Paris Bassin de la Villette – Frise sur Somme
(Canal St Denis, Seine, Oise, Canal latéral à l’Oise, Canal du Nord, Canal de la Somme; 226 km, 26 Schleusen, 3 Hebebrücken, 1 Tunnel)
Nach einer Woche mitten in Paris und nach der Fahrt durch das Industriegebiet von Saint Denis sind wir endlich wieder auf einem Fluss: Zuerst auf der Seine zu Tal bis Conflans-Sainte Honorine und dann die Oise zu Berg. Man nennt das in der Sprache der Binnenschiffer tatsächlich «zu Tal» und «zu Berg», obwohl es hier zwar Täler, aber weit und breit keine Berge gibt. Aber wenn man am Funk seine Fahrtrichtung angibt, ist man entweder «montant» oder «avalant». Dies nur als Klammerbemerkung, denn wir wollten Ihnen eigentlich von den Schönheiten des Flussfahrens vorschwärmen.
Von Paris fliesst die Seine in riesigen Windungen breit und träg Richtung Le Havre, wo sie sich in den Ärmelkanal ergiesst. Schleusen hat es etwa alle dreissig Kilometer. Rund 40 Kilometer unterhalb Paris, in Conflans-Sainte-Honorine, mündet die Oise in die Seine. Conflans ist seit jeher ein Zentrum der Binnenschifffahrt, die Frachtschiffe liegen in Dreier- und Viererreihen am rechten Ufer. Aber über weite Strecken ist die Zivilisation kaum sichtbar, dafür bewaldete Ufer links und rechts.
Auch wenn die Glanzzeiten der Binnenschifffahrt einstweilen der Vergangenheit angehören, findet man in Conflans noch Werften, Reparaturbetriebe und ein Bunkerschiff. Wir haben hier französische Freunde, eine junge Familie, welche auf einem Wohnschiff, der «Trio», lebt. Bei ihnen kann Kinette längsseits liegen, während wir für zehn Tage in die Schweiz reisen. Mit dem TGV ist das ja ein Katzensprung.
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Zurück auf dem Schiff fahren wir zwei Tage lang die Oise aufwärts – okay, Sie haben natürlich recht: zu Berg –, rund 100 Kilometer reinstes Fahrvergnügen. Geographisch gesehen, befinden wir uns übrigens in der Picardie, einer Region, welche aus den Departementen Somme, Oise und Aisne besteht. Am schönsten ist die Oise am frühen Morgen: Ein zartes Morgennebelchen liegt über dem spiegelglatten Wasser, die Sonne hat noch keine Kraft und taucht die ganze Szenerie in ein unwirkliches, silbriges Licht (nicht ganz einfach zum Fotografieren, übrigens) und die Schwäne haben keine Lust, auszuweichen.
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Wenn wir schon beim Thema Lust sind, so müssen wir noch den Funkverkehr mit den Doppelschleusen auf der Oise erwähnen. Die insgesamt sieben Schleusen – im Schnitt alle vierzehn Kilometer eine Schleuse – sind als Doppelschleusen ausgelegt. Eine grosse Schleuse mit den Massen 185 m x 12 m und daneben eine «kleine» Schleuse mit den Massen 120 m x 12 m. Wir melden uns jeweils aus einer Entfernung von zwei Kilometern bei einer Schleuse an: «Péniche plaisance montante» (oder eben «avalante»). Auf der Oise haben wir schon mehrmals als Antwort erhalten: «La petite est prête pour vous». Man könnte auf gedankliche Abwege geraten – «Die Kleine ist bereit für Sie». Der Dämpfer kommt dann auf dem Canal du Nord. Dort heissen die unteren Schleusentore nämlich «porte à guillotine»…
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Nach zwei Tagen Flussfahrt zu Berg erreichen wir Compiègne. Die Stadt ist bekannt, weil hier in der Nähe in einem heute zum Museum umfunktionierten Eisenbahnwagen am 11. November 1918 nach dem Ersten Weltkrieg und am 22. Juni 1940 im Zweiten Weltkrieg je ein Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich unterzeichnet wurde.
Compiègne hat aber auch sonst viel zu bieten. Zum Beispiel das Zinnfigurenmuseum mit über 100’000 Figuren, darunter ein grosses Diorama der Schlacht von Waterloo.
Uns hat eine kleine Szene besonders gut gefallen: Le bain de pieds Suisse, das schweizerische Fussbad. Es zeigt Schweizer Söldner in französischen Diensten in einer Gefechtspause.
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Aber nicht nur wegen des Zinnfigurenmuseums wird uns dieser Aufenthalt in Compiègne in nachhaltiger Erinnerung bleiben, sondern wegen einer ganz anderen Begegnung.
Angefangen hat sie ganz harmlos, nämlich mit dem Blick in ein Hinterhof-Fenster. Das sieht doch aus wie das Rückfenster einer Kutsche?
Während wir noch am Rätseln sind, taucht ein freundlicher, älterer Herr auf und lädt uns ein, ums Haus herumzugehen und vorne zur Garage hinein zu kommen. So lernen wir Monsieur Alain Lamm kennen, einen passionierten (und pensionierten) Automechaniker und Sammler von Oldtimern.
Alain Lamm ist gerade damit beschäftigt, einen Fiat 1913 für ein Rally bereit zu machen. Kurzerhand lädt er uns ein, ihn auf einer Probefahrt zu begleiten.
Ein eleganter Schwung mit der Anlasserkurbel und der knapp hundertjährige Vierzylinder-Motor beginnt zufrieden vor sich hin zu schnurren. Dann geht es auf die Strassen von Compiègne, mitten ins Verkehrsgewühl. Das Erlebnis ist so unvergleichlich wie die Federung des Oldtimers rudimentär. Aber der Fiat fährt – und wie! Wieder zurück in der Wagenremise, zeigt uns Monsieur Lamm seine übrigen Schätze, alle fahrbereit, darunter ein Hotchkiss AD 20 von 1914, ein Humber von 1904 und ein Talbot DC Sport von 1926.
Am Ende dieses Tages wissen wir nicht, was wir mehr bewundern sollen: Die Ingenieurleistung, mit den Mitteln des angehenden 20. Jahrhunderts ein Auto zu konstruieren, das auch hundert Jahre später noch fahrtüchtig ist, oder die Leistung des Oldtimersammlers, der das Fahrzeug so restauriert hat und unterhält, dass es auch heute noch im Originalzustand fährt.
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Sie erinnern sich: Im Bericht 83 erzählten wir vom «Citroën Trèfle» Jahrgang 1922 des Bürgermeisters von Dammarie sur Loing. Von diesem Oldtimer zeigen wir Monsieur Lamm eine Foto.
Sein Kommentar ist freundlich, aber gnadenlos: «Ein schöner Citroën 5 PS. Leider ist die Restaurierung, wie man das häufig sieht, übertrieben, viel zu viel Kupfer. Zu jener Zeit war alles vernickelt. Die kleinen Lämpchen auf den Kotflügeln hat es bei diesem Modell nie gegeben. Für mich der Gipfel sind aber die beiden Citroën-Winkel auf dem Kühler. Das ist doch keine ‹Traction avant›. Gottseidank kann man das alles rückgängig machen»!
Das Restaurieren von Oldtimern, soviel haben wir gelernt, ist eine Wissenschaft.
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Damit können wir uns wieder dem Thema zuwenden, von dem wir deutlich mehr verstehen, der Binnenschifffahrt. Wir sind mittlerweile auf dem stark von der Berufsschifffahrt frequentierten Canal du Nord bis nach Péronne gefahren. Dort zweigt der Canal de la Somme Richtung Ärmelkanal ab. Entgegen seinem Namen ist der Canal de la Somme weniger ein Kanal als ein Fluss, welcher mit Schleusen schiffbar gemacht wurde.
Der Einfahrt in den Canal de la Somme ist ausgesprochen tricky. Nach dem CEVNI, dem europäischen Code für die Binnenschifffahrt, markieren rote Bojen – in Fliessrichtung des Gewässers gesehen – die rechte, grüne Bojen die linke Begrenzung des Fahrwassers. Faustregel: «Rechts – Rot – Runter!» Wer glaubt, das gelte auch für die französischen Behörden, der glaubt an den Storch. Hält man sich nämlich bei der Einfahrt in den Canal de la Somme an den CEVNI, so läuft man unweigerlich auf Grund.
Hat man allerdings diese Klippe einmal umschifft, wird man mit einem wunderschönen, ruhigen Fahrwasser in einer eindrücklichen Landschaft belohnt.
Der Canal de la Somme folgt dem Lauf der in westlicher Richtung mäandernden Somme. Die zahlreichen Weiher, Tümpel, Teiche und kleinen Seen – Étangs – sind wie die Weerribben im Nordwesten der Niederlande (siehe Bericht Nr. 66) durch den Abbau von Torf, der als Heizmaterial diente, entstanden.
Für den Unterhalt des Canal de la Somme, der Hebebrücken und Schleusen und ihrer Bedienung ist nicht die VNF zuständig, sondern der Conseil Général de la Somme. Das macht sich insofern angenehm bemerkbar, als Kanal, Schleusen und Brücken in gutem Zustand sind.
Die Gegend ist nicht nur landschaftlich reizvoll, sondern auch historisch interessant, denn hier fanden die blutigen Somme-Schlachten des Ersten Weltkrieges statt. Wir werden uns deshalb ausgiebig Zeit nehmen und hier mindestens einen Monat verbringen. Davon wird unser nächster Bericht handeln.
Aus dem Logbuch
- Conflans-Sainte-Honorine (Seine). Liegemöglichkeiten an den Quais in Absprache mit der Berufsschifffahrt. Gratis. Keine Einrichtungen. Alle Einkaufsmöglichkeiten in Gehdistanz. Sehenswürdigkeiten: Musée de la Batellerie. Alle 10 Minuten Vorortszug zur Gare du Lyon in Paris.
- Creil (Oise). Liegemöglichkeiten am li Ufer der Oise unter- und oberhalb Brücke «Pont de Creil» der D 916a. Gratis. Wasser. Alle Einkaufsmöglichkeiten beidseits der Brücke. Sehenswürdigkeit: Musée de la Fayence.
- Compiègne (Oise). Yachthafen li Ufer. Nur bis 15 m Länge. Kostenpflichtig. Strom, Wasser, Duschen etc. Grössere Schiffe legen am Quai li Ufer unterhalb des «Nouveau Pont de Compiègne» an. Keine Einrichtungen. Gratis. Am re Ufer Bunkerschiff und Schiffsausrüster Max Guerdin. Hat buchstäblich alles, vom Schäkel bis zum Generator. Alle Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe. Markt am Mittwoch- und Samstagmorgen im Stadtzentrum. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten, informieren Sie sich im Office de Tourisme.
- Noyon (Canal du Nord). Anlegemöglichkeiten am li Ufer beim Silo oberhalb der Schleuse Noyon. Supermärkte am re Ufer über die Brücke bei der Schleuse Pont l’Évêque 19. Sonst alle Einkaufsmöglichkeiten in Noyon. Markt am Samstagmorgen. Geburtsort des Reformators Calvin.
- Saint-Christ-Briost (Canal du Nord). Anlegemöglichkeit in Einbuchtung li Ufer. Gratis. Wasser (ca. 60 m, nur mit Werkzeug). Idyllisch und ruhig. Das Dorf ist ein Zentrum der Fischerei. Forellenzucht. Fischrestaurant. Keine Einkaufsmöglichkeiten.
- Frise (Somme). Anlegemöglichkeit oberhalb Schleuse Frise supérieure li Ufer, Quai 16 m, drei Poller, Platz für Schiff bis 25 m. Sonst vor Silo. Wassertiefe 1.7 m. Kleine Épicerie/Bar, sehr rudimentär. Brot in Cappy 6 km kaufen.
Hallo alle zusammen!
Eure Seite gefällt mir sehr gut, sehr viele hilfreiche Informationen und Artikel. Danke dafür.
Ich lass auch mal liebe Grüße von der Ostsee da, macht weiter so! Euer Peter
Liebe Familie Huber!
Ihre Website ist eine unsagbar große Hilfe für Menschen die sich diesem Hobby und dieser Lebensphilosphie nähern möchten. Vielen Dank dafür!In einigen Jahren planen wir mit unseren Kindern und Enkelkindern es Ihnen gleich zu tun und somit sind wir regelmäßig auf Ihrer Seite. Viel Freude noch weiterhin, schöne Fahrten und viel Gesundheit wünscht Ihnen Familie Nemec aus Wien!