De Veenhoop – Leeuwarden – Bolsward – Sneek – Leeuwarden
(Friesische Gewässer; 183 km, 38 Dreh- und Hebebrücken, keine Schleusen)
Friesland ist, rechnet man die Wasserflächen mit, die grösste Provinz der Niederlande mit den meisten Dörfern, der kleinsten Stadt, den längsten Menschen und der höchsten Lebenserwartung. Friesland ist noch flacher als der Rest der Niederlande und der Blick zum Horizont endlos. Milchkühe und Pferdeweiden, soweit das Auge reicht. Hin und wieder ein Bauernhof, stattlich und gepflegt. Eher eine Bauernresidenz. Landwirtschaft mit Milchwirtschaft und Pferdezucht ist, neben dem Wassertourismus, die Haupteinnahmequelle.
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Friesland ist wirklich besonders, aber was es ganz besonders macht, ist seine eigene Sprache. Auf friesisch heisst Friesland «Fryslân». Friesisch ist, anders als Schweizerdeutsch, nicht einfach ein Dialekt, sondern gilt als Sprache, welche geschrieben und gesprochen wird. Hier heissen die Dörfer Beetstersweach und Goijingahûzen, die Fahrwasser Sitebuorster Ie und Saiterpetten, die Männer heissen zum Vornamen Sytze, Sjoerd, Tjerd und Pake, die Frauen Sapke, Wietske, Sjouke und Hanskje. Typische friesische Familiennamen sind Heegstra, Bouma, Feenstra, Terpstra und Dijkstra.
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Friesen und Appenzeller haben gewisse Ähnlichkeiten: Stolz auf die Eigenständigkeit und vor allem ein unbeugsamer Selbstbehauptungswillen. Als die Niederlande von den Römern besetzt waren, fanden sich die geschäftstüchtigen Niederländer schnell damit ab und machten das Beste aus der Situation. Nicht so die Friesen, welche 28 nach Christus sogar den Aufstand gegen den übermächtigen Feind probten. Asterix und Obelix auf friesisch.
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Dass Friesland heute ein Wassersportparadies par excellence ist, geht darauf zurück, dass es ursprünglich eine Sumpf- und Wasserlandschaft war, mehr nass als trocken, mit unzähligen Inselchen, Seen und Wasserläufen. Damit man überhaupt siedeln konnte, musste man zuerst das Land etwas aufschütten und einen kleinen Hügel machen, die sogenannten Terpen, auf denen dann ein Gehöft gebaut wurde.
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«Wassersportparadies» bedeutet neben einem einzigartigen Fahrtenrevier unzählige Jachthäfen, Bootsvermieter, Werften, Reparaturbetriebe, Anlegestellen und Hebebrücken. Es bedeutet aber auch, dass in der Hochsaison, wenn in den Niederlanden die sogenannten Bauhandwerkerferien ausbrechen, zusätzlich zu den unzähligen Mietbooten alles auf dem Wasser unterwegs ist, was sich als schwimmender Untersatz eignet. Mit einem Wohnschiff von Kinettes Ausmassen Abend für Abend einen neuen Liegeplatz zu finden, ist eine echte Herausforderung.
So haben wir denn, wovon wir schon im letzten Bericht erzählt haben, beim kleinen Weiler De Veenhoop für die Monate Juli und August einen festen Liegeplatz gemietet, um den wir uns selbst beneiden. Wir liegen am Ufer der «Winde Ie», der «Weiten Ee» auf Deutsch. Keine Strasse, kein Eisenbahnverkehr – nur Gras, Gebüsch, Schilf und Wasser. Das einzige nächtliche Geräusch ist das sanfte Plätschern der Wellen an den Schiffsrumpf.
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Natürlich besteht unser Tageslauf nicht daraus, dass wir dem Plätschern der Wellen lauschen. Wir benützen die Gelegenheit eines festen Liegeplatzes und widmen uns mit Inbrunst den wieder einmal – eigentlich immer wieder – fälligen Unterhaltsarbeiten. Das ganze Salondach sowie das Dach der Achterkajüte werden geschliffen, entfettet, allfällige kleine Roststellen behandelt und dann mit einem neuen Farbbelag versehen. Die Farbe aus dem französischen Baumarkt (Marke «Hammerite») hat nicht einmal ein Jahr gehalten. Hier erhalten wir die hochwertige Schiffsfarbe, welche wir in Frankreich vergeblich gesucht haben. Der Qualitätsunterschied ist sicht- und der Preisunterschied natürlich spürbar. Gutes hat seinen Preis. Aber auf die Dauer ist die teuerste Farbe die billigste. Nach dem Dachbereich ist das gesamte Deck an der Reihe. Es wird ebenfalls entfettet und geschliffen, dann erhält es einen Anti-Rutsch-Belag. Drei Schichten insgesamt, denn das Deck ist unser Arbeitsplatz und wird stark beansprucht. Zur Hauptsache haben wir Farbe der Marke Sikkens verwendet, zum Teil Epifanes. Qualitativ hochwertig sind auch Produkte von Hempel, International und Coelan.
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Es ist wieder einmal einer jener hektischen Momente, da wir zusammen mit Freunden bei einem Glas Wein auf dem Vorderdeck die Sonne untergehen lassen und davon bis aufs Äusserste gefordert sind. Lara, die mit ihren Eltern Kuno und Christina schon mehrmals Ferien bei uns verbracht hat, jauchzte in solchen Momenten jeweils: «Isch daaas schööön!» Susi, welche zusammen mit ihrem Mann im Juni bei uns weilte, schrieb Kinette-Geschichte mit dem Ausruf: «Hei, hämmiiirs schööön!»
Würden nicht immer wieder Freunde ihre Ferien oder ihre verlängerten Wochenenden bei uns verbringen, käme uns wohl gar nicht mehr zum Bewusstsein, welch unglaublichen Grad an Freiheit und Unabhängigkeit wir mit unserem Lebensstil geniessen.
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Um keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen: Wir sitzen nicht den ganzen Tag auf dem Vorderdeck, das Weissweinglas in der Hand und rufen ein ums andere Mal: «Hei, wie hämmiirs schöön!» Die einsame Idylle unseres Liegeplatzes wird dann öd, wenn das Wetter Velotouren verunmöglicht und uns ans Schiff fesselt. Oder sind Sie schon mal bei Windstärke 6 oder 7 Beaufort im Gegenwind Velo gefahren?
So schön und warm der Juli in Friesland war, so nass ist der August. Mehr als einmal fällt der Barometer ins Bodenlose und das KNMI, das Königlich Niederländische Meteorologische Institut, gibt eine Sturmwarnung heraus.
Kein Schiffseigner verlässt in einem solchen Moment sein Schiff, auch wir nicht. Wir machen Kinette sturmfest: Was gefährdet ist, wird festgezurrt, die Satellitenschüssel wird eingefahren und die Belegtrossen werden überprüft. Der Wind kommt von Nordwesten, also übers offene Wasser. Der Nachteil ist, dass wir ungeschützt sind, der Vorteil, dass der Wind auflandig ist, wir also nicht Gefahr laufen, losgerissen zu werden, wenn die Holzpfähle am Ufer nicht halten sollten. Eine ganze Nacht tobt der Sturm um unser Schiff, aber Kinette schaukelt träge und unbeeindruckt in den Wellen. Wir haben Notlampen, Kleider und Rettungswesten griffbereit, aber alles hält sicher. Nach einer beeindruckenden Salve von Blitzen und krachendem Donner sind Sturm und Gewitter vorbei. Von einem Moment auf den anderen ist der Spuk vorbei und die Wellen plätschern friedlich…
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Gegen Ende August werden wir unruhig. Ausser ein paar wenigen Tages-Ausflügen mit Lions-Freunden aus der Schweiz, welche uns besucht haben, lagen wir an unserem Sommerliegeplatz. Kommt hinzu, dass sich Freunde aus der Schweiz angesagt haben. Der bekannte Maler und Illustrator Martin Eberhard und seine Frau Thesi werden eine Woche mit uns fahren.
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Nach verregneten und stürmischen Wochen ist es, wie wenn sich Friesland dem Auge des Künstlers Eberhard von seiner allerschönsten Seite zeigen wollte. Dass das Licht in Friesland anders ist, merkt man übrigens beim Fotografieren. Mit den üblichen Standardeinstellungen sind alle Fotos wegen des hellen Lichts chronisch unterbelichtet. Hier helfen nur manuelle Belichtungskorrektur und ganze Serien mit unterschiedlichen Zeiten und Belichtungswerten.
Neben dem fotografisch-meteorologischen Verwöhnprogramm kommt auch die Kultur nicht zu kurz: Das alte Rathaus in Bolsward mit seiner reichen stadtgeschichtlichen Sammlung, das Schifffahrtsmuseum in Sneek mit seinen atemberaubenden Schiffsmodellen und natürlich das Eisenbahnmodell-Museum, ebenfalls in Sneek, welches mit seinen Tausenden von Eisenbahnmodellen und den funktionierenden Modelleisenbahnanlagen jedes Männerherz höher schlagen lässt.
Aber ohne Fleiss kein Preis. Den letzten Ölwechsel haben wir vor 200 Betriebsstunden gemacht, Zeit also für frisches Öl. Nachdem Martin Eberhard gestanden hat, er sei unheilbar vom Schiffsvirus befallen, darf er mit Hand anlegen.
Nicht zuletzt dank Ihren liebe- und wertvollen Tipps geriet eine Passage auf dem Canal du Nivernais bei schönstem Herbstwetter zur Traumtour. Der Liebe Gott war wahrlich ein Burgunder. Schöne Grüsse von einem sog. „Freizitcapitaine“