Bericht 32, August 2007

Le Havre* – Dormans – Saint-Mammès – Paris – Meaux – Paris – Moret-sur-Loing

(Seine, Oise, Seine, Marne, Seine, Le Loing, 592 Kilometer, 41 Schleusen)

Route Vernon – Moret-sur-Loing

Route Vernon – Moret-sur-Loing

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Von Vernon aus fahren wir bei mässiger Gegenströmung seineaufwärts. Unterwegs ruft uns der Berner Ständerat Hans Lauri an, der mit seiner Frau aus seinen Ferien auf dem Weg nach Hause ist. Wo wir seien? Ob er mit seiner Frau auf einen Sprung bei uns hereinschauen dürfe?

Am Ponton von Limay...

Am Ponton von Limay…

...in einem Seitenarm der Seine

…in einem Seitenarm der Seine

Ja selbstverständlich! Schliesslich waren Hans Lauri und Christian als Finanzdirektoren seinerzeit Berufskollegen, der eine in Bern, der andere in Zürich. Wir geben Lauris unsere genaue Position durch und am nächsten Tag, gerade rechtzeitig zu Kaffee und Gipfeli, kommen Lauris in Limay an Bord.

Doris Lauri, Hans Lauri und Charlotte

Doris Lauri, Hans Lauri und Charlotte

Es wird ein ausgiebiger Zmorge und ebenso ausgiebig wird an Bord von Kinette wieder einmal politisiert, die Zeit vergeht im Sauseschritt.

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Nachdem uns Lauris verlassen haben, besichtigen wir das Städtchen Mantes-la-Jolie am anderen Ufer der Seine. Auch dieser Ort ist geschichtsgetränkt. Henri IV entschloss sich hier 1593, vom protestantischen zum katholischen Glauben zu konvertieren und erklärte dies einem seiner hugenottischem Minister mit den Worten: «Was wollt Ihr? Wenn ich mich weigern würde, dem protestantischen Glauben abzuschwören, gäbe es bald kein Frankreich mehr!» Im Laufe der Zeit wurde dieser Ausspruch dann etwas süffiger überliefert als «Paris ist eine Messe wert».

Die Collégiale de Notre-Dame von Mantes-la-Jolie

Die Collégiale de Notre-Dame von Mantes-la-Jolie

Sehenswert ist jedenfalls die Kirche Notre-Dame, deren Bau im Jahre 1170 begonnen wurde und eine Augenweide ist das Dach der Kirche mit seinen über 50’000 farbig glasierten Ziegeln.

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Dann geht es weiter seineaufwärts. Obwohl jetzt – Ende Juli/anfangs August – ferientechnisch gesehen Hochsaison ist, hat es praktisch keine Freizeitschifffahrt auf dem Fluss. Wir sind schon deshalb froh darum, weil Liegeplätze an der Seine Mangelware sind. Dennoch schaffen wir es immer, abends einen Liegeplatz zu finden.

Wir haben die Seine ganz für uns

Wir haben die Seine ganz für uns

Einmal allerdings nur mit Schwierigkeiten. In Chatou liegen am 40 m langen Quai zwei kleine Yachten, je etwa 10 m lang, mit holländischer Flagge. Sie haben so festgemacht, dass wir weder vor noch hinter noch zwischen ihnen anlegen können. Wir fahren langsam heran und fragen den Eigner der vorderen Yacht, ob er nicht freundlicherweise umparkieren könnte. Die Antwort ist klar und unmissverständlich: «Ich habe jetzt festgemacht und bleibe, wo ich bin.» Auf unseren freundlichen Hinweis – in gepflegtem Holländisch – das entspreche nicht gerade den üblichen Sitten, kommt die barsche Erwiderung: «Wenn Ihr schon ein grosses Schiff fahren wollt, müsst Ihr auch die Konsequenzen tragen!» Christian zögert keinen Augenblick und sagt ganz ruhig: «Schauen Sie unser Schiff gut an, Mijnheer, und merken Sie sich den Namen: Kinette. Wo immer und wann immer Sie auf uns treffen, dürfen Sie jederzeit längsseits von uns anlegen, wenn Sie einmal keinen Platz finden!» Der Mann verschwindet mit hochrotem Kopf in seinem Boot und taucht nicht mehr auf. Uns bleibt nichts anderes übrig, als umzukehren und im Oberwasser der vorherigen Schleuse zusammen mit der Berufsschifffahrt zu übernachten. Dort werden wir denn auch freundlich willkommen geheissen.

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Die Ufer der Seine sind unter- und oberhalb von Paris das, was die Goldküste am Zürichsee ist. Eine Prachtsvilla reiht sich an die andere.

Die Goldküste von Paris

Die Goldküste von Paris

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Nach sechs Fahrtagen fahren wir in Paris ein. Es ist jedes Mal ein erhebendes Gefühl, wenn das Urmodell der New Yorker Freiheitsstatue und der Eiffelturm in Sicht sind.

Blick von der Seine auf Freiheitsstatue und Eiffelturm...

Blick von der Seine auf Freiheitsstatue und Eiffelturm…

...und umgekehrt: Blick vom Eiffelturm auf Seine und Freiheitsstatue

…und umgekehrt: Blick vom Eiffelturm auf Seine und Freiheitsstatue

Wir fahren an der Notre-Dame vorbei und biegen dann über backbord ab in die Schleuse, welche zum Hafen Paris-Arsenal führt. Der Port de Plaisance de Paris-Arsenal ist der einzige, ganzjährig geöffnete Hafen für Freizeitschiffe in Paris. In der Saison gibt es noch den Port de Grenelle in einem Seitenarm der Seine, dem Bras de Grenelle. Dieser Hafen liegt direkt am Fuss des Eiffelturms, ist aber wegen der zahlreichen vorbeifahrenden Passagierboote sehr unruhig. Paris-Arsenal hingegen ist durch eine Schleuse von der Seine getrennt (siehe Bericht Nr. 30). Liegeplätze sind in der Hochsaison ziemlich Mangelware und eine Reservation ist nicht möglich. Aber wir haben Glück und der Hafenmeister weist uns einen Platz zu. Wir bezahlen zwar € 58.10 Liegegebühr pro Tag, aber dafür sind wir mitten in Paris – und erst noch in der eigenen Wohnung!

Notre-Dame

Notre-Dame

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Wir bleiben einige Tage im Arsenal und erkunden Paris wie ein paar hunderttausend andere Touristen auch. Während dieser Tage findet der Sommer statt und die Stadtverwaltung hat für die Daheimgebliebenen am Seineufer einen veritablen Sandstrand aufgebaut.

Côte Azur an der Seine

Côte Azur an der Seine

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Aber zuverlässig kehrt schon bald das schlechte Wetter zurück, das uns diesen «Sommer» treu begleitet hat, richtiges Museumswetter also. Nachdem wir in Giverny in Monets Gärten seine Vorlagen besichtigt haben,…

Seerose im Seerosenteich in Monets Garten...

Seerose im Seerosenteich in Monets Garten…

…besichtigen wir im Musée de l’Orangerie die berühmten riesigen Seerosenbilder.

...und in einem seiner monumentalen Seerosenbilder (Detailausschnitt)

…und in einem seiner monumentalen Seerosenbilder (Detailausschnitt)

Wir haben in Giverny die Gärten von Claude Monet bestaunt, weshalb es für uns ein besonderes Erlebnis ist, die malerische Umsetzung durch diesen grossen Impressionisten zu betrachten. Unlängst wurde die Orangerie umgebaut, wobei die Decke geöffnet und Oberlichter aufgesetzt wurden. Jetzt kann man Monets Bilder bei Tageslicht bestaunen, so, wie er es seinerzeit gewünscht hat.

Im Musée de l’Orangerie

Im Musée de l’Orangerie

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In Paris stösst Viktor zu uns, ein Journalist, den Christian von seiner früheren Tätigkeit als Staatsanwalt und Oberrichter her kennt. Er hat sich vier Tage freigeschaufelt. Davon gehen zwei für Hin- und Rückreise weg, bleiben zwei Fahrtage. Wir entschliessen uns, mit ihm seineaufwärts zu fahren und dann in die Marne einzubiegen. Nach einer Übernachtung in Lagny legen wir am nächsten Tag in Meaux an, der Heimat eines der berühmtesten französischen Käse, des Brie de Meaux.

In unseren Navigationsunterlagen steht: «River flows through mooring. Parking can be tricky. Watch the current.» Da es in den letzten Tagen immer wieder geregnet hat, ist die Strömung der Marne kräftig und das Anlegen quer zur Strömung zwischen zwei Schiffen verspricht unterhaltsam zu werden. Also zuerst wenden, um gegen die Strömung in Flussmitte auf die Höhe der quer zur Strömung liegenden Pontons heranfahren zu können, dann entschlossen abdrehen und mit voller Kraft hineinfahren. Mit viel Glück (Version Charlotte) resp. viel Können (Version Christian) gelingt ein perfektes Anlegemanöver.

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Liegeplatz quer zur Strömung in Meaux

Liegeplatz quer zur Strömung in Meaux

Einen Besuch wert ist der ehemalige Bischofspalast mit seinem wundervollen Garten. Kirchliche Würdenträger haben es bekanntlich seit jeher geschätzt, hienieden äusserst standesgemäss zu wohnen. Den sozialen Wohnungsbau haben sie jedenfalls nicht erfunden.

Der Bischofspalast in Meaux

Der Bischofspalast in Meaux

Den Samstagsmarkt in Meaux darf man sich übrigens keinesfalls entgehen lassen. Wer Fisch und Meerfrüchte liebt, ist hier im Schlaraffenland.

Fischstand am Markt in Meaux

Fischstand am Markt in Meaux

Aber nicht nur Fisch gibt’s am Markt in Meaux, sondern auch Früchte. Und weil Zwetschgensaison ist, duftet es in der Schiffsküche bald lecker nach Zwetschgenwähe.

Mhm! Zwetschgenwähe!

Mhm! Zwetschgenwähe!

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In Meaux steigen unsere Freunde Karl und Brigitte zu, die uns die kommende Woche begleiten werden. Wir fahren mit ihnen weiter die Marne aufwärts, Richtung Champagne.

Karl und Brigitte sind in Meaux zugestiegen

Karl und Brigitte sind in Meaux zugestiegen

Laut der Flusskarte, der Navicarte 3 «La Marne de Paris à Vitry-le-François», ist La Ferté-sous-Jouarre eine «angenehme kleine Stadt, am Zusammenfluss der Marne und des kleinen Morin gelegen» und «bietet schöne, erfrischende Spazierwege entlang der Flüsse». Wer will sich denn schon «erfrischende Spazierwege» entgehen lassen und so legen wir hinter einer kleinen Insel an einem Ponton an. Dieselbe Flusskarte vermeldet, dass diese Stelle nicht durchgehend befahrbar ist, sodass man entweder rückwärts hinein- oder rückwärts hinausfahren muss.

La-Ferté-sous-Jouarre

La-Ferté-sous-Jouarre

Wir fahren vorwärts hinein und werden dreifach belohnt: Erstens mit einem idyllischen Liegeplatz, zweitens mit der (zutreffenden) Mitteilung eines Einheimischen, der Seitenarm sei soeben ausgebaggert worden und deshalb durchgehend befahrbar und drittens mit einer hübschen Fernsehjournalistin von TF 3, die uns, nachdem wir den Französischtest im Vorinterview offensichtlich bestanden haben, über unser Leben auf dem Wasser befragt.

Das französische Fernsehen an Bord

Das französische Fernsehen an Bord

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Das Wetter bleibt weiterhin kühl und regnerisch, eher November- als Augustwetter. Die Marne führt jedenfalls viel Wasser, was im Bereich der Flusswehre ziemlich spektakulär aussieht.

Ein Flusswehr in der Marne

Ein Flusswehr in der Marne

Diese Flusswehre zeigen übrigens den Höhenunterschied, den man jeweils mit der daneben liegenden Schleuse überwindet.

Die Marne führt viel Wasser

Die Marne führt viel Wasser

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Wir sind jetzt in der Champagne und an den Hängen reifen die Trauben.

Die Weinberge der Champagne

Die Weinberge der Champagne

Wegen des sommerlichen Wetters im April sind die Trauben früher reif als üblich. Die erste Lese wird bereits Ende August stattfinden, sobald es einige Tage trocken ist, was ja dann auch der Fall ist. Aber ob 2007 ein grosser Jahrgang sein wird?

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Eigentlich wären wir gerne weiter stromaufwärts gefahren, ins Epizentrum der Champagne-Produktion hinein, nach Epernay. Aber die starke Gegenströmung macht uns einen Strich durch die Rechnung. Zwar hat unser kräftiger Schiffsdiesel mit seinen 158 PS keinerlei Probleme damit, Kinette pflügt mit rund 10 km/h stromaufwärts. Aber der Dieselverbrauch ist höher als kalkuliert und die nächste Dieseltankstelle für Schiffe ist in Saint-Mammès, rund 230 km entfernt. Also fahren wir nach einer Übernachtung in Dormans wieder stromabwärts nach Meaux, wobei sich die Marnelandschaft wieder von einer völlig anderen Seite zeigt. Das Anlegemanöver in Meaux gelingt wiederum tadellos, dank Glück (Version Charlotte) resp. Können (Version Christian). In Meaux heisst es Abschied nehmen von Karl und Brigitte, die uns eine Woche voll von Eindrücken und Erlebnissen begleitet haben.

Wieder in Meaux

Wieder in Meaux

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Aber diesen Monat geben sich – zu unserer Freude – unsere Freunde quasi die Klinke in die Hand. Marianne und Dani waren unsere Nachbarn, als wir noch in unserem Haus in Pfäffikon wohnten. Dank TGV und RER (einer Art S-Bahn) sind sie in einem halben Tag von Pfäffikon nach Meaux gereist. Auf unserer viertägigen Reise nach Saint-Mammès lassen wir sozusagen das volle Programm laufen: Fluss, Kanal, Tunnels und Schleusen.

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In Alfortville, beim Zusammenfluss von Seine und Marne, hat Christian eine besondere Überraschung bereit. Anstatt scharf nach links abzubiegen, um seineaufwärts Richtung Melun und Saint-Mammès zu fahren, fährt er weiter seineabwärts. Wenn schon volles Programm, dann richtig: Wir fahren seineabwärts nach Paris, durch Paris hindurch, bei der Freiheitsstatue eine 180°-Wendung, in den Bras de Grenelle hinein und wieder seineaufwärts, an der Kathedrale Notre-Dame vorbei bis zum Port de Paris-Arsenal, wo wir übernachten.

Rundfahrt durch Paris

Rundfahrt durch Paris

Eine grössere Freude hätten wir unseren Gästen kaum machen können. Es ist auch für uns jedes Mal ein Erlebnis, am Steuer des eigenen Schiffes mitten durch Paris zu fahren.

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Es wurde uns verschiedentlich gesagt, es sei schwierig, mit dem Schiff selbst durch Paris zu fahren. Der Berufsverkehr – Ausflugsboote, Frachtschiffe etc. – sei sehr dicht und die Verkehrsregelung mit Lichtsignalen sowie der Wechsel von Rechts- zu Linksverkehr sei kompliziert. Wir erlebten die Seine nicht als stressig. Wenn man sich möglichst steuerbord, also rechts hält, die Berufsschifffahrt nicht behindert und sich im Zweifelsfall per Funk abspricht (was einwandfrei klappt!), dann ist man um ein grossartiges Erlebnis reicher. Wir jedenfalls werden nach Paris zurückkehren. Bald sogar!

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Von Paris aus fahren wir wieder seineaufwärts und übernachten am Quai von Melun. Diese Stadt wurde zur Zeit der Capetinger Eigentum der jeweiligen Königinwitwe, der sogenannten weissen Königin. Adèle de Champagne und Blanche von Kastilien, zwei solcher Witwen, gründeten während ihres Aufenthalts Frauenklöster. Der älteste Teil von Melun liegt auf einer Insel in der Seine, welche heute von einem Gefängnis – angesichts des baulichen Zustands möchte man lieber von einem Zuchthaus sprechen – dominiert wird. Eine besondere Art klösterlichen Lebens jedenfalls.

Das Gefängnis auf der Insel von Melun

Das Gefängnis auf der Insel von Melun

Der Ruf der französischen Gefängnisse ist nicht eben gut, sie sind überfüllt und veraltet. Aber nachdem soeben publik wurde, dass ein zu 20 Jahren verurteilter Pädosexueller, der kurz nach seiner vorzeitigen Entlassung einen kleinen Buben entführte und vergewaltigte, vom Gefängnisarzt Viagra verschrieben bekommen hatte, haben wir den Eindruck, es könne nicht ganz so schlimm sein.

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Oberhalb von Melun sind wir wieder an der Goldküste, wobei hier allerdings eine Art Zuckerbäckerstil vorherrscht.

Zuckerbäckerstil an der Goldküste

Zuckerbäckerstil an der Goldküste

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Dann, zwei Tage nach unserer Abfahrt aus Paris, legen wir an der Tankstelle in Saint-Mammès an. Christian, der nach der Fahrt gegen die starke Strömung abends jeweils besorgt den Tankinhalt überprüft hat, kann endlich aufatmen.

Auftanken in Saint-Mammès

Auftanken in Saint-Mammès

Nach dem Auftanken biegen wir in das Flüsschen Loing ein und finden einen ruhigen Liegeplatz direkt vor der ersten Schleuse des Canal du Loing.

Moret-sur-Loing

Moret-sur-Loing

Dani und Marianne gehen von hier aus auf den Zug nach Paris, während Charlotte einen Tag später ebenfalls für einige Tage in die Schweiz reist. Zurück bleibt Christian, der das Schiff hütet und die gottseidank beschränkte Zeit als Strohwitwer geniesst.

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