Moret-sur-Loing – Paris – Conflans-Sainte-Honorine – Paris – Moret-sur-Loing – Briare
(Le Loing, Seine, Oise, Seine, Canal du Loing, Canal de Briare; 435 Kilometer, 60 Schleusen)
Die Zeit als Strohwitwer hat Christian ohne sichtbare Schäden überstanden. Eine Freilichtaufführung von Molières «Bourgeois Gentilhomme» am Ufer des Loing vor der malerischen Kulisse des mittelalterlichen Städtchens, ein Ölwechsel am Schiffsdiesel, ein Ausflug ins nahe gelegene Schloss Fontainebleau, das Velomuseum sowie ein mit Maigret-Romanen gut assortierter Schiffsnachbar haben ihm über die frauenlose Zeit hinweg geholfen.
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Mit der Rückkehr von Charlotte aus der Schweiz gibt es aber kein Halten mehr: Schon am nächsten Tag werden die Leinen losgeworfen. Erstes Ziel ist wieder Conflans-Sainte-Honorine, wo wir unserem Armaturenbrett neue Anzeigeinstrumente verpassen wollen. Weil Kinette ein ehemaliges Frachtschiff und keine Yacht ist, lassen wir Instrumente einbauen, die in der Berufsschifffahrt Verwendung finden, und wir lassen dies durch eine Firma machen, die beinahe ausschliesslich für die Berufsschifffahrt tätig ist.
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Zwischen Moret-sur-Loing und Paris liegen rund 100 Kilometer und 5 Grossschleusen, und wir rechnen damit, diese Strecke in zwei Etappen zu fahren. Aber erstens fahren wir mit der Strömung, zweitens fahren wir mit etwas höherer Drehzahl als gewohnt, um den Schiffsdiesel wieder mal so richtig «durchzuputzen» und drittens können wir alle Schleusen ohne Wartezeiten passieren, weil wir uns jeweils rechtzeitig per Funk anmelden. Die Gischt schäumt an Kinettes Bug, der sich elegant durchs Wasser pflügt und wir singen im Steuerhaus vor lauter Lust am Leben.
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Nach neuneinhalb Stunden Fahrt legen wir mitten im Paris am Fuss des Eiffelturms an. Der Port de Plaisance Paris-Tour Eiffel am Quai de Grenelle ist in der Saison meistens restlos besetzt. Jetzt, anfangs September, finden wir problemlos einen Platz. Das mag auch damit zu tun haben, dass Yachtskipper ungern hier liegen, weil sie von den vielen Bateaux-Mouches kräftig durchgeschaukelt werden. Bei unserer Tonnage bewirkt das höchstens ein einschläferndes Wiegen.
Wir haben kaum die Leinen am Quai festgemacht, kommt schon Bob Marsland, der Skipper von «La Chouette», neben welcher wir anfangs Juli im Bassin de la Villette fünf Tage lang lagen, um uns zu begrüssen. Jerry und Suzanne seien auch hier, erzählt er. Die Beiden verbrachten den Winter mit uns in Roanne und wir haben sie seit unserer Wegfahrt Ende April nicht mehr gesehen.
Wir hätten ihr Schiff «La Lavande» nicht mehr wieder erkannt: Sie haben es neu streichen und ein wunderschönes neues Steuerhaus aus Teakholz bauen lassen. Die Schönheitskur hat der vorher lavendelfarbenen «Lavande» gut getan!
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Diesmal bleiben wir nur eine Nacht in Paris und fahren am nächsten Morgen weiter.
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Als erstes müssen wir die Dreifachschleuse von Suresnes passieren. Wir rufen die Schleuse am Funk auf: «Suresnes pour bateau Kinette», worauf eine freundliche Frauenstimme antwortet: «Kinette bonjour, j’écoute». Jetzt melden wir uns an: «Bonjour madame, petite péniche de plaisance avalante», also kleines Frachtschiff, Vergnügungsfahrzeug, zu Tal fahrend. Die Dame im Kontrollturm weist uns ein: «La petite est prête pour vous, Monsieur». Das tönt doch geradezu pariserisch-paradiesisch: «Die Kleine ist bereit für Sie, Monsieur!» Man könnte richtig ins Träumen kommen! Aber ein Schelm, wer hier Schlimmes denkt, denn wir kommunizieren hier ja nicht mit einer Puffmutter, sondern mit der Schleusenwärterin von Suresnes. Mit «la petite» ist die mittlere und kleinste der drei Schleusen gemeint, die aber immer noch so gross ist, dass wir uns ganz verloren darin vorkommen.
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Nach dem Passieren der Schleuse von Suresnes können wir wieder aufdrehen und die Gischt schäumen lassen: Bis zur nächsten Schleuse sind es 32 Kilometer. In voller Fahrt passieren wir den Halte de Plaisance von Chatou, wo wir das Erlebnis mit dem wenig entgegenkommenden holländischen Yachtskipper hatten (Bericht Nr. 32). Jetzt liegt kein einziges Schiff am Quai, die Saison ist vorbei, die Holländer sind wieder zuhause. Für die knapp siebzig Kilometer von Paris nach Saint-Mammès benötigen wir exakt fünfdreiviertel Stunden, in denen wir die Seine praktisch für uns allein haben.
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Am frühen Nachmittag legen wir längsseits am Schiff unseres Elektrikers Christophe Garcera (siehe Bericht Nr. 31) an und einer seiner Mitarbeiter macht sich schon kurze Zeit später an die Arbeit.
Nachdem wir im Juli längere Zeit längsseits des Schiffs von Christophe und Maria gelegen hatten, ist es jetzt, wie wenn wir nach Hause kämen: Der kleine Marc ist kräftig gewachsen und strahlt uns an, während uns Kater Tom um die Beine streicht. Am Ufer knistert schon das Holzfeuer fürs Barbecue.
Wir lassen eine neue Kontrolleinheit für unser kombiniertes Umformer/Ladegerät sowie ein neues Schalttableau einbauen, in welchem alle Schalter für Positionslichter, Schweinwerfer, Scheibenwischer, Ankerlicht etc. übersichtlich zusammengefasst sind. Wenige Tage später können wir die Systeme durchtesten, und nach den üblichen Anlaufschwierigkeiten funktioniert alles so, wie es sollte. Ob das alles dringend nötig war oder ob es sich eher um ein hübsches Spielzeug für den Kapitän handelt, ist zwischen demselben und dem I. Offizier etwas umstritten, aber beide haben Freude an der neuen Instrumentierung und es herrscht eitel Minne im Steuerhaus.
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Einmal mehr machen wir uns auf den Weg nach Paris, einmal mehr beeindrucken uns die Silhouette der Défense, der Eiffelturm und die zahlreichen prächtigen Brücken und einmal mehr fahren wir in den Port de Plaisance Paris-Arsenal ein. Wir sind hier bald Stammgäste und haben für eine Woche einen Platz reservieren können.
Der Hafenmeister lacht, wie wir uns gewohnheitsmässig am Funk als «petite péniche de plaisance» anmelden. «23 mètres, ça n’est pas petit!» meint er. Aber in den Grossschleusen der Seine (110 m lang und 11.4 m breit) sind wir im Gegensatz zu den 38-m-Péniches nur eine kleine Péniche, von den mehr als hundert Meter langen Schubverbänden ganz zu schweigen… Im Arsenal können aber nur Schiffe bis 25 m anlegen, und da gehören wir halt zur ersten Liga.
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Im Arsenal warten schon unsere Freunde von der «Éclaircie», Bill und Nancy auf uns. «Éclaircie» lag ja früher in Roanne dort, wo heute – genauer gesagt, vergangenen und kommenden Winter – «Kinette» lag und wieder liegen wird. Bill und Nancy haben ihr Herz an Paris verloren und einen Jahresliegeplatz im Arsenal gemietet. Wir feiern unser Wiedersehen mit einem Nachtessen in einem kleinen Restaurant, das als Geheimtipp gehandelt wird. Wir verraten deshalb nicht, dass das «Le Petit Marché» an der 9, rue de Béarn liegt und telefonische Reservationen unter 01 42 72 06 67 entgegennimmt. Es soll ja schliesslich ein Geheimtipp bleiben.
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Der Port de Plaisance Paris-Arsenal liegt am Anfang des Canal Saint-Martin.
Derselbe Canal Saint-Martin ist übrigens Schauplatz des Kriminalromans «Maigret et le corps sans tête» («Maigret und die Leiche ohne Kopf») von Georges Simenon. Der Roman beginnt mit einem eher makabren Leichenfund in der «Écluse 6 des Récollets», die wir auf dem Weg ins Bassin de la Villette auch schon befahren haben. «Périodiquement, on retirait un cadavre du Canal Saint-Martin, presque toujours à cause d’un mouvement d’une hélice de bateau» («Von Zeit zu Zeit zog man eine Leiche aus dem Canal Saint-Martin, beinahe immer wegen der Bewegung einer Schiffsschraube»). Jedes Mal, wenn wir den Canal Saint-Martin befahren, läuft uns ein leichter Schauer den Rücken hinunter. Ob wohl unsere Schiffsschraube auch…?
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Mit Ruth und Peter zusammen hatten wir schon im Juni 2004, als wir noch kein eigenes Schiff hatten, auf dem Canal du Nivernais Mietbootferien gemacht, letztes Jahr fuhren sie auf der Saône und der Seille mit uns mit und dieses Jahr sind sie von Paris aus für eine Woche unsere Gäste.
Weil endlich der Altweibersommer ausgebrochen ist, fahren wir nicht gleich los, sondern verbringen den Sonntag in Paris und unternehmen eine Velotour zum Bassin de la Villette.
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Paris hat sich in den letzten Jahren zu einer richtigen Velostadt gemausert. Die Stadtbehörden fördern diese Entwicklung mit der Erstellung von getrennten Velospuren, hauptsächlich aber mit «Vélib». An über 1000 Stellen in Paris stehen insgesamt 20’000 Velos bereit, die man per Kreditkarte auslösen und an der nächsten Vélib-Station wieder andocken kann. Die Disziplin des Zweiradverkehrs macht den Behörden allerdings etwas Sorgen. So schlimm wie in Zürich mit seinen europaweit aggressivsten und rücksichtslosesten Velofahrern ist es allerdings noch nicht (Wer mit dieser Feststellung nicht einverstanden ist, dem erzählt Christian gerne im Detail die Geschichte, wie er, damals noch amtierender Regierungsrat, bei Grün einen Fussgängerstreifen beim Hauptbahnhof überquerte, wie er dabei von einem Velofahrer umgefahren wurde, wie dieser 20 m weiter anhielt und zurückrief: «Chasch nöd besser uufpaasse, Du Arschloch!» Wie gesagt, Christian hatte Grün, der Velofahrer hatte Rot.).
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Von Paris aus fahren wir, wie schon einige Wochen zuvor, wieder seineaufwärts nach Moret-sur-Loing mit einem Übernachtungshalt in Melun (siehe Bericht Nr. 32).
Auf der oberen Seine herrscht reger Verkehr, die Frachtschiffe transportieren jetzt neben Kies und Sand auch Getreide. Der Warentransport auf dem Wasserweg ist übrigens ökologisch und ökonomisch dem Strassentransport weit überlegen. Der Motor einer 38.5 m langen Péniche (das ist die kleinste Frachtschiffeinheit!) entspricht einem modernen Lastwagenmotor. Damit und mit einer Beatzung von zwei Personen, meist ein Ehepaar, transportiert eine Péniche bis zu 368 Tonnen!
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In Moret-sur-Loing fahren wir im herbstlichen Morgennebel zur Schleuse, die in den Canal du Loing führt.
Dieser Kanal mit einer Länge von knapp 50 km und 19 Schleusen ist Teil der sogenannten Bourbonenroute zwischen der Seine und der Saône. Er wurde von 1720 bis 1723 gebaut und bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs herrschte hier reger Frachtverkehr. Heute begegnet man nur noch selten einem Frachtschiff, gelegentlich auch einem Hotelschiff.
Man kann sich schwerlich einen grösseren Gegensatz vorstellen als den zwischen der breiten, träge dahinfliessenden Seine mit ihrem geschäftigen Frachtverkehr, den riesigen, voll automatisierten Schleusen und den Schleusenbeamten im Kontrollturm einerseits und dem schmalen, idyllischen Canal du Loing mit seinen kleinen, handbetriebenen Schleusen anderseits. Waren auf der Seine oberhalb Paris die Schleusen von 07:00 bis 20:00 Uhr ununterbrochen in Betrieb, so geht es von nun an wesentlich beschaulicher zu. Die Schleusen werden von 09:00 bis 12:00 und, nach der Mittagspause, von 13:00 bis 19:00 bedient.
«Handbetrieben» bedeutet, dass der Schleusenwärter alle vier Schleusentore sowie die jeweiligen Wasserschieber von Hand öffnen und schliessen muss. Will man die ganze Übung beschleunigen, so geht man dem Schleusenwärter zur Hand. Der französische Kanalführer erklärt in seiner deutschen Abteilung glasklar, wie das funktioniert: «Das Mannschaftsmitglied auf dem Kai schheßt dafs Tor stromaufwärts, dann offnet die Schieber des Tores stromabwärts». Ist das Schleusen beendet, so geht das betreffende Mannschaftsmitglied «zuriick an Bord, aber der Kai ist ziemlich hoch. Wenn er sportlich ist, kann er auf das Dach des Bootes herunterspringen.» Sprachlich springt hier der Kai aufs Kabinendach, aber genug des grausamen Spiels. Im Interesse heiler Kabinendächer und Fussknöchel können wir lediglich hoffen, niemand befolge diese seltsamen Ratschläge.
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Der Canal du Loing endet in Montargis, wo er mitten durch das Städtchen führt, bevor er in den Canal de Briare übergeht.
In Montargis treffen drei Flüsse und drei Kanäle zusammen. Ein ganzes Netz von kleinen Kanälen zieht sich kreuz und quer durch das Städtchen. Sie dienten früher zur Regulierung des Wasserstandes als Schutz vor Überschwemmungen. Mitten in diesen kleinen Kanälen sind an vielen Orten mit Petunien bepflanzte Schiffchen verankert.
Insgesamt zählt die Stadt 127 Brücken und Stege.
Montargis ist als Hauptort des Gâtinais nicht nur ein Verwaltungszentrum, sondern auch Geburtsort einer Zucker-Spezialität. Der Koch des Herzogs von Plessis-Praslin brannte im 17. Jahrhundert Mandeln, die er dann mit Zuckerguss überzog. Diese «Praslines» oder «Pralines» genannten Schleckereien werden noch heute in einer Konditorei nach dem gleichen Rezept hergestellt.
Hier verlassen uns Ruth und Peter nach einer sonnigen, erlebnisreichen Woche.
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Von Montargis aus fahren wir auf dem Canal de Briare weiter, bis wir nach 54 km und 32 Schleusen in Briare eintreffen.
Auch dieser Kanal ist ein historisches Monument. Henri IV, der erste Bourbonenkönig, ordnete 1604 den Bau des Kanals an, 1605 wurde damit begonnen. 12’000 Arbeiter wurden eingesetzt, um den Kanal zu graben und 6’000 Soldaten, die diese vor den enteigneten Grundbesitzern beschützen mussten. Nach der Ermordung des Königs 1610 durch einen katholischen Laienbruder wurde der Bau unterbrochen und erst 1638 wieder aufgenommen. 1642 wurde der Kanal dem Betrieb übergeben. Es war der erste Kanal in ganz Europa, der eine Wasserscheide überwand, diejenige zwischen Seine und Loire. Auf dem höchsten Punkt des Kanals wurde eine Treppe von 7 Schleusen gebaut, welche nicht weniger als 240 Jahre lang in Betrieb war. Sie ist noch heute erhalten.
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Heute sind die Schleusen auf dem Canal de Briare teils automatisiert, teils werden sie noch von Hand bedient. Die Schleusenwärter wohnen oft noch in den typischen Schleusenwärterhäuschen, direkt neben der Schleuse. Müssten wir das Prädikat «Schönste Schleuse Frankreichs» vergeben, dann wäre der Schleusenwärter der «Écluse de la Picardie» zwischen Montargis und Briare unbestrittener Preisträger. Statt vieler Worte lassen wir Bilder sprechen.
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Bei unserer Wegfahrt von Rogny regnet es Bindfäden. Nicht nur wir, auch der Schleusenwärter hat sich wasserdicht verpackt.
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Nach etwas über sechs Stunden erreichen wir Briare an der Loire. Schon am nächsten Tag kehrt der Altweibersommer zurück und die grossartige Loirelandschaft zeigt sich in ihrer ganzen Pracht.
Hier mussten früher die Schiffe die Loire überqueren, ehe sie auf dem linken Ufer in den Loire-Seitenkanal einbiegen konnten.
Dies erfolgte bis 1890 mit Seilwinden und Schleppbooten. Die stillgelegten Kanäle sind heute ein Tierparadies.
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Während eines Spaziergangs sehen wir am Kanalufer ein putziges Kerlchen, das uns nicht wittern kann, weil der Wind gegen uns ist. Wir nähern uns äusserst vorsichtig und machen die Kamera schussbereit. Ein Biber? Der Körper ist biberähnlich, aber der Schwanz ist eindeutig kein Biberschwanz. Französische Freunde sprechen von einem ragondin. Unser Dictionnaire gibt Auskunft: Es handelt sich um eine Nutria, auch Biberratte genannt, ein aus Amerika importiertes Pelztier, welches in der Folge ausgewildert wurde.
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Anfangs Oktober werden wir auf dem Loire-Seitenkanal nach Roanne in unser Winterquartier weiterfahren. Erster Höhepunkt wird die Kanalbrücke über die Loire sein. Bis dahin geniessen wir noch in vollen Zügen die warmen Herbsttage.
Hallo Chris und Charlotte, es ist klar, dass die Schiffahrt Ihnen sehr viel Freude macht. Wirklich schöne und interessante Seite. Mein Hobby ist auch „canalboating“. Ich hoffe, dass wir uns einst „auf dem Wasser“ treffen. Tschüss. Josef
Wunderschöne September-Bilder aus Frankreich.