Pouilly-en-Auxois – St-Jean-de-Losne
(Canal de Bourgogne; 92.5 km, 76 Schleusen)
Der Durchfahrt des 3.3 km langen Tunnels von Pouilly haftet der Geruch des Abenteuers an. Das hat zum einen mit seiner Geschichte zu tun: Englische Kriegsgefangene aus den napoleonischen Kriegen wurden unter unmenschlichen Bedingungen als Tunnelarbeiter eingesetzt. Die Sage geht, die Zwangsarbeiter hätten einen französischen Aufseher bei lebendigem Leib in der Tunnelwand eingemauert. Zum andern ist «le souterrain de Pouilly» wegen seines Profils für viele Schiffe gar nicht fahrbar. Schon manches Steuerhaus hat nach dem Tunnel nicht mehr gleich ausgesehen wie vor dem Tunnel.
Das Problem ist weniger die zwar geringe Höhe als die Wölbung der Tunnelwand und das Fehlen eines Treidelpfads. Die Höhe des Tunnels ist mit 3.10 m am höchsten Punkt und 2.20 m an den Seiten angegeben. Wir haben die Gelegenheit, mit «Petra» durch den Tunnel zu fahren, und wir benützen diese Fahrt, um den Tunnel auszumessen. Resultat: Die Höhenangaben beruhen auf einem Wasserstand von 2.60 m im Tunnel, während die effektive Wassertiefe nur etwa 2.20 m beträgt.
Unser Suchscheinwerfer ist also kein Problem und auch die Höhe des Steuerhauses nicht. Nach unseren Berechnungen müssen wir lediglich die beiden äusseren Dachplanken des Steuerhauses entfernen, um auf dieser Höhe genügend Breite zu haben. Allerdings müssen wir dann ganz genau in der Mitte des Tunnels fahren – und das 3.3 km lang!
Als Hilfsmittel zum Halten der Mitte klemmen wir zwischen die Bugpoller auf beiden Bordseiten ein Rundholz. Jetzt sind wir für die Durchfahrt gerüstet!
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Am Vortag unserer Tunneldurchquerung kommen Christina, Kuno und Lara Müller an Bord, die uns bis vor Dijon begleiten werden.
Am nächsten Morgen punkt neun Uhr holt Christian bei der Schleusenwärterin den «bon de passage» ab, der uns die Durchfahrt erlaubt und unsere Garantie darstellt, dass kein Schiff entgegenkommt.
Der Tunnel ist seit kurzem beleuchtet und, da er völlig gerade verläuft, sehen wir in 3.3 km Entfernung sogar den Tunnelausgang.
Die Reibhölzer an den Bugpollern berühren die Tunnelwände während der ganzen Fahrt kein einziges Mal, aber sie sind ein ideales optisches Hilfsmittel, um genau die Mitte zu halten.
Das Tunnelprofil lässt uns in der Tat nicht allzu viel Spielraum und Christian ist während 45 Minuten – so lange dauert die Tunnelfahrt – hochkonzentriert.
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Vandenesse-en-Auxois ist für den überwältigenden Ausblick auf das mittelalterliche Städtchen Châteauneuf-en-Auxois mit seiner Burg aus dem 12. Jahrhundert berühmt.
Wir selber tafeln im Freien in erweiterter Runde, nachdem noch Ruth und Peter Vögtlin hereingeschneit sind. Sie fuhren letztes und vorletztes Jahr mit, dieses Jahr reichte es «nur» für ein paar Tage Château-Ferien im Burgund.
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Das Vallée de l’Ouche beschreibt zwischen Vandenesse und Pont-de-Pany einen weiten Bogen, den die stark befahrene A 38, welche Dijon und Paris verbindet, abkürzt. So herrscht idyllische Ruhe im Tal und manchmal hat man den Eindruck, seit dem Bau des Kanals sei hier die Zeit stehen geblieben.
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Der Abstieg von der Passhöhe in Pouilly-en-Auxois durch das Vallée de l’Ouche nach Dijon erfolgt über 54 Schleusen über eine Distanz von rund 50 Kilometern. Mit wenigen Ausnahmen werden alle Schleusen von Hand bedient und wir sind natürlich froh um die Mithilfe unserer Gäste beim Schleusen.
Lara ist mit dem Down-Syndrom geboren, aber das vergisst man schnell. Die junge Frau hat ein ausgesprochenes Gespür für Pferde; von den Special Olympics in China kehrte sie mit zwei Gold- und einer Silbermedaille im Dressurreiten zurück. Bei uns übernimmt sie die Tauarbeit und zwar virtuos.
Und bei allem ist sie von einer ansteckenden Fröhlichkeit und einer tiefen Zufriedenheit.
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Nach einer erfüllten Woche mit makellosem Herbstwetter verlassen uns Christina, Kuno und Lara Müller in Velars-sur-Ouche, während wir am nächsten Tag nach Dijon weiter fahren.
«Sobald Sie in den Freizeithafen der Stadt einlaufen, werden auch Sie vom Charme der Stadt ergriffen sein» stellt uns der Kanalführer der Navicarte in Aussicht. Vorerst sind wir allerdings von der Tatsache ergriffen, dass es für grössere Schiffe in Dijon keine Anlegemöglichkeiten mit Strom- und Wasserversorgung gibt. Aber wir wissen uns – leicht am Rande der Legalität – zu helfen. So können wir eine Woche in Dijon bleiben – mit Strom und Wasser. Gratis.
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Das Bilderbuch-Herbstwetter hält an, die Côte de Nuits mit den Weinbaugebieten Gevrey-Chambertin, Morey-Saint-Denis, Chambolle-Musigny, Vougeot, Vosne-Romanée und Nuits-Saint-Georges liegt sozusagen vor der Haustür und es ist Wümmet, Vendange, Weinlese.
Nichts hält uns auf dem Schiff, wir unternehmen jeden Tag ausgedehnte Velotouren das Vallée de l’Ouche hinauf und dann über Hügel und durch Wälder in südöstlicher Richtung ins Weinbaugebiet.
Unwillkürlich kommt uns die Gedichtzeile von Gottfried Keller in den Sinn: «Trink, oh Auge, was die Wimper hält, von dem goldnen Überfluss der Welt!» Und anstelle vieler Worte lassen wir einfach Bilder sprechen.
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Natürlich entgehen auch wir nicht einer der zahllosen Weindegustationen in einem der zahllosen Weingüter.
In den Kellern der Châteaus lagern Schätze, wie hier tausende von Flaschen des grossen Jahrgangs 2005.
Und während wir noch genüsslich einen Chambolle-Musigny Grand Cru schlürfen, bleibt unser Blick sinnend an den Namen vermögender Privatkunden hängen…
Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammen kamen? (Friedrich Schiller, Die Kraniche des Ibykus).
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Der Rest des Canal de Bourgogne von Dijon bis Saint-Jean-de-Losne ist Pflicht, nicht mehr Kür. Schnurgerade verläuft er über knapp vierzig Kilometer, bis er endlich in die Saône mündet. Sehenswert ist einzig eine «Exposition» in Schleuse Nr. 62. Hier sammelt ein Schleusenwärter im Gewölbekeller seines Schleusenhäuschens mit Leidenschaft zahlreiche Ausstellungsstücke zum Canal de Bourgogne und zur Kanalschifffahrt. Und als leidenschaftlicher Sammler sammelt er überhaupt alles, was man sammeln kann, von Modellautos bis zu Münzen.
Sonst gibt es zu diesem Teilstück nicht zu sagen und wir haben es in einem (sehr langen) Tag hinter uns gebracht.
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Wir haben uns für den Canal de Bourgogne mit seinen insgesamt 242 Kilometern und 189 Schleusen beinahe zwei Monate Zeit gelassen und wir haben dies keinen Moment bereut. Das Teilstück, für welches das Departement Yonne verantwortlich ist, wirkt – wir haben es auch fotografisch dokumentiert (Bericht Nr. 42) – vernachlässigt und stellenweise verkommen. Etwa ab Montbard ist Côte d’Or zuständig und hier wird dem Kanalunterhalt offensichtlich mehr Beachtung geschenkt. Natürlich können sich nur wenige Freizeitskipper den Luxus leisten, so lange auf einem Kanal zu verweilen. Aber auch wer nur die üblichen Ferien zur Verfügung hat, sollte wenigstens einmal ein Teilstück des Canal de Bourgogne befahren. Beispielsweise ab Saint-Jean-de-Losne, wo die Firma Crown Blue Line eine Bootsvermietung unterhält, Richtung Dijon, dann das Vallée de l’Ouche hinauf und wieder zurück. Oder, auf der anderen Seite, von Venarey-les-Laumes (Mietbootfirma Nicols) hinauf Richtung Pouilly-en-Auxois.
Aus dem Logbuch
- Vandenesse-en-Auxois. Quai am linken Ufer. Poller und Ringe. 3 Euro pro Nacht für Wasser und Elektrisch. Häufig von Hotelschiffen belegt. Sehr beschränkte Einkaufsmöglichkeiten. Kein Bäcker. Sehenswürdigkeit: Das 2.5 km entfernte Dorf Châteauneuf.
- Pont d’Ouche. Bassin am rechten Ufer mit Pontons und Quai mit Ringen. 5 Euros per Nacht für Wasser und Elektrisch. Snack-Bar «Chez Bryony». Anständiges Essen zu anständigem Preis. Keine Einkaufsmöglichkeiten.
- Gissey-sur-Ouche. Bassin am rechten Ufer. Gratis. Keine Einrichtungen. Idyllischer Liegeplatz. Keine Einkaufsmöglichkeiten.
- Velars-sur-Ouche. 30 m langer Betonquai direkt unterhalb Schleuse Nr. 45. 2 Ringe. Gratis. Keine Einrichtungen. TGV-Strecke und Autobahn in der Nähe, aber nicht wirklich hörbar. Supermarkt direkt beim Liegeplatz. Bäcker im Dorf.
- Dijon. Liegeplätze am linken Ufer für Hotelschiffe. Daran anschliessend Pontons für Passanten-Yachten. Kostenpflichtig. Strom und Wasser. Am rechten Ufer 300 m langer Quai mit Pollern. Gratis. Keine Einrichtungen. Dijon bietet alles, was das Herz begehrt, nur keine Liegeplätze mit Strom und Wasser für Schiffe über 15 m. Sehenswürdigkeiten: Unbedingt Musée des Beaux Arts besuchen. Restaurants: Unzählige. Zwei Tipps: L’Épicerie, 5 place Emile Zola (03 80 30 70 69) und Gril Laure, 8 place St-Bénigne (03 80 41 86 76) www.grillaure.com
- Saint-Usage und Saint-Jean-de-Losne. Zahlreiche Liegeplätze in verschiedenen Häfen und am Quai der Saône. Kostenpflichtig. Schiffswerften, Schiffszubehör, Tankerschiff. Gute Einkaufsmöglichkeiten.