Melay-sur-Loire – Ménétréol-sous-Sancerre
(Canal de Roanne à Digoin, Canal latéral à la Loire; 211.54 km, 43 Schleusen)
Am Abend, bevor wir aus Melay auslaufen, zieht eine eindrückliche Gewitterstimmung herauf. Wir geniessen sie unbeschwert, weil Blitz und Donner anderswo stattfinden und uns nur das Dessert in Form eines Regenbogens und einer stechenden Abendsonne serviert wird.
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Die Fahrrinne des Canal de Roanne à Digoin wurde in den letzten Jahren auf weiten Strecken von Bäumen mit weit ausladenden Ästen immer mehr eingeschränkt. Kreuzen war an einigen Stellen nicht mehr möglich. Weil die Fahrer der Mietboote die Vortrittsregeln in der Regel nicht kennen (bei gleichrangigen Schiffen hat das zu Tal fahrende Schiff Vorfahrt), kam es immer wieder zu heiklen Situationen.
Dreissig Schiffseigner, welche im Hafen von Roanne überwintern, schrieben deshalb einen Brief an den für den Kanalunterhalt zuständigen Beamten. Dieser Brief wurde zwar nicht beantwortet – das ist unter der Würde eines französischen Chefbeamten – aber immerhin wurden die Bäume geschnitten. Was darunter zum Vorschein kam, war ziemlich beunruhigend: Das linke Ufer ist über eine lange Strecke völlig unterspült und wie lange der Deich hält, ist offen.
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Den Loire-Seitenkanal befahren wir nunmehr zum dritten Mal. Die Engstelle bei Kilometer 25 vor Diou kennen wir deshalb gut. Sie ist zwar gut signalisiert…
…aber das Befahren der Verengung, die erst noch eine Biegung aufweist, ist mit einem 23 Meter langen Schiff allemal spannend!
Einmal mehr bewähren sich Christians drei Fahrregeln für heikle Situationen: Erstens: Langsam. Zweitens: Langsam. Drittens: Langsam.
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Kurz vor unserem Tagesziel, dem Liegeplatz von Beaulon-sur-Engièvre, begegnen wir einem hübschen ehemaligen Beurtschip, der unter belgischer Flagge fahrenden «Vlinder».
Beurtschip nannte man Schiffe, die den regelmässigen Güterverkehr von bestimmten Umschlagplätzen zu Dörfern und abgelegenen Höfen unterhielten.
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Wenn wir schon bei der Schiffskunde sind, wollen wir uns noch mit der «M.S. Ventjager» beschäftigen, die mit uns zusammen in Beaulon liegt.
Sie ist leicht als ehemaliges Behördenschiff erkennbar, denn sie ist noch in ihren Originalfarben gestrichen. Die Ventjager wurde im Rahmen des Deltaplans gebaut, als in Zeeland nach der grossen Flutkatastrophe von 1953 die grossen Sperren gebaut wurden (Siehe auch Bericht Nummer 15). Die Ventjager wurde 1959 gebaut und hat noch ihren Originalmotor von General Motors.
Solche Behördenschiffe kann man, wenn sie ausser Dienst gestellt werden, recht günstig kaufen. Sie sind allerdings für die langsame Marschfahrt auf den Kanälen übermotorisiert und eher für grosse Flüsse und Meeresarme geeignet. Aber sehr robust gebaut sind sie allemal und auf ihre Art auch attraktiv – «schiffig» eben.
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Jetzt, im Frühling ist das Gelb der Rapsfelder von einer beinahe schmerzhaften Intensität.
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Kanäle können für das Wild zur tödlichen Falle werden. Sie sind künstlich angelegt, weshalb die Ufer vielfach senkrecht sind und ein Entkommen unmöglich. Unterwegs sehen wir einen hübschen Rehbock, der in den Kanal gefallen ist und einen Ausstieg sucht.
Wir versuchen es zwar, aber wir können ihm nicht helfen. Glücklicherweise findet der Bock einen Ausstieg und kann mit letzter Kraft auf die Böschung klettern. Aber er ist so erschöpft, dass er sich erst einmal hinlegt, um wieder zu Kräften zu kommen.
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Wir finden einen wunderschönen Liegeplatz bei Beaulon-sur-Engièvre. Wir lagen beinahe ein halbes Jahr in Roanne am Quai, in der Nähe des Spitals und der Feuerwehr-Kaserne. An die Martinshörner und an die Quaibeleuchtung haben wir uns längst gewöhnt. Aber hier in der «Base Nautique» von Beaulon ist das Dorf einen Kilometer entfernt. Es ist nachts nicht nur völlig dunkel, sondern auch vollkommen still. Vor dem Einschlafen bewundern wir die Milchstrasse und dann weckt uns nichts bis zum nächsten Morgen.
Tagsüber ist die Aussicht auf einen in voller Blüte stehenden Baum ebenfalls so, dass man noch lange bleiben möchte!
In Beaulon sind Strom und Wasser gratis. Aber wir bleiben hier über zwei Wochen und hätten ein schlechtes Gewissen, wenn wir in dieser armen Gegend einer Gemeinde sozusagen auf der Tasche liegen würden. Viele Gratisliegeplätze sind nämlich aufgehoben worden, weil es immer wieder Sportsfreunde gibt, die das grosszügige Angebot schamlos ausnützen.
Unsere holländischen Nachbarn Andries und Rita, die mit ihrer gepflegten «Weltevreden» unterwegs sind, haben uns erzählt, sie hätten einen freiwilligen Obolus in bar auf der Gemeinde abgeliefert. Wir sind etwas zurückhaltender mit Bargeld und übergeben der Schalterbeamtin in der «Mairie» einen Check über 50 Euro, ausgestellt auf den Trésor Public. Das werde der Bürgermeister sehr schätzen, meint sie spontan, aber dann obsiegt die berüchtigte französische Bürokratie. Sie wisse gar nicht, auf welchem Konto sie das verbuchen müsse, erklärt sie ratlos. Wir empfehlen ihr buchhalterische Kreativität, aber auch drei Wochen später ist der Check unserem französischen Bankkonto noch nicht belastet worden.
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Zurück zu Andries und Rita sowie ihrer «Weltevreden». Das heisst übrigens nicht «Weltfrieden», wie man meinen könnte, sondern «sehr zufrieden». Das sehr zufriedene holländische Ehepaar reist mit Hund und zwei Katzen. Man muss es gesehen haben, wie Andries den Morgenspaziergang mit Hund und Katzen unternimmt, sonst glaubt man es nicht.
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In Beaulon steigen André und Agnes Dubs zu, die letztes Jahr im Burgund bereits ein paar Tage an Bord verbrachten. Sie reisen eine Woche mit uns, tagsüber auf dem Schiff und abends in ihrem Wohnmobil. Wir nehmen Andrés Töffli an Bord und so kann er abends jeweils das Wohnmobil holen.
Wer von den Dreien die Tage auf der Kinette am meisten geniesst, ist schwer zu sagen. Luca, jedenfalls, der Königspudel, steht majestätisch auf dem Vorderdeck und hält beim Kreuzen mit dem Hotelschiff «Hirondelle» Ausschau.
Nach einer langen und ziemlich anstrengenden Fahrt legen wir am Quai unterhalb der Doppelschleuse von Le Guétin an, welche wir im Bericht Nr. 34 bereits ausführlich beschrieben haben.
Während der müde Kapitän im Liegestuhl sanft entschlummert, geht Charlotte mit Dubsen’s auf Entdeckungsreise im Dörfchen Le Guétin mit seinen putzigen kleinen Läden.
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Es gibt unter Freizeitkapitänen gewisse Benimm-Regeln. Dazu gehört, dass man nicht einen ganzen Quai für sich allein belegt, sondern so dicht wie möglich beim nächsten Schiff oder beim Quai-Ende anlegt. Der Mannschaft eines ankommenden Schiffs die Taue abzunehmen, wenn dies als notwendig erscheint, gehört ebenfalls dazu.
Wie wir in Cours-les-Barres anlegen wollen, liegt am Quai bereits ein Hotelschiff und, mit unanständigem Abstand, die «Henri Vincenot», eine gemietete Snaily. Alle Poller sind belegt, was unser Anlegemanöver nicht gerade erleichtert. Das Ehepaar in der Snaily güxelt verstohlen hinter den Vorhängen hervor und beobachtet argwöhnisch unser Anlegemanöver. Das scheint so interessant zu sein, dass die beiden Schiffersleute ganz vergessen, dass man uns auch ein Tau abnehmen könnte. Natürlich schaffen wir es – wenn auch etwas mühsam – aus eigener Kraft anzulegen, die schweren Häringe mit dem Vorschlaghammer einzuschlagen und unser Schiff zu belegen. Die mit einem Appenzeller Alpaufzug bestickten Hosenträger des Snaily-Skippers lassen wenigstens keinen Zweifel an seiner Nationalität. «Snaily» kommt von «snail», also Schnecke, und man kann das Schneckenhäuschen auch etwas zu wörtlich nehmen…
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Gottseidank gibt es auf dem Canal latéral à la Loire auch noch Berufsverkehr, wenn auch nicht mehr sehr häufig. Eine Grossküferei in der Nähe von La Charité-sur-Loire verarbeitet deutsche Eichen zu Weinfässern. Die Eichenstämme lässt sie erfreulicherweise per Schiff transportieren. So fährt die «Scampolo» aus Saarbrücken, mit Eichenstämmen beladen, an unserem Liegeplatz in Fleury-sur-Loire vorbei.
Sie löscht die Ladung in la Chapelle Montlinard und wir begegnen der «Scampolo» wieder in Marseilles-les-Aubigny auf ihrer Rückfahrt.
Eine beladene Péniche – so nennt man in Frankreich ein Lastschiff – taucht je nach Ladung tief ein. Ist sie entladen, glaubt man, ein anderes Schiff vor sich zu haben. Der Unterschied zwischen einer voll beladenen und einer leeren Péniche kann in der Höhe bis zu 2.40 m ausmachen. Voll beladene Pénichen sieht man allerdings auf dem Canal latéral à la Loire nicht.
Dazu müsste die für den Kanal-Unterhalt zuständige Behörde, die Voies Navigables de France (VNF), hin und wieder die Fahrrinne ausbaggern. Die kleineren Kanäle sind aber in der finanziellen Prioritätenliste sehr weit hinten, auch wenn diese Transportart nicht nur ökonomischer, sondern auch ökologischer ist.
Hinzu kommt die notorische Unfähigkeit der VNF. Als leuchtendes Beispiel (für viele Beispiele!) erwähnen wir den Quai, an welchem die Pénichen, welche die Eichen aus Deutschland transportieren, ihre Ladung löschen (entladen) müssen. Die erwähnte Küferei wollte den Quai auf eigene Rechnung selber bauen zu lassen. Die VNF bestand darauf, dies selbst und auf Staatskosten zu tun. Das Resultat ist in jeder Beziehung bemerkenswert.
Man muss ja relativ wenig von Schifffahrt verstehen, um diesen Unsinn zu erfassen. Wie soll an diesen Pollern eine mit hundert Tonnen Eichenholz beladene Péniche vertäuen, ohne an der scharfkantigen Mauer die Taue zu ruinieren? Richtig würdigen kann man diese Konstruktion aber nur, wenn man weiss, dass ein anständiges Schiffstau für unser vergleichsweise leichtgewichtiges Fünfzigtonnen-Schiffchen mindestens hundert Euro kostet.
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Das alles soll uns nicht hindern, die Fahrt auf dem wunderschönen Canal latéral à la Loire in vollen Zügen zu geniessen.
Am frühen Morgen des 14. Mai nähern wir auf die Schleuse 30 bei Herry und werden Zeugen eines spektakulären Schauspiels. Wie der Schleusenwärter die bergseitigen Schützen öffnet, schiesst das Wasser hoch empor. Wir befürchten schon, die Schleuse sei defekt. Aber der Schleusenwärter wird uns später erklären, das sei beim ersten Schleusen am Morgen nicht selten, dass sich über Nacht eine Luftblase gebildet habe.
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Unser Ziel ist Ménétréol-sous-Sancerre. Der Liegeplatz ist wegen seiner Nähe zum berühmten (Weiss)Weinort Sancerre meistens belegt. Aber diesmal haben wir Glück: «Es liegt nur eine kleine Péniche am Quai!» ruft Charlotte vom Bug aus. «Es reicht noch gut für uns!»
Am Quai liegt die «Linquenda». Sie ist mit ihren 17.90 Metern tatsächlich knapp 4.70 Meter kürzer als unsere Kinette. Damals, im Oktober 2002, als wir die «Linquenda» das erste Mal sahen, erschien sie uns riesig. Wir hatten zum ersten Mal ein Hausboot gemietet, eine Pénichette von Locaboat mit der stolzen Länge von 9.30 Metern. Als wir unser Mietboot in Joigny übernahmen, lag die «Linquenda» am Ponton der Locaboat. Wir tigerten so lange auf diesem Ponton herum, bis uns ihre Eigner, das Ehepaar Robert, zur Besichtigung einlud. Wir haben im Bericht Nr. 45 bereits geschildert, wie uns darauf der Hausboot-Virus packte. Als Reaktion auf diesen Bericht Nr. 45 hat uns übrigens Philippe Robert einen Eintrag ins Gästebuch unserer Homepage geschrieben. Und jetzt, sechseinhalbJahre später, ist die für uns damals riesige «Linquenda» eine «kleine Péniche» geworden. Tempora mutantur et nos mutamur in illis (Die Zeiten ändern sich und wir uns mit ihnen)!
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Aus dem Logbuch
- Digoin. Quai unterhalb der Marina (bis zu 38 m) sowie Marina (nur für Yachten). Wasser und Strom. Ausserhalb Saison Euro 7.30 plus Strom und Taxe, Saison Euro 12.30 plus Strom und Taxe. Alle Einkaufsmöglichkeiten. Die Bäckereien Nähe Hafen sind lausig, Brotauswahl beklagenswert. Gute Bäckerei hinter der Kirche. Markt Freitagmorgen.
- Beaulon-sur-Loire. Bassin unterhalb Schleuse Nr. 8 mit Grasufer und Betonquai. Wasser und Strom gratis. Einkaufsmöglichkeiten in Beaulon, ca. zwei Kilometer entfernt. Gute Metzgerei, sehr gute Bäckerei, zwei kleine Supermärkte. Kein Wochenmarkt. Musée rural.
- Gannay. Hafen unterhalb der ehemaligen Mietbasis der Burgundy Cruisers. Wasser und Strom gratis. Gute Einkaufsmöglichkeiten in Gannay: gepflegter Proximarché, Metzgerei, Bäckerei (nur morgens geöffnet), Töpferei mit einer sehenswerten Verkaufsausstellung alter Kanonenöfeli und Kochherde.
- Fleury-sur-Loire. Kleiner halte fluviale mit Snack Bar. Strom und Wasser 2 €. Bäckerei. Keine weiteren Einkaufsmöglichkeiten.
- Le Guétin. Sehr langer Quai mit Pollern unterhalb der Doppelschleuse von Le Guétin. Keine Einrichtungen. Gratis. Gutes Restaurant «Auberge du Pont Canal», Bäckerei, Bar Tabac, keine weiteren Einkaufsmöglichkeiten für Lebensmittel. Pittoreske kunstgewerbliche Boutiquen. Parc floral d’Apremont und Bec d’Allier als Sehenswürdigkeiten in angenehmer Velodistanz.
- Cours-les-Barres. Quai mit Pollern. Strom und Wasser gratis. Nettes Restaurant im Dorf. Bäckerei. Keine weiteren Einkaufsmöglichkeiten.
- La Chapelle Montlinard. Anlegemöglichkeit bei ehemaliger Werft, vor dem Trockendock. Strom und Wasser nur für Mitglieder des Vereins der «Amis du Port». Tagesmitgliedschaft für 3 € möglich, im Haus gegenüber fragen.
- Ménétréol-sous-Sancerre. Quai mit Pollern. Liegeplatz gratis, Wasser und Elektrisch für Boote < 12 m 3 €/Tag, >12 m Wasser pauschal für drei Tage € 15, Elektrisch € 5/Tag. Nettes und günstiges Restaurant «Le Floroine». Einkaufsmöglichkeiten in Sancerre. Schlüssel zum Elektrokasten im Restaurant verlangen.