Baye – Auxerre
(Canal du Nivernais; 110 Kilometer, 81 Schleusen)
In Baye stossen unsere Pfäffiker Freunde Silvia und Andy zu uns, die uns ein paar Tage über Auffahrt begleiten werden. Für uns ist es immer wieder schön, Freunde, Bekannte und Verwandte an Bord begrüssen zu dürfen. Schliesslich haben wir unsere Gästekabine nicht umsonst einen Winter lang von Grund auf neu aufgebaut!
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Bei der Wegfahrt von Baye wird es spannend: Vor uns liegt ein 3.5 km langer Kanalabschnitt mit 3 Tunnels. Der Kanal ist hier so eng, dass ein Kreuzen nicht möglich ist, weshalb der Schiffsverkehr im Einbahnsystem mit Lichtsignalen geregelt wird.
Nach den drei Tunnels wartet ein besonderer Leckerbissen der Wasserbaukunst auf uns: Eine Treppe von 16 Schleusen auf einer Länge von 3 Kilometern! Unsere Gäste betätigen sich eifrig als Hilfsschleusenwärter, was erstens die Arbeit der Berufsschleusenwärter erleichtert und zweitens unsere Wartezeiten vor und in den Schleusen merklich verkürzt.
In der Schleusentreppe lebt, wohnt und arbeitet auch der Schleusenwärter «Gérard l’Indien», also Gerhard der Indianer. Zusammen mit seinem Dackel und dem Schleusenwärterhäuschen ist er ein Gesamtkunstwerk.
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Nach der Schleusentreppe von Sardy weitet sich das Tal und wir fahren an Corbigny vorbei, wo eine Basis der Mietbootfirma Locaboat beheimatet ist. Wir selber machen Halt in Chitry-les-Mines.
Der Kanal ist hier sehr untief, weshalb wir am Quai festmachen und nicht ins Hafenbecken fahren. Über Nacht sinkt das Wasser noch einmal, sodass unser Skipperkollege Bob mit seiner Englischen Dutch Replica Barge – obwohl diese lediglich 85 cm Tiefgang hat! – im Hafenbecken aufsitzt und von einem freundlichen Mietböötler freigeschleppt werden muss.
In Chitry-les-Mines ist übrigens Ted Johnson zuhause, der über ein reichhaltiges Lager an Dieselmotoren- und Schiffszubehör verfügt: www.marine-diesel.fr.
Nach einer kühlen und regnerischen Periode scheint endlich die Sonne wieder. Die vielen blühenden Pflanzen und Bäume verströmen einen intensiven Duft in allen möglichen Duftnoten.
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In Tannay gehen wir zusammen mit einem englischen Ehepaar wieder einmal auswärts essen, ins «Hotel et Restaurant du Morvan», direkt neben der Basis Bootsvermietung «Crown Blue Line». Wir hätten es nicht tun sollen. So schlecht haben wir in Frankreich noch gar nie gegessen. Theoretisch wäre es Rehpfeffer gewesen, aber praktisch erinnert es stark an Büchsen-Hundefutter an einer braunen Mehlpappe. Die Rechnung können wir nur nach der Plausibilitätsmethode überprüfen, weil der Wirt auch nach längerem geduldigem Zureden nicht in der Lage ist, eine detaillierte Rechnung auszustellen. Wären wir allein gewesen, hätten wir das Essen retourniert und die undetaillierte Rechnung nicht bezahlt.
Dafür lernen wir wenig später im Hafen das Schweizer Ehepaar Lisbeth und Walti kennen, die seit 9 Jahren ganzjährig auf dem Schiff leben. Natürlich sitzen wir einen ganzen Nachmittag und Abend zusammen und tauschen Erfahrungen aus, wobei vor allem wir profitieren. Sie schwärmen solange von der Fahrt auf der Seine zwischen Paris und Rouen, bis wir uns ernsthaft überlegen, von Paris aus nicht die Marne zu befahren, sondern die Seine nach Rouen und zurück.
Zwischen Chitry-les-Mines und Clamecy überspannen mehrere Hebebrücken den Kanal. Sie müssen mittels einer Kurbel gehoben werden. Charlotte fährt jeweils mit dem Fahrrad voraus und kurbelt die Brücken hinauf und hinunter, was trotz einem ansehnlichen Gegengewicht relativ mühsam ist.
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Wer den Canal du Nivernais schon befahren hat, wird Clamecy kennen, das alte Holzflösserstädtchen. In seinem Buch «Cruising French Waterways» schreibt Hugh McKnight, es sei «the only substantial town on the waterway between Auxerre and Decize».
Clamecy liegt an der Nahtstelle zwischen dem Morvan, dem Nivernais und dem Niederburgund. Charakteristisch für die Altstadt sind die engen, gewundenen Gässchen. Da Clamecy am Zusammenfluss der Flüsschen Yonne und Beuvron liegt und ein ganzes Netz von Wassergräben und kleinen Kanälen durch Teile des Städtchens fliesst, spricht man auch – leicht übertrieben – vom burgundischen Venedig.
Der hier geborene Romain Rolland, ein französischer Schriftsteller, der 1916 den Literaturnobelpreis erhielt, hat Clamecy als «Stadt des schönen Lichts und der sanften Hügel» beschrieben.
Aber Clamecy hat, schaut man etwas genauer hin, auch schon bessere Zeiten erlebt. Es ist deprimierend, wieviel Bausubstanz hier einfach still vor sich hin zerfällt, und es werden Erinnerungen an die DDR vor dem Mauerfall wach.
Gleich ergeht es uns in Châtel-Censoir, das majestätisch auf einem Hügel über dem hübschen, kleinen Hafen thront.
Man versichert uns zwar, übers Wochenende kämen die Hausbesitzer aus Paris und dann sei es nicht so ausgestorben. Aber am schleichenden Zerfall der alten, wunderschönen Gebäude ändert das auch nichts. Bei unseren Velotouren über Land sehen wir allerdings, dass bereits eine neue Entwicklung eingesetzt hat. Ausländer, hauptsächlich Holländer und Engländer, kaufen alte Liegenschaften und renovieren sie liebevoll.
Das Restaurant Central, in welchem wir im Juni 2004, damals noch mit einem Mietboot unterwegs, ein sensationelles Couscous assen, ist «Fermé» und «À vendre». Nur – wer will hier ein unternehmerisches Risiko eingehen?
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Berühmt sind die Felsen von Sossois, an welchen man nicht achtlos vorbeifahren sollte.
Diese Felsen sind ein beliebtes Übungsrevier für Kletterer.
Aber eine ganze Felsenpartie ist für Kletterer gesperrt, weil hier ein Wanderfalkenpärchen nistet; es gibt in ganz Frankreich nur noch 1500 Wanderfalken. Wir suchen die Wand mit dem Teleobjektiv ab – und da ist der Jungfalke doch! Gut getarnt und gerade damit beschäftigt, seine Flügel auszuprobieren!
Auf der Höhe der Felsen von Sossois teilen sich Fluss und Kanal. Man ist gut beraten, in den schmalen Kanal einzubiegen, weil der Fluss wenig später über ein Wehr hinunterstürzt.
Und weil wir für die Leser unserer Homepage (mittlerweile sind es monatlich weit über tausend!) weder Mühe noch Kosten scheuen, haben wir die Felsen von Sossois erklettert, um die Vogelperspektive auch noch zeigen zu können.
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In Mailly-la-Ville bleiben wir eine Woche lang am Ponton. Strom (allerdings nicht einmal 4 Ampère) und Wasser sind gratis und es gibt einen guten Bäcker, einen guten Metzger und ein gottverlassenes Bahnhöfli. Herbie Parfitte, ein ansässiger Schiffsmechaniker und –elektriker (06 27 14 72 25), wechselt uns während unseres Aufenthaltes zwei Keilriemen und den Luftfilter am Schiffsdiesel.
Die übrige Zeit widmen wir ausgedehnten Velotouren in dieser grossartigen, nur dünn besiedelten Gegend. Auch wenn es an Landesverrat grenzt: Wenn wir jeweils nach längerem Auslandaufenthalt in die Schweiz zurückkommen, müssen wir uns zuerst klaustrophobischer Gefühle erwehren – wo ein Dorf zu Ende ist, beginnt schon das nächste.
In der Schweiz sind Magerwiesen zur Rarität geworden, aber hier im Burgund gibt es für das Vieh ausschliesslich Magerwiesen.
Dank unserem GPS finden wir übrigens immer wieder zum Schiff zurück; wir haben auf die 2 Giga-Chips des Garmin nicht weniger als 243 Karten im Massstab 1:25’000 geladen!
Hier in Mailly-la-Ville kommt auch unsere Tochter für zwei Wochen zu uns in die Ferien, darauf haben wir uns schon lange gefreut. Höchste Zeit also, dass wir weiterfahren.
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Unterwegs machen wir noch Halt in Bailly, wo eine Winzerkooperative den Crémant de Bailly nach der Champagner-Methode keltert. Das Besondere sind die Keller dieser Kooperative. Bereits um das Jahr Tausend wurden aus dem Felsen von Bailly Kalkplatten zum Bau der Häuser in Paris geschnitten und im Laufe der Jahrhunderte wurden die unterirdischen Gewölbe immer ausgedehnter. Heute umfassen sie nicht weniger als vier Hektaren, und auf dieser Fläche lagern bei idealer Temperatur und Luftfeuchtigkeit sieben Millionen Flaschen.
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Wenige Kilometer und Schleusen nach Bailly passieren wir die 81. und damit letzte Schleuse auf dem Canal du Nivernais seit Baye.
Vor uns liegt Auxerre, eine der ältesten Städte Burgunds und Hauptstadt des Departements Yonne (89) mit rund 40’000 Einwohnern. Sie liegt auf einem Hügel etwas über der Yonne, welche weiter unten in die Seine fliesst. Hoch über der Yonne und dominant thronen eine Kathedrale und zwei mächtige Kirchen, deren Chorhäupter eigenartigerweise alle zum Fluss gerichtet sind. Einen Rundgang wert ist auch das alte Stadtzentrum, das fast vollständig unter Denkmalschutz steht, mit vielen schön restaurierten Riegelhäusern.
Jahrhundertelang spielte Auxerre eine bedeutende Rolle als Zentrum der Holzflösserei und der Flussschifffahrt. Gastrotip: Das vom gleichnamigen Ehepaar geführte Restaurant «Barnabet» mit feinster burgundischer Küche (14, Quai de la République, 03 86 51 68 88).
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Unsere französischen Freunde Rudy und Josiane, welche wir letztes Jahr unterwegs kennen gelernt haben, sind mit ihrer Yacht die Yonne aufwärts gefahren und haben hier auf uns gewartet. Weiter hinauf können sie nicht fahren, denn für den Nivernais ist ihre Yacht zu hoch und zu tief. Mit Rudys und Josianes Hilfe machen wir uns auf, um drei Fragen zu klären. Erstens: Wie sieht es hinter diesen Altstadtmauern aus? Zweitens: Was lagert im Weinkeller eines burgundischen Privathauses? Drittens: Wie lange ist ein (weisser) Chablis – gekeltert aus der Chardonnay-Rebe – haltbar? Man sieht, wir arbeiten hart und nehmen auch gröbere Strapazen auf uns, um unsere Reiseberichte etwas aufzupeppen.
Zur ersten Frage, wie es wohl hinter diesen Altstadtmauern am Fuss der Kathedrale aussieht. Hier wohnen Claude und Marie Daudet und sie sind gerne bereit, unsere Neugier zu stillen.
Die Antwort: Diese Altstadtmauern umgeben einen idyllischen Garten von südlichem Charme. Wer hätte hier ein solches Paradiesli vermutet?
Das Haus Daudet ist insofern ein Glücksfall, als Claude ein Weinkenner und Weinsammler ist, dessen tiefe, kühle und weder zu trockene noch zu feuchte Kellergewölbe wahre Schätze beherbergen. Damit wird die zweite Frage beantwortet, wobei wir nicht behaupten wollen, unter jedem burgundischen Haus liege ein derartiger Weinkeller…
Und um unsere dritte Frage zu beantworten, entkorkt Claude Daudet sorgfältig einen Chablis 1er cru mit dem Jahrgang 1970. Ein 37-jähriger Weisswein? Das kann ja nicht gut gehen! Um es kurz zu machen: Der Chablis ist eine Wucht. Die Fülle konzentrierter Aromen explodiert richtiggehend im Mund. Natürlich müssen zwei Faktoren zusammen kommen: Ein hervorragend vinifizierter Wein und ein Felsenkeller mit einer konstant tiefen Temperatur und einer ebenso konstanten idealen Luftfeuchtigkeit.