Meerkerk – Biesbosch – Gouda
(Merwedekanal, Boven Merwede, Brabantse Biesbosch, Hollandse Ijssel, 144 km, 10 Schleusen, 27 Dreh- und Hebebrücken)
Sind Sie auch schon einmal über Bord gefallen? Nein? Dann haben Sie Glück gehabt! Aber überlegen Sie sich einmal, was wäre, wenn: Wie kommen Sie wieder an Bord zurück? Kleinere Jachten haben oft eine Badeplattform, über die man problemlos wieder aufs Schiff klettern kann. Grössere Schiffe haben eine Schwimmleiter auf Deck – gut verzurrt. Im Notfall ist der «Rettling» im kalten Wasser längst bewegungsunfähig und nicht mehr in der Lage, eine Leiter hochzuklettern. Es ist noch nicht lange her, fiel ein Berufsschiffer nachts im Hafen unbemerkt über Bord und ertrank, weil er nirgends hochklettern konnte.
Das hat uns veranlasst, beim letzten Werftaufenthalt Trittbügel an unser Steuerruder und ans Heck anschweissen zu lassen. Eine nach unserer Meinung elegante Lösung des «Mann über Bord-» resp. des «Mann wieder zurück an Bord-Problems». Sind Sie Schiffseigner oder -Mieter, lohnt sich jedenfalls die Überlegung, wie man im Falle eines Falles wieder zurück an Bord kommt.
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«Wir fahren für ein verlängertes Wochenende in den Nationalpark Biesbosch, kommt Ihr mit?» Die Frage unserer holländischen Freunde Nell und Frits van Geijtenbeek beantwortet sich bei diesem prachtvollen Frühlingswetter sozusagen von selbst. Mit von der Partie sind weiter Ruud und Tricia van Duinen mit ihrer 24.85 m langen Luxemotor «Lawrence» sowie das kanadisch-irische Ehepaar Louise und Roger Lamothe mit der 21 m langen «The River», die soeben vom Schiffsmotoren-Spezialist Martin de Jong mit einem nigelnagelneuen 6.8 Liter «John Deere»-Schiffsdiesel versehen wurde.
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Wir werden vier Tage miteinander im Biesbosch verleben und haben abgesprochen, dass jeden Abend ein anderes Paar die Gruppe bekocht.
Die van Geijtenbeeks verwöhnen uns mit einem Nasi Goreng, die Lamothes warten mit einer angereicherten Pastaschüssel auf, die van Duinens bereiten eine indonesische Reistafel zu und den Hubers hilft alles nichts, wir können uns dem Wunsch nach einem «Zwitserse kaasfondue» nicht verschliessen.
So verbringen wir die Abende bei gutem Essen, geselligem Zusammensein, viel Gelächter und unzähligen Geschichten, Anekdoten und Erlebnissen vom Leben auf dem Wasser. Es wird jeweils sehr, sehr spät…
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Die Fahrsaison hat noch nicht begonnen und die Liegeplätze im sonst – vor allem an Wochenenden – ziemlich überlaufenen Biesbosch sind noch verwaist.
Das riesige Gebiet, das auch «der niederländische Amazonas» genannt wird, ist ein Naturparadies erster Güte. Hier sind Biber, Fischotter, Rohrdommel und zahllose andere Tierarten heimisch – auch wenn man sie kaum oder nur mit viel Glück zu Gesicht bekommt.
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Die Morgendämmerung ist bei der herrschenden Wetterlage so spektakulär, dass Christian, den passionierten Fotografen, trotz später Nachtruhe nichts mehr im Bett zurückhält.
Und was gibt es Schöneres, als auf der spiegelglatten Wasserfläche mit dem Beiboot in den Morgen hinein zu rudern?
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Es ist Frits, der die Idee eines gemeinsamen Ankermanövers aufbringt. Zwar haben wir alle taugliches Ankergerät, aber (zu) wenig Übung. Die relativ untiefen Wasserflächen im Biesbosch laden förmlich zu einem Ankermanöver zu viert ein. Der Vorschlag stösst auf begeisterte Zustimmung, der Spieltrieb ist erwacht. Nach einem ausgiebigen Briefing fahren wir an einen geeigneten Ankerplatz.
Über Funk wird das Manöver koordiniert, damit die vier Schiffe auch optisch etwas hergeben. Mit seemännischer Präzision rauschen die vier Anker aus und am Schluss sind die vier Schiffe exakt auf einer Linie. Ordnung muss sein!
Sie werden neidlos (unseretwegen auch neidvoll) zugeben, dass die vier Schiffe, die da auf einer Linie vor Anker liegen, ein imposantes Bild abgeben. Wozu ein Binnenschiff überhaupt Ankergerät braucht? Hauptsächlich aus zwei Gründen: Zum einen aus Sicherheitsgründen. Wenn auf einem Gewässer mit Strömung z.B. wegen einer Störung in der Dieselzufuhr eine Motorpanne auftreten sollte, so ist der Anker das einzige Mittel, damit man nicht abgetrieben wird. Motorlos quer auf einen Brückenpfeiler zu treiben, ist ziemlich unerfreulich. Taugliches Ankergerät ist deshalb auf einem zertifizierten Schiff Vorschrift, der Anker selbst muss ein bestimmtes Gewicht aufweisen.
Der zweite Grund ist, dass man namentlich in den Niederlanden und in Deutschland an vielen Orten vor Anker gehen kann und dann ganz für sich allein ist. Manchmal ist dies in der Hochsaison eine gute Möglichkeit, die überlaufenen festen Liegeplätze und Häfen zu vermeiden.
Uns allen gefällt es jedenfalls vor Anker so gut, dass wir erst nach einigen Stunden die Anker lichten und einen Liegeplatz ansteuern, von welchem aus wir eine Wanderung unternehmen können.
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Nach vier grossartigen Tagen im Biesbosch richten wir unseren Kurs nach Nordwesten. Unser Ziel ist der Keukenhof, die weltweit grösste Blumenschau unter freiem Himmel. Die Fahrt dahin geht diesmal über die kanalisierte Hollandse Ijssel, die wir im März befahren wollten, aber noch nicht konnten; sie ist erst ab 1. April befahrbar.
Unser erster Halt ist Montfoort, ein kleines und sehenswertes Städtchen. Es entstand 1170 rund um eine kleine Festung, welche der Utrechter Bischof Godfried van Rhenen erbauen liess, um das dortige Stift vor den Grafen von Holland zu schützen. Diese Festung «mons fortis» – starker Berg – gab der Siedlung den Namen. 1672 verwüsteten die Franzosen den grössten Teil der Burg. Es war ihnen nur eine kurze Zeit der Besetzung vergönnt, denn der Prinz von Oranjen, Willem III., verjagte sie ohne viel Federlesens.
Hübsch ist die wieder funktionsfähige Kornmühle aus dem Jahr 1753. Der Burggraf hatte sie als «Pflichtmühle» errichtet. Die Bauern der Umgebung waren verpflichtet, ihr Korn hier mahlen zu lassen. Als die Mahlpflicht abgeschafft wurde und die Elektrizität aufkam, rentierte die Mühle nicht mehr und sie verfiel. Erst vor wenigen Jahren wurde sie von einer Utrechter Stiftung vollständig restauriert. Jeden Samstag wird – genügend Wind vorausgesetzt – wieder Korn gemahlen.
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Die kanalisierte holländische Ijssel ist von Nieuwegein bis Gouda nur 32 km lang. Man passiert in Nieuwegein nach einer Spitzkehre – ziemlich tricky mit einem grossen Schiff! – eine offenstehende, enge Schutzschleuse, acht Hebe- und Drehbrücken sowie, kurz vor Gouda, die kleine Waaierschleuse mit nur gerade 24 m Länge – wir passen also grad so knapp hinein.
Die Waaierschleuse schliesst den kanalisierten Teil der Hollandse Ijssel ab gegen ihren nicht kanalisierten Teil, ein Gezeitengewässer mit einem Tidenhub von bis zu 1.80 Meter. Die Waaierschleuse hat deshalb nicht, wie übliche Schleusen, vier Tore, sondern deren acht.
Die Erklärung: Mit einer Schleuse wird ein Höhenunterschied überwunden. Auf der Seite des höheren Wasserstandes bilden die Tore ein «V» nach aussen, um dem Wasserdruck standhalten zu können. Entsprechend bilden die «unteren» Tore ein «V» gegen innen. Bei einer Gezeitenschleuse wechseln «unten» und «oben» je nach Gezeitenstand. Jeweils zwei Tore bleiben offen, je eines auf jeder Seite, die beiden anderen Tore sind das «Berg-» und das «Taltor». Tönt komplizierter als es ist, jedenfalls funktionierts.
Aus dem Logbuch
- Montfoort. Zahlreiche Liegeplätze am linken Ufer. Vorsicht: Der Grasstreifen zwischen Wasser und Weg dient den Eingeborenen als Hundeversäuberungsplatz. Liegeplatz Gratis. Weder Strom noch Wasser. Ruhig. Gute Einkaufsmöglichkeiten.
- Gouda. In der Turfsingelgracht links und rechts Liegeplätze, teilweise mit Wasser und Strom. In der Kattensingelgracht Liegemöglichkeiten für Schiffe unter 12 m und unter 12 Tonnen. Kostenpflichtig. Alle Einkaufsmöglichkeiten. Markt am Donnerstag und am Samstag. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten: Sint Janskerk mit den grössten und schönsten Kirchenfenstern, welche seit dem Mittelalter alle Stürme der Zeit überstanden haben. Das Widerstandsmuseum ist ebenfalls einen Besuch wert.