Erquelinnes (Haute Sambre, Belgien)
Wir haben uns für rund einen Monat in den Hafen von Erquelinnes zurückgezogen. Nicht, weil diese kleine ostbelgische Stadt in der Provinz Hainaut (zu deutsch Hennegau) auch nur das Geringste zu bieten hätte. Im Gegenteil, alles wirkt etwas verwahrlost und heruntergekommen. Aber wir liegen hier ruhig und verkehrstechnisch nicht völlig ab der Welt. Das ermöglicht uns einen Abstecher zu unseren Kindern und dem Enkelkind in die Schweiz; Christian reist überdies noch nach Groningen, um dort für Freunde ein Schiff zu begutachten.
Erquelinnes war einst ein umtriebiger Umschlagplatz an der belgisch-französischen Grenze. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde hier Kohle, welche in der Gegend von Charleroi gefördert wurde, auf Lastkähne umgeladen, welche sie dann auf der Sambre, der Oise und der Seine nach Paris transportierten.
Die Sambre selbst, ein mit Schleusen schiffbar gemachtes Flüsschen, war ein wichtiger Transportweg zwischen Belgien und Frankreich. Im Städtchen Thuin, von dem wir noch erzählen werden, waren rund 1’000 Familienoberhäupter in der Schifffahrt beschäftigt – bei einer Einwohnerzahl von 5’000. Dazu kamen fünf Schiffswerften sowie Schlepperbetriebe und Schiffsversicherer.
Dann wurde die Tonnage der Schiffe erhöht, aber die Schleusen der Sambre nicht angepasst, später wurde keine Kohle mehr gefördert und 1993 fielen die (sichtbaren) Grenzen in Europa. Mit einem Schlag versank Erquelinnes in der Bedeutungslosigkeit. Es verlief nicht immer so lustig wie im französisch-belgischen Film «Rien à déclarer», jedenfalls nicht in Erquelinnes. Die Hoffnung auf den Bootstourismus auf der idyllischen Sambre musste man ab 2005 auch begraben; den Grund dafür haben wir im letzten Bericht beschrieben.
Nach unserem Eindruck hat nicht nur Erquelinnes, sondern das gesamte Hennegau den Anschluss an die heutige Zeit verpasst. Das Einzige, was den Verantwortlichen übrigens dazu einfiel, sind graphisch aufwendig gestaltete Schautafeln der gesamten belgischen Sambre entlang, welche erklären, was hier einst transportiert, produziert und fabriziert wurde. Ach ja, und ein modernes Gebäude im abseits gelegenen Hafen. Eigentlich sollte es die Capitainerie du Port werden, aber der Hafenkapitän lebt lieber in seiner Péniche, weshalb das «Syndicat d’Initiative» hier einzog. Jetzt langweilt sich dort ein junger Mann von morgens bis mittags. Dann packt er ein und geht nach Hause. Bezahlt hat das der belgische Staat nur zum Teil, den Rest hat die EU gestiftet. «Fond Européen de Développement Régional» heisst das wundersame, mit Steuergeldern alimentierte Kässeli.
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Wie Erquelinnes zehrt auch das etwas weiter flussabwärts gelegene Thuin vom Glanz der Vergangenheit, nur wirkt Thuin nicht ganz so hoffnungslos wie Erquelinnes. Im Gegenteil beherbergt es einige Sehenswürdigkeiten, welche einen Besuch lohnen.
Die «obere Stadt» thront auf einem Hügel, dominiert von einem mittelalterlichen Turm, dem beffroi. Erklimmt man im Innern die 169 Stufen, wird man mit einer fantastischen Aussicht über Thuin und das Tal der Sambre belohnt.
Die «untere Stadt» liegt am Ufer der Sambre. Dort liegt die «Thudo» vertäut, ein ehemaliges Frachtschiff. Heute ist darin ein hübsches, kleines Schiffsmuseum untergebracht, welches an die Zeit erinnert, da Thuin von der Schifffahrt lebte.
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Vielleicht ist es bezeichnend, dass sich auch eine zweite Sehenswürdigkeit mit der Vergangenheit beschäftigt, nämlich «Le Centre de Découverte du Chemin de fer vicinal». Hinter dem etwas hochtrabenden Namen des «Zentrums zur Entdeckung des Schienennahverkehrs» verbirgt sich ein liebevoll gemachtes Trammuseum.
Auch wenn es dem Trammuseum in Zürich (Schon dort gewesen? Unbedingt besuchen!) nicht das Wasser reichen kann, findet man doch einige Preziosen. So beispielsweise eine schön restaurierte Dampftramlokomotive, welche von 1888 bis 1965 in Lüttich Dienst tat.
Ein echtes Sammlerstück ist ein Dieseltram(!), welches mit einem im Jahre 1945 samt dem unsynchronisierten Viergang-Getriebe aus einem amerikanischen Sherman-Panzer ausgebauten General-Motors-Sechszylinder betrieben wird. Der Motor ist im Originalzustand und läuft immer noch.
An Sonntagen zwischen April und Oktober kann man mit einem ebenfalls historischen elektrischen Tram sowie mit dem Dieseltram eine insgesamt rund einstündige Fahrt unternehmen.
Der Wagenführer des elektrischen Trams macht sich einen Spass daraus, das Letzte aus seinem Triebfahrzeug herauszuholen. Wir erwarten jeden Moment, dass der Wagen aus den Schienen springt. Kommt hinzu – dies für technisch Interessierte – dass das Fahrzeug von Hand gebremst wird und keine Luftdruckbremsen hat.
Die Virtuosität, mit welcher der pensionierte Wagenführer die vier nicht synchronisierten Gänge des ehemaligen Panzergetriebes hinauf (zweimal kuppeln) und hinunter schaltet (Zwischengas), ist hohe Schule und das Zuschauen macht richtig Freude.
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Unser ausgedehnte Aufenthalt in Erquelinnes nähert sich seinem Ende und wir machen uns an die Routenplanung. Eigentlich wollten wir maasaufwärts nach Ostfrankreich fahren, um dann auf der Petite Saône und der Saône auf dem Canal du Centre nach Roanne zu gelangen. Aber die Trockenheit dürfte unseren Plänen einen Strich durch die Rechnung machen. Im Internet sehen wir einen Avis à la batellerie der VNF, wonach der Canal du Centre sauf pluies exceptionnelles – also ausserordentliche Regenfälle vorbehalten – ab 17. August nicht mehr befahrbar sei. Offensichtlich sind die Speisewasserbecken bald leer.
Bleibt uns die Westroute, also auf dem belgischen Canal du Centre westwärts, eventuell mit einem Abstecher nach Lille, dann südlich nach Douai und auf dem Canal du Nord Richtung Paris. Von Paris fährt man seineaufwärts bis St Mammès und hernach über den Loing-, den Briare- und den Loire-Seitenkanal nach Digoin. Von Digoin führt der Weg «nach Hause» auf dem Canal de Roanne à Digoin. Die Aussicht, mangels pluies exceptionnelles in Paris den Winter verbringen zu müssen, ist übrigens nicht unbedingt erschreckend…
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Aus dem Logbuch
- Erquelinnes. Hafenbecken, welches durch eine Einfahrt unter der Eisenbahnlinie (max. Höhe 4.20 m, Breite 5.20 m) von der Sambre aus angefahren wird. Strom und Wasser, Duschen, Waschmaschine und Tumbler in der Capitainerie. Kostenpflichtig. Wenig Passantenschiffe, hauptsächlich Daueraufenthalter. Die Zufahrt für Autos wird nachts abgeschlossen. Bahnhof mit Verbindung nach Charleroi ca.10 Fussminuten. Erquelinnes hat alle Einkaufsmöglichkeiten (Lidl, Aldi, Delhaize, Colruyt etc.), aber keine kulturellen Sehenswürdigkeiten. Sehr mittelmässiger Wochenmarkt am Freitag, besserer Wochenmarkt am Donnerstag im benachbarten frz. Jeumont. Das Brot kauft man auch besser beim Bäcker in Jeumont (mit dem Velo auf dem Treidelpfad nur 2.2 km).
Ein großes Kompliment für deine Seite, insbesondere für die Fotos. Betreibe den Aufwand weiter, er lohnt sich!