Bericht 49, Februar/März 2009

Winter auf dem Schiff

Der Winter macht überhaupt keine Anstalten, dem Frühling zu weichen.

An langen Winterabenden kann man nähen...

An langen Winterabenden kann man nähen…

Zuerst war der Hafen gefroren, dann schneite es 5 cm, dann fegte ein Sturm mit Windgeschwindigkeiten bis zu 140 km/h über Frankreich und hernach war wieder Schnee angesagt. Kinette schaukelte behaglich im Sturm, Charlotte tat die ganze Nacht kein Auge zu und Christian schlief wie ein Murmeltier. Wir hatten Kinette zuvor noch gut vertäut und alles verzurrt. Aber der Sturm war so stark, dass er unsere Satellitenschüssel völlig verstellte und die geht ja echt harzig.

...oder Freunde zur Fondue einladen

…oder Freunde zur Fondue einladen

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Vor 14 Tagen haben wir Heizöl bestellt. Am vereinbarten Datum erscheint kein Tankwagen. Die Lieferfirma, welche uns sonst immer zuverlässig beliefert hat, vertröstet uns von einem Tag auf den anderen. Wenn wir fragen, was los sei, so hat der Tankwagen eine Panne, dann ist er im Schnee stecken geblieben, dann hat er soviel Verspätung, dass es einfach nicht mehr gereicht hat. Echt mühsam. Wie Christian zum x-ten Mal anruft, reisst ihm die Geduld und er fragt die Disponentin der Lieferfirma, ob sie ihn eigentlich verarschen wolle. Das sagt man auf Französich natürlich viel, viel netter: «J’ai l’impression que vous me prenez pour une poire!» Nein nein, sie nehme ihn überhaupt nicht pour une poire, es sei eben ganz, ganz unglücklich gelaufen, aber morgen komme der Tankwagen ganz bestimmt vor dem Mittag.

Tatsächlich fährt um 11 Uhr der Tankwagen vor und wir füllen randvoll. Christian macht das mittlerweile selber, weil er Schlauch, Zapfpistole und unseren Heizöl-Tankinhalt voll im Griff hat. Zur Sicherheit füllen wir noch drei 20-Liter-Kanister, alles in allem 613 Liter. Normalpreis zurzeit 69 Eurocents per Liter. Der Chauffeur verrechnet uns den «prix pour commerçants», also ohne Mehrwertsteuer, 59 Eurocents, weil wir so lange hätte warten müssen (In Frankreich bezahlt man den Chauffeur sur place mit einem Cheque). Summa summarum 61 Euro Rabatt! Christian bedankt sich umgehend bei der Disponentin für die schöne Geste. Er müsse sich nicht bedanken, das sei selbstverständlich, sie wollten nur zufriedene Kunden.

Die ersten zwei Stunden nach dem Füllen lassen wir übrigens – einem Ratschlag unseres Heizungsmonteurs folgend – die Heizung nicht laufen. In dieser Zeit können sich allfällige Verschmutzungen im Öltank setzen. Natürlich haben wir Ölfilter und Wasserabscheider, aber Sicherheit geht vor.

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Die Winterkälte lässt das Hafenbecken wieder zufrieren und die Enten üben «Landen auf dem Eis».

Landungsversuch einer Ente auf dem Eis

Landungsversuch einer Ente auf dem Eis

Das sieht zum Schreien aus, wenn sie mit ausgefahrenem Fahrwerk anfliegen und dann versuchen, das Gleichgewicht zu behalten.

Auf dünnem Eis kann man einbrechen

Auf dünnem Eis kann man einbrechen

Enten, die sich unbeholfen und tapsig auf dünnem Eis bewegen und manchmal dabei einbrechen – das lässt uns irgendwie an den Verwaltungsratspräsidenten der UBS denken, wenn er sich kritischen Fragen gegenüber sieht.

Enten-Schlittschuhfahren

Enten-Schlittschuhfahren

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Unter dem Eis tummeln sich tonnenweise kleine Katzenwelse, von den Fischern – bei denen sie nicht beliebt sind – «poisson-chat» genannt. Nach wenigen Tagen taut das Eis wieder auf und der Tisch ist reich gedeckt für die extrem scheuen Kormorane. Sie holen die Katzenwelse im Akkord heraus. Christian hat schon mehrfach versucht, einen Kormoran in Porträtdistanz zu fotografieren, aber das scheint fast unmöglich. Sobald man das Deck betritt, fliegen sie weg. Nicht besser klappt es mit dem Versuch, aus einem Bullauge heraus zu fotografieren. Man kann das Bullauge noch so vorsichtig öffnen, die Kormorane werden sofort misstrauisch und fliegen weg.

Porträt eines Kormorans

Porträt eines Kormorans

Porträt eines Kormorans

Porträt eines Kormorans

Dann aber schafft es Christian doch, mit unendlich viel Geduld und behutsamem Anpirschen. «Fahndungsfoto» nennt er das Ergebnis stundenlangen auf-der-Lauer-Liegens, denn er hat den Kormoran von vorne und von der Seite «geschossen».

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Wenn wir nicht fahren können, kommen wir auf Entzug und wenn wir auf Entzug kommen, planen wir ein «Projekt». Wir haben zurzeit nicht nur ein Projekt, wir haben mehrere Projekte. Das erste Projekt ist der Anschluss unserer Toilette im Vorderschiff an einen Fäkalientank. Derselbe war schon vorhanden, als wir das Schiff kauften, aber er war noch nicht angeschlossen. Hätte auch keinen Sinn gemacht, weil es in Frankreich nur sehr (sehr!) wenige Abpumpstationen für Fäkalien gibt. Auf dem Canal du Nivernais sahen wir einmal bei einer Mietbootbasis eine Abpumpstation und das Abpumpen kostete 5 Euros. Wir erkundigten uns vorsichtig, was mit den abgepumpten Fäkalien geschehe. «Die pumpen wir in den Kanal!» war die verblüffend ehrliche Antwort. Wir fanden, das könnten wir auch, und zwar gratis.

Anschluss der Toilette an den Fäkalientank

Anschluss der Toilette an den Fäkalientank

Aber dieses Jahr wollen wir ja in den Niederlanden fahren und dort hat ist a) das Entsorgen von Fäkalien ins offene Wasser verboten und b) hat es genügend Abpumpstationen.

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Unser zweites Projekt ist ein «panneau bleu», eine blaue Tafel also. Da Kinette länger als 20 Meter ist, zählen wir seit dem 30. Dezember 2008 rechtlich zu den grossen Schiffen und eine blaue Tafel gehört zur Pflichtausrüstung.

Die blaue Tafel in Ruheposition...

Die blaue Tafel in Ruheposition…

...und hochgefahren bei Linksverkehr

…und hochgefahren bei Linksverkehr

Nun werden Sie fragen, was eine blaue Tafel ist und was sie bedeutet. Also: Auf Wasserstrassen wird, wie auf dem Land, rechts gefahren, aber nur in der Regel. Auf Flüssen wählen beladene Frachtschiffe, welche stromaufwärts fahren, diejenige Flussseite mit der geringsten Gegenströmung. Dies kann dazu führen, dass das Kreuzungsmanöver im Linksverkehr stattfindet. Das stromaufwärts fahrende Schiff, welches steuerbord (also auf der rechten Seite) kreuzen will, zeigt dies mit einer hochgeklappten blauen Tafel an, wobei gleichzeitig im Zentrum der Tafel ein Licht blinkt. Entgegenkommende (grosse) Schiffe quittieren dies, indem sie ebenfalls die blaue Tafel hochklappen und blinken. Wir haben das im Bericht Nr. 7 schon ausführlich beschrieben.

Zusammen mit fachkundigen Schifferskollegen schweissen wir Halterungen, ziehen Kabel ein und schliessen das Blinklicht an einem Schalter am Armaturenbrett an. Die ganze Konstruktion muss demontierbar sein, weil wir sonst für die niederen Brücken auf den kleinen Kanälen zu hoch wären.

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Am 12. März wird es nach einer langen, kalten und regnerischen Periode endlich etwas wärmer und zaghaft kündigt sich der Frühling an.

Endlich – le grand beau!

Endlich – le grand beau!

Zeit für den üblichen Frühlingsputz, welcher diesmal etwas ausgedehnter ausfällt. Das Dach der Achterkajüte und das Dach des Salons – das Hausdach sozusagen – wurden letztmals vor drei resp. sechs Jahren gestrichen, weshalb ein neues Make up fällig ist. Zuerst muss Kinette sozusagen abgeschminkt werden, bevor sie frisch gestrichen wird.

Das Dach des Salons wird geschliffen und dann gestrichen

Das Dach des Salons wird geschliffen und dann gestrichen

Mittlerweile ist das Routine geworden: Den alten Anstrich abschleifen, entfetten, erste Grundierung, schleifen, zweite Grundierung, schleifen, erste Farbschicht, schleifen, zweite Farbschicht, schleifen, dritte Farbschicht – und so weiter und so fort, bis wir mit dem Resultat zufrieden sind.

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Aber das Leben besteht ja nicht nur aus Schiffs-Unterhaltsarbeiten. Mit unseren französischen Freunden vom Lions Club Roanne und deren Familien unternehmen wir den traditionellen «marche du gratin» und zwar bei – endlich!!! – traumhaftem Frühlingswetter. Die Wanderung führt auf rund 900 m.ü.M. und hier liegt, in dieser wundervollen Landschaft, einer Art voralpiner Toskana, tatsächlich noch Schnee!

Frühlingswanderung im Schnee

Frühlingswanderung im Schnee

Tachon ist ein kleiner Weiler, bestehend aus ein paar Bauernhäusern und einer Auberge. Hier macht die fröhliche Wandergesellschaft nach zehn Marschkilometern Halt und die Wirtin tischt auf. Charcuterieteller als Vorspeise, als Hauptgang coq au vin und ein Kartoffelgratin aus dem Holzofen, dann Käse und Dessert.

Nach alter Tradition wird der Kopf eines Güggels mitgeschmort und in der Platte auf den Tisch gebracht.

coq au vin nach Bauernart

coq au vin nach Bauernart

Wir können uns nicht helfen, aber dieser Güggel erinnert uns an den schweizerischen Bundespräsidenten. Die konkursiten Finanzminister der G20 haben ihn im Rotwein geschmort, nachdem er dem britischen Premierminister fröhlich lachend die Füsse geküsst hat. Aber der schweizerische Bundespräsident merkt nicht, dass er geschmort worden ist und stellt immer noch stolz seinen Kamm, während er serviert wird. Im Gegensatz zu den Ereignissen in der Schweiz bleibt beim coq au vin in der Auberge in Tachon kein schaler Nachgeschmack, er schmeckt grossartig. Vom Güggelkopf müssten wir unbedingt «la crête», also den Kamm probieren, beschwören uns unsere französischen Freunde. Der Kamm hat eine gallertige Konsistenz, stellen wir fest, vergleichbar dem Kalbskopf. Also, wir haben probiert – aber meilenweit würden wir nicht dafür gehen…

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Manchmal haben wir den Eindruck, es sei ein gut gehütetes Geheimnisse, dass man auf einem Schiff bei relativ bescheidenen Lebenshaltungskosten ein sehr angenehmes Leben führen kann. Wenn es uns in Roanne nicht mehr gefällt, machen wir eben unser Haus in Paris fest. Oder in Brüssel. Oder in Antwerpen. Oder in Amsterdam. Und immer an schönster Lage, direkt am Wasser.

Sonnenaufgang im Hafen

Sonnenaufgang im Hafen

So philosophieren wir, während wir – einmal mehr – staunend einen Sonnenaufgang betrachten und ihn – einmal mehr – fotografieren.

4 Gedanken zu „Bericht 49, Februar/März 2009

  1. Liebe Frau und Herr Huber
    der Artikel in der Lions-Zeitschrift hat uns animiert, diese wunderbare Website zu studieren. Traumhaft sind Sie unterwegs. Wir gratulieren und rufen AHOI.
    Herzliche Grüsse J.+ F. O.

  2. Guten Abend Charlotte und Christian Huber

    Ich habe seit vielen Jahren ein Kanu (Kanadier) und habe Flüsse und Kanäle bereist. Seit kurzem habe ich sie auch auf meiner Homepage: http://www.tinu-saegesser.ch dokumentiert. Nun hat das „Wasser bereisen“ auch meine Freundin „vergiftete“ und wir planen auf unsere Pensionierung hin auf dem Wasser zu wohnen. Da meine Freundin auf Eure Seite gestossen ist, möchten wir uns gerne Mal Euer Leben anschauen und uns ein echtes Bild machen. Würdet Ihr uns bei Gelegenheit einmal empfangen, wenn wir schon so frech sind uns auf diesem Weg an Euch zu wenden? Wir würden gerne von all Euren Erfahrungen lernen. Wir freuen uns wie kleine Kinder auf das nächste Abenteuer.

    Mit freundlichen Grüssen

    Martin Sägesser

    P.S. Ich versuchte mit Eurem Link Kontakt mit Euch aufzunehmen. Das Internet meldet mir aber immer wieder eine fehlerhafte e-Mail-Adresse.

  3. Bonjour “ les kinettes “
    Nous sommes de retour à St léger après un hiver dans le midi et je viens de consulter vos articles de voyages de l’année passée; Merci pour votre gentil petit mot. Nous espérons vous revoir cette année si vous venez dans cette direction.
    Amitié, cordialement
    Philippe et Michèle

  4. Sehr geehrte Frau und Herr Huber
    gerne erinnern wir uns an das freundliche Zusammentreffen in Beaulon (Canal latéral à la Loire). Das fröhliche und interessante Gespräch hat uns sehr gefreut.
    Von Herzen wünschen wir Ihnen eine gute und geruhsame Reise nach Holland und hoffen Sie wieder einmal anzutreffen.

    Freundliche Grüsse
    Elsbeth und Dani Huber, Rüti ZH

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