Gorinchem
Anfangs Dezember laufen wir aus Gorinchem aus und fahren auf dem Merwedekanal zu unseren holländischen Freunden Frits und Nell van Geijtenbeek, welche eine Fahrstunde entfernt wohnen. Wir durften seinerzeit, als wir im Frühling 2006 die Achterkajüte unseres Schiffs umbauten, bei ihnen wohnen. Sie befahren mit ihrer wunderschönen «Shell V» ganz Europa und wir treffen uns immer wieder auf den Wasserstrassen.
Unser Aktionsprogramm gegen allfällige Schlechtwetter-Depressionen umfasst in diesem Monat die Einladung zu einer Fondue. Obwohl die Niederlande ein grosser Käseproduzent sind, wird viel Käse importiert und, zu unserer Freude, findet man verschiedene schweizerische Käsesorten in hervorragender Qualität. Wir entdecken in «unserem» Käseladen sogar einen sehr anständigen Fendant.
FIGUGEGL – Erinnern Sie sich noch? Ja natürlich: Fondue isch guet und git e gueti Luune! Der Vorteil einer Schiffsküche und des dichten holländischen Netzes von Wasserstrassen ist, dass wir, sozusagen als Störköche, unsere Freunde vor Ort bekochen können.
Unseren holländischen Freunden mussten wir ja schon einmal in Paris – im Hochsommer! – eine Fondue machen. Aber jetzt herrscht veritables Fonduewetter. Es ist kalt, Regenböen peitschen über das flache Land, die Wellen schlagen gegen das Schiff.
Jetzt bewähren sich die gute Isolation des Schiffsrumpfes und die leistungsfähige, aber sparsame Zentralheizung. Der Kirsch wärmt mit und während draussen der Dezembersturm tobt, herrscht im Schiff fröhliche Fonduestimmung!
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À propos Dezembersturm: Es ist nicht nur kalt in den Niederlanden, sondern am 20. Dezember schneit es, wie in weiten Teilen Europas auch. In Gorinchem ist das sehr idyllisch.
Am Sonntagmorgen veranstaltet der örtliche Rotary-Club einen Samichlaus-Lauf, den «Santa-Run», an welchem über hundert Samichläuse und -chläusinnen samt Nachwuchs teilnehmen.
Sonst aber ist Schneefall in Holland eher selten. An diesem 20. Dezember schneit es die für niederländische Verhältnisse gewaltige Menge von zehn Zentimeter und das ganze hoch entwickelte und hoch technisierte Land versinkt im völligen Chaos. Dass die Niederländer, welche grundsätzlich keine Winterpneus montieren, auf den Strassen fröhliche Rutschpartien veranstalten, ist ja noch nachvollziehbar.
Aber dass der Zugverkehr vollständig – vollständig! – zusammenbricht, und auch am Tag darnach – ganz im Gegensatz zum Strassenverkehr – immer noch zusammengebrochen ist, kann man bei einem Land im nördlichen Europa nur ganz schwer verstehen. Das Problem sind gemäss den offiziellen Verlautbarungen die nicht schneetauglichen Weichen sowie die Unterhaltsequipen, welche schlicht überfordert sind. Charlotte jedenfalls landet am Nachmittag des 20. Dezember in Amsterdam Schiphol und erreicht Gorinchem – normale Reisezeit 1 ¼ Stunden mit einmal Umsteigen – erst am nächsten Tag. Hätten unsere Freunde Frits und Nell sie nicht mit dem Auto in Utrecht abgeholt, stünde sie wohl immer noch auf überfüllten Bahnsteigen oder vor geschlossenen Informationsschaltern. «Wann geht der nächste Zug nach Utrecht?» «Sie müssen auf die Informationstafeln beachten!» Einzige Anzeige auf den Informationstafeln: «Achtung vor Taschendieben». Naja, so geht es auch.
Aber wir wollen nicht mit Widrigkeiten hadern, die ja vergleichsweise gering sind, sondern uns am idyllischen Bild freuen, welches die tief verschneite Kinette im tief verschneiten Hafen im tief verschneiten Gorinchem bietet!
Wir wollten ja eigentlich am 30. Dezember noch einmal auslaufen, um den Silvester im Biesbosch zu verbringen, fernab von Jubel, Trubel und vor allem von Feuerwerk.
Aber erstens kommt es anders und zweitens, als man denkt. In der Hafeneinfahrt liegt eine dicke Schicht Eis und es reut uns schlicht, den teuren Unterwasseranstrich beim Eisbrechen liegen zu lassen. Also schicken wir uns ins Unvermeidliche und machen das Beste daraus.
Zum niederländischen Jahreswechsel gehören Oliebollen und zwar unabdingbar.
Diese Ölkrapfen sind eine Art Berliner Pfannkuchen, wie diese schwimmend gebacken, aber ohne Konfitüre in der Mitte. Es gibt sie in der Variation «Krentenbollen» (Korinthenkrapfen) und «Appelbollen» (mit Apfelstückchen).
In diese Zeit fällt der Besuch unseres Sohnes Kilian mit Freundin Simone. Mit dem Wassertaxi setzen wir über ins historische Städtchen Woudrichem.
Das Wassertaxi ist mit 5 Euro pro Person Pauschaltarif nicht nur billig, sondern mit seinen zwei 450 PS-Motoren auch schnell. Macht echt Spass!
In Woudrichem ist der historische Hafen nur schon deshalb sehenswert, weil hier prachtvolle Schiffe liegen, die permanent bewohnt sind.
Ein absolutes Muss ist der Besuch der Windmühle, in welcher heute noch Korn gemahlen wird. Diese Mühle wurde 1662 gebaut, von den abziehenden Deutschen 14 Tage vor Ende des Zweiten Weltkriegs in die Luft gesprengt, von den Niederländern originalgetreu wieder aufgebaut und 1995 wieder in Betrieb genommen.
Zum niederländischen Jahreswechsel gehört ferner Feuerwerk. Die Niederländer stehen zwar – zu Recht übrigens – im Ruf, sparsam, ja sogar geizig zu sein. Es gilt auch als unfein, wenn jemand zeigt, dass er wohlhabend ist. Aber wenn es um Silvester-Feuerwerk geht, dann wird nicht gekleckert, dann wird geklotzt. Nix Wirtschaftskrise!
Dieses Jahr haben die Niederländer für rund 65 Millionen Euro Feuerwerk eingekauft, um es in kürzester Zeit in die Luft zu jagen. Da hier wie beispielsweise auch in Zürich zu einem solchen Anlass Komasaufen, wilde Zerstörungswut, Autos anzünden und Messerstechereien gehören, sind Polizei und Feuerwehr im Alarmzustand. Die Stadtwerke verschliessen alle Abfallcontainer und Papierkörbe, weil sie sonst mit Feuerwerk in die Luft gesprengt würden.
Gorinchem ist im Gegensatz zu den grossen Städten Amsterdam, Rotterdam, den Haag und Utrecht geradezu eine Idylle des Friedens. Es knallt und donnert einfach stundenlang. Vor allem die Kanonenschläge, in den engen Gassen gezündet, lassen die Häuser bis auf die Grundmauern erzittern. Um Mitternacht geht dann die Post so richtig ab.
Während rund einer Stunde sind wir mitten im Feuerwerk, aber bei allem «Ahhh!» und «Ohhh!» haben wir die Feuerlöscher doch griffbereit. Unser Albtraum ist eine Rakete im Direktschuss, denn immerhin sitzen wir auf knapp zwei Tonnen Diesel und 30 Kilogramm Propangas. Aber alles geht gut und wir können das Feuerwerk unbeschwert geniessen. Wir gehen allerdings in den Kleidern zu Bett, denn irgendwann werden sich auch die sehr angeheiterten Sportsfreunde auf den Heimweg machen.
Wir verbringen eine ruhige Nacht und Christian muss nur einmal, um 05:30 Uhr, einen sturzbetrunkenen Jugendlichen vom Steg komplimentieren.
So endet das Jahr 2009 ohne Zwischenfälle und wir können nur hoffen, dies sei uns auch 2010 beschieden!