung und fahren in die Schleuse Nr. 1, welche der Schleusenwärter für uns schon am Morgen vorbereitet hat. An der Schleuse warten etwa zwei Dutzend Mitglieder der Roanner «Barge Community», welche uns verabschieden. Der Abschied wird uns allen insofern erleichtert, als wir die Absicht haben, im Herbst wieder hierher zurückzukommen. Der Hafenmeister hat uns unseren Winterplatz und France Télécom unsere Festnetznummer zugesichert.
Mit uns fahren Fredi und Dominique, ein Lehrerehepaar aus dem Zürcher Oberland mit Segelerfahrung, das auch von einem Hausboot träumt. In den nächsten Tagen werden sie ausgiebig Gelegenheit haben, Schiffsluft zu schnuppern.
Der Canal de Roanne à Digoin ist verträumt und ruhig wie immer. Ein oder zwei Mietboote aus der Basis «Les Canalous» in Digoin kreuzen unseren Weg sowie das Ausflugsschiff «L’Infatigable». Sonst haben wir den Kanal allein für uns und allein für uns haben wir auch das Bassin von Artaix, wo wir für die Nacht festmachen.
Spektakulär wie immer ist die Fahrt über die Kanalbrücke von Digoin, welche über die Loire führt.
Vor uns am Quai liegt «Gégène», ein knapp 21 m langes Schiff, das ein ehemaliger Berufsschiffer als Hausboot für sich umgebaut hat. «Gégène» ist sowohl von aussen wie von innen ein Bijou, hervorragend unterhalten und ausserordentlich gepflegt.
Wie unsere Gäste erfahren, dass «Gégène» zum Verkauf steht und dies erst noch zu einem vernünftigen Preis, sind sie beinahe nicht mehr ansprechbar. Später stellt sich dann aber heraus, dass eine Probefahrt mit «Gégène» erst nach dem Kauf möglich ist(!). Da gibt es nur eines: Hände weg! Wir werden immer wieder gefragt, worauf es beim Kauf eines Schiffs ankomme, was es koste, welche Ausweise man brauche usw. Die Antwort auf diese und weitere Fragen finden Sie unter FAQs.
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In St Léger des Vignes, bei der Einmündung des Canal du Nivernais in die Loire, verlassen uns unsere Gäste. Der Liegeplatz ist ideal: Ein langer Quai mit Wasser- und Stromanschluss, geschützt vor (wenig wahrscheinlichem) Loire-Hochwasser durch eine Schleuse.
An den Stromkästen steht, man solle auf die Gemeindeverwaltung anrufen, wenn man Strom und Wasser beziehen wolle. Das tun wir denn auch folgsam und eine freundliche Dame versichert uns, sie werde jemanden vorbeischicken. Aber auch nach vier Tagen hat sich noch niemand gezeigt und so beziehen wir denn in dieser Zeit schweren Herzens gratis Strom und gratis Wasser.
Hier empfangen wir auch unsere neuen Gäste, die uns für einige Tage begleiten werden, den Maler Balz Baechi und seine Frau Isabel.
Balz Baechi hat Christian seinerzeit als Regierungspräsident für die Galerie des Zürcher Regierungsrates porträtiert und im Verlaufe des stundenlangen Modellstehens hat sich eine solide Männerfreundschaft entwickelt.
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Der Canal du Nivernais, der vor uns liegt, gilt als einer der schönsten Kanäle in Frankreich. Der entsprechende Kanalführer, die Navicarte Nr. 19, liefert u.a. folgende Information: «Der Kanal dringt in das Bazois Land ein, wo von jeder Wieh-zurt getrieben wird von den weissen Kühe der Nivernais und Charolais Racen». Und Decize ist, so erfahren wir ehrfürchtig, «eine Stad mit viel Leben, von Touriten und Geschichte und Sportfischenamateure sehr beliebt.» Ohne dem Übersetzer der «Éditions Grafocarte» nahe treten zu wollen, scheinen uns die Angaben nicht ultimativ verständlich und wir erlauben uns einige Ergänzungen.
Der Canal du Nivernais zweigt bei Auxerre von der Yonne ab und führt bis zur Einmündung in die Loire bei St Léger des Vignes. Auf einer Länge von 174 km bietet er 110 Schleusen und 3 Tunnels. Der Bau des Kanals wurde 1785 in Angriff genommen und dauerte ungewöhnlich lang, nämlich bis 1842. Der kommerzielle Verkehr war seit jeher eher bescheiden, weil die Schleusen auf einer Strecke von 58 km mit 30 m Länge nicht dem Freycinet-Mass von 38.5 m Länge entsprechen.
1960 war der Kanal wegen des geringen Verkehrsaufkommens von der Schliessung bedroht. Glücklicherweise etablierte sich damals in Baye, der Wasserscheide des Kanals, Pierre Paul Zivy, ein Hausbootvermieter. Er kämpfte so erfolgreich für die Offenhaltung des Kanals, dass sich im Laufe der Jahre weitere Hausbootvermieter am Kanal ansiedelten. Heute ist der Canal du Nivernais ein dermassen beliebtes Ferienrevier, dass eine Schliessung einstweilen nicht zur Diskussion steht. Am Eingang zur sehr gepflegten Mietbootbasis «Aqua Fluvial» (www.aquafluvial.fr) in Baye, auf der Scheitelstrecke des Kanals, wurde Zivy ein kleines Denkmal errichtet.
Der Canal du Nivernais hat einige Spezialitäten zu bieten. Erstens ist er, im Vergleich zu den kommerziell genutzten Wasserstrassen, mit ca. 1.20 m relativ untief. Wobei diese 1.20 m auf gewissen Strecken ziemlich theoretisch sind. Zweitens sind einige Brücken zwischen St Léger des Vignes und Cercy-la-Tour sehr schmal und niedrig. Sie sind bogenförmig mit 3.50 m lichter Höhe in der Mitte, aber nur 2.90 m an den Seiten.
Für uns bedeutet das Senken des Antennenbügels und Abbau des Sonnen- und Regenzeltes vor dem Steuerhaus. Auf einer Velotour vermessen wir die tiefste Brücke im Unterwasser der Schleuse 31 und kommen zum Schluss, dass wir es gerade schaffen sollten.
Wir sind nicht unglücklich, dass wir es locker schaffen. Es wäre nicht einmal nötig gewesen, dass der freundliche Schleusenwärter das Wasser in diesem Kanalabschnitt extra für uns über die Nacht noch etwas abgesenkt hat. Wir haben einige Brücken ausgemessen («Messen ist Wissen») und festgestellt, dass – was immer auch die gesammelten Kanalführer und -karten behaupten mögen – die niedrigsten Brücken auf der Loire-Seite des Nivernais diejenigen bei den Schleusen 24 und 23 oberhalb Panneçot sind. Und diese Brücken passieren wir mit aufgepflanztem Suchscheinwerfer! Auf der Seine-Seite verhält es sich nicht anders, die Brücke bei der Schleuse 16, die vermutlich die niedrigste ist, bietet ebenfalls keine Probleme.
Hier die relevanten Masse unseres Schiffes: Breite 4.05 m, Höhe des Steuerhausdachs (ohne/mit Suchscheinwerfer): 2.90/3.18 m, Breite des Steuerhausdachs 3.22 m.
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Àpropos Panneçot: Nach dem CEVNI (Code Européen des Voies Navigables Intérieures) markieren rote Bojen flussabwärts die Begrenzung der rechten Fahrrinne, grün links. Alte Schifferregel: «Rot, rechts, runter». Die Einfahrt in den Hafen von Panneçot ist markiert mit roten und grünen Bojen. Wer nach dem Lehrbuch zwischen grünen und roten Bojen hindurch fährt, läuft unweigerlich auf Grund. Hätte uns nicht ein ausgewachsener Löli in seinem Mietböötli gegen alle Vorfahrtsregeln zu einem Ausweichmanöver gezwungen, wären wir prompt dort durchgefahren. Aber vor die Alternative gestellt, entweder das Plasticmietböötli mit unseren 60 Tonnen in Grund und Boden zu fahren oder zwischen Ufer und grüne Bojen auszuweichen, entscheidet sich Christian für Letzteres. Zu unserem Glück!
Wir erinnern uns in solchen Momenten an unsere eigenen Anfänge und nehmen die Ungeschicklichkeit des Bootmieters mit Gelassenheit hin.
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Wenig später fahren unsere Freunde Ruth und Terry mit ihrer neu erworbenen «Verwisseling» (niederländisch für «Wechsel») in Panneçot ein. Sie waren den Winter hindurch unsere Nachbarn in Roanne, dort noch auf der «Adventuring Light», einem englischen Ex-Mietboot.
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Unser nächster Halt ist Châtillon-en-Bazois. Wir machen am Quai zwischen den Schleusen 14 und 15 fest, direkt unterhalb des Schlosses. Hier haben wir Aussicht auf den Dorfkern mit Kirche.
In Châtillon-en-Bazois gibt es Strom (16 Ampère!) und Wasser gratis, gute Einkaufsmöglichkeiten und einen gut ausgebauten Treidelpfad, der zu ausgedehnten Velotouren einlädt.
In der Dorfkirche hängt die übliche Gedenktafel für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, hier aber in einer besonders naiv-rührenden Ausführung.
Unmittelbar nach der Schleuse 14 überspannt eine Brücke den Kanal und gleichzeitig beschreibt dieser eine scharfe Biegung.
Diese Passage gilt als eine der schwierigsten überhaupt auf dem französischen Kanalnetz. Die Durchfahrt unter der Brücke ist so eng, dass man mit dem Bug direkt auf die Kanalmauer zufahren muss, während man doch über Backbord sollte abdrehen können. Kann man aber nicht, weil das Heck noch in der engen Brückenpassage ist. Man kann diese Passage gar nicht langsam genug fahren, zumindest nicht mit einem Schiff über 20 m Länge.
Als Lohn für das schwierige Manöver winkt eine Stunde später die imposante Doppel-, gefolgt von der noch imposanteren Dreifachschleuse von Chavance. Im ehemaligen Schleusenwärterhäuschen der Doppelschleuse ist heute das «Restaurant sur Soleure». Wir richten es so ein, dass wir auf die Mittagszeit noch bis zum Restaurant schleusen können, vertäuen unser Schiff dann in der Schleuse und lassen uns direkt neben der Schleuse mit einem Menu du jour verwöhnen.
Noch am gleichen Tag erreichen wir beim Dörfchen Baye die Scheitelhaltung, also den höchsten Punkt des Kanals. Hier ist die Schleuse Nr. 1 des «Versant de la Loire». Wir haben also 35 Schleusen für den Aufstieg aus dem Loiretal hinter uns – und 81 Schleusen für den Abstieg ins Seinebecken vor uns.
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Der Kanal wird auf der Loireseite durch das Flüsschen Aron und auf der Seineseite durch das Flüsschen (später Fluss) Yonne gespiesen. Das reicht aber für einen sicheren Betrieb nicht, weshalb beim Bau des Kanals riesige Speicherbecken angelegt wurden, der Étang de Baye und der Étang de Vaux. In Baye trennt nur ein schmaler Steindamm den Kanal vom Étang de Baye und genau an diesem Damm bleiben wir ein paar Tage liegen.
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Hier treffen wir auch unsere holländischen Freunde Door und Huib Winkel (hier heissen sie allerdings Dorothée et Hubert) an, die zusammen mit ihrem riesigen Hund – Rasse nicht näher bestimmbar – auf ihrer Tjalk «Niets bestendig» wohnen. Eine Tjalk ist übrigens ein Plattboden-Segelschiff mit mächtigen Seitenschwertern. Man trifft viele zu Hausbooten umgebaute Tjalken, aber in den Fahreigenschaften bleiben sie hinter Schiffen zurück, deren Rumpf von Anfang an auf Motorbetrieb ausgelegt war. Die oben abgebildete «Verwisseling» hat übrigens auch einen klassischen Tjalkrumpf.
Door und Huib kennen den Nivernais in- und auswendig und wir erhalten von ihnen wertvolle Tipps und Hinweise über Liegeplätze und heikle Stellen. Übrigens ist Door Spezialistin für Internetkommunikation auf Schiff (www.digidoor4u.net.tc).
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Die Aussicht von unserem Liegeplatz auf den Étang de Baye ist so atemberaubend und so friedlich, dass wir hier wochenlang liegen könnten. Das Gebiet ist zudem ideal für lange Wanderungen und Velotouren. Aber hier werden in wenigen Tagen unsere Pfäffiker Freunde Silvia und Andy zu uns stossen, um einige Tage mit uns mitzufahren. Und wir freuen uns natürlich auch darauf, unseren Freunden die Schönheiten des Canal du Nivernais zeigen zu können.
Eure Webpage müsste verboten werden…
Eigentlich bin ich ja nur kurz vorbei gekommen, weil ich eure Seite bei Recherchen für meine bevorstehende Reise zum Mittelmeer gefunden haben. Der Besuch hat drei Stunden gedauert. Unglaublich welch Fülle an Informationen ihr zusammen getragen habt und spannend aus eigenem Erleben detailliert beschreibt. Herzlichen Dank dafür, ich habe eine Menge für meine eigene Reise lernen dürfen.
Ich wünsche uns allzeit gute Fahrt und vielleicht begegnen wir uns, wenn ich in 2009 von Lemmer/NL zum Mittelmeer unterwegs bin.
Martin
http://www.sy-merger.de