Hardinxveld-Giessendam – Loenen – Huizen – Bunschoten-Spakenburg – Elburg – Zwartsluis – Meppel
(Boven Merwede, Merwedekanaal, Amsterdam-Rhein-Kanal, Vecht, Randmeren, Zwarte Water, Meppelerdiep; 215.72 Kilometer; 8 Schleusen, 17 bewegliche Brücken)
***
Nach den diversen Werft- und Werkstattaufenthalten führt uns unsere «Jungfernfahrt» – soweit dieser Begriff bei der 91jährigen Dame «Kinette» noch angebracht ist – von Hardinxveld-Giessendam auf der Merwede, einem sehr stark befahrenen Rheinarm, durch die Schleuse von Gorinchem nach Meerkerk. Wir rufen die Schleuse ordnungsgemäss über Funk auf, werden routinemässig nach Europanummer, Anzahl Passagieren und Fahrtziel gefragt und setzen dann unsere Fahrt auf dem Lingekanal fort. Alternative wäre der Merwedekanal gewesen; beide Kanäle kommen nach wenigen Kilometern wieder zusammen. Der breitere Merwedekanal ist indessen der Berufsschifffahrt vorbehalten, die Sportschifffahrt muss den Lingekanal benützen. Das Teilstück Gorinchem-Meerkerk auf dem Merwedekanal sind wir schon dermassen viel gefahren, dass wir es (beinahe) mit geschlossenen Augen befahren könnten.
Aber dass der Lingekanal für Schiffe unserer Grösse wegen Bauarbeiten gesperrt ist, sagt uns der Schleusenwärter nicht. Und so tauchen denn unmittelbar nach der Schutzschleuse von Arkel ein Baggerschiff und ein Arbeitsponton auf Backbord auf. Sie liegen so, dass man mit unserem Beiböötli noch locker durchgekommen wäre. Der Vorarbeiter, den ich frage, wie lange wir warten müssten, meint strahlend «Vierzehn Tage, dann sind wir fertig» und fragt dann unbefangen, ob wir uns denn da nicht durchquetschen können. Es sei zwar bis jetzt noch kein so grosses Schiff gekommen, um lachend beizufügen: «Maar dat zal wel lukken!» (Frei übersetzt: «Das werden Sie wohl schaffen!»). Der Mann hat Nerven! «Kinette» kommt frisch von der Werft! Die Farbe glänzt und noch kein Kratzerchen! – Herausforderung!
Man sieht die Situation auf dem Bild oben nur sehr unvollständig, weil die einzige Durchfahrt ein Doppel-S war. Aber wie behauptet Christian immer? «Wir suchen doch die Herausforderung!» Hic Rhodus – hic salta! Er findet es auch diesmal echt geil, das Spielen mit Bugschraube, Ruder und Radlaufeffekt. Backbord drei Zentimeter und Steuerbord luxuriöse vier Zentimeter und das in einer S-Linie.
Natürlich fragt man sich, warum die Schleusenwärter (die uns auf dem AIS ja sehen) auf dem Funk immer nach Europanummer, Ladung, Anzahl Passagiere und Bestimmungsort fragen, wenn sie Dir dann doch nicht sagen, dass Du nicht via A, sondern via B fahren sollst. Die Antwort wäre wohl trocken: Der Schiffsführer ist verantwortlich dafür, dass er über alle aktuellen Sperrungen Bescheid weiss.
***
Der Quai in Meerkerk ist hoffnungslos mit kleinen Jachten vollgepfercht und im Hafen sind die Liegeplätze für grosse Schiffe ausnahmslos privat. Aber ein Liegeplatz ist nicht besetzt. Eine Tafel gibt an, dass hier die «Stella Maris» liegt. Aber die «Stella Maris» kam doch grad nach uns auf die Werft? Ein Telefon auf die Werft, ein Gespräch mit dem Eigner der «Stella Maris» und wir haben einen sicheren, ruhigen Liegeplatz für eine ganze Woche.
***
Am nächsten Nachmittag klingelt das Mobiltelefon. Tricia und Ruud van Duinen, unterwegs mit ihrer 25 m-Luxemotor «Lawrence», haben auf dem AIS «Kinette» im Hafen von Meerkerk gesehen. Ob noch irgendwo ein Liegeplatz frei sei, sie seien eine halbe Stunde von uns entfernt. Tatsächlich hat es wieder zwei Liegeplätze am Quai für grössere Schiffe und, wie sie einlaufen, erwarten wir sie, um ihnen die Taue abzunehmen.
Wir haben Ruud und Tricia, er Niederländer, sie Engländerin, im Juni 2006 kennengelernt, als beide Schiffe am Quai von Péruwelz in Belgien lagen. Merke: Auf dem Wasser begegnet man sich irgendwann und irgendwo immer wieder. Fünf Jahre später, im April 2011, haben wir einmal zusammen im Biesbosch geankert (siehe Bericht Nr. 72 Teil 1). Es folgt das immer wieder erfreuliche Ritual der gegenseitigen Einladungen – wir bei ihnen zum Nachtessen, dann sie bei uns.
***
In Vianen, zehn Kilometer entfernt von Meerkerk und ebenfalls am Merwedekanal gelegen, ist am zweiten Wochenende im Mai der «Nationale Sleepbootdag». So, wie andere Leute alte Traktoren sammeln und liebevoll restaurieren, so gibt es in den Niederlanden angefressene Liebhaber alter Schlepper.
Gefühlte hundert Schleppboote drängen sich im Passantenhafen von Vianen und drumherum ist ein veritables Volksfest im Gange.
Unser besonderes Interesse gilt der «Maasstroom». Wir hörten sie schon weitem, als sie in Meerkerk vorbeifuhr – «ta-bak-ta-bak-ta-bak» – übersetzen alte Skipper den weithin hörbaren, unverkennbaren Sound des Zweizylinders der Marke «Industrie», der das Schleppboot mit 300 Umdrehungen pro Minute antreibt. Zum Vergleich: Die Marsch-Tourenzahl unseres DAF-Sechszylinders liegt bei 1500 Touren. Aber werfen wir doch einmal einen Blick in den Maschinenraum der «Maasstroom»!
***
Die Gegend um Gorinchem gehört zum streng religiösen südholländischen Bible Belt. Es gibt unzählige reformierte, evangelische und lutheranische Freikirchen. Der Sonntag ist gnadenlos heilig und so kommt es, dass die Bäuerin ihre Eier, welche in Selbstbedienung vor dem Hof feilgehalten werden, samt dem Kässeli am Sonntag hereinnimmt. Am Sonntag macht man keine Geschäfte.
Falls Sie an Schweizer Preise gewöhnt sind, kommt Ihnen hier natürlich das Augenwasser: zehn frische, grosse, braune Eier aus Freilandhaltung kosten 1.30 Euro. Da nimmt man es doch gerne hin, dass am Sonntag kein Eierverkauf ist.
***
Ein Leser schrieb uns kürzlich ins Online-Gästebuch, er habe den Eindruck, wir seien ständig am Reparieren und Malen. Wo denn da der Fahrspass bleibe und ob wir nicht besser bedient wären mit einem kleineren Boot?
Natürlich bieten auch kleinere Boote viel Fahrspass. Wir haben es jetzt einfach einmal mit den grösseren Schiffen, wegen der Ästhetik, wegen ihrer besseren Manövrierfähigkeit und ihrem Komfort.
Aber machen wir uns nichts vor. Die Niederländer sagen mit gutem Grund: «Koop een boot en werk je dood» – «Kaufe ein Boot und arbeite Dich zu Tode». Ein Stahlschiff braucht Pflege und Unterhalt. Dabei bekommt man auch eine ganz andere Beziehung zu seinem Schiff. Und selbstverständlich ist es Jedem unbenommen, einen (beinahe) unterhaltsfreien Plastik-Joghurtbecher zu kaufen, wie sich unser Schifferkollege Christian Würgler (www.fenna.ch) auszudrücken pflegt.
***
Höchste Zeit also, vom vielbeschworenen Fahrspass zu erzählen. Wir fahren auf dem verkehrsreichen Amsterdam-Rheinkanal (ARK) bis zur Opburenbrug, einer festen Brücke mit anschliessender offenstehender Schleuse, welche eine Zufahrt im 90°-Winkel vom ARK zum idyllischen Flüsschen Vecht bietet.
Auf dem ARK fährt man sehr schnell, um mit dem Verkehr wenigstens einigermassen mitzuhalten. Als Anfänger wird man deshalb dazu verführt, die Einfahrt unter diese Brücke zu schnell anzufahren, wobei dann die Masse des Schiffes frohgemut nach Backbord weiter schwingt und ungebremst gegen die Wand der Schutzschleuse knallt.
Als wir vor sieben Jahren diese Einfahrt zum ersten Mal fuhren, war Christian als Kapitän noch in der Lernphase. Den Knall hätten Sie hören sollen! Heute ist das nur noch eine Anekdote – «Weisst Du noch?»
***
Nach einer Übernachtung in Loenen (an der Vecht) passieren wir am nächsten Tag die Seeschleuse von Muiden und fahren aufs IJmeer hinaus, um dann hart über Backbord das Gooimeer und dort den Hafen von Huizen anzusteuern. Endlich wieder einmal auf (relativ) offenem Wasser!
Es herrscht völlige Windstille, alle Windräder – ein ganzer Windpark, welcher Tausende von Haushalten mit Strom versorgt – stehen still, die Segelschulen schleppen ihre Segelboote zurück in den Heimathafen und Kinette pflügt munter durch das spiegelglatte Wasser.
Woher kommt eigentlich der Strom, wenn die Windräder – hier am Gooimeer sind es unzählige – still stehen? Auch wenn ein Windpark noch so gross ist, so ist er doch im Vergleich zu einem konventionellen Kraftwerk nur eine Kleinanlage mit Zufallsleistung. Weht kein Wind, muss ein Gaskraftwerk hochgefahren werden, welches immer Standby sein muss. Man kann nicht einfach Tausende von Haushalten stromlos lassen, nur weil dies die CO2-Bilanz so will.
Unsere weitere Fahrt führt uns zwischen Flevoland und dem Festland zum Ketelmeer.
Nach Übernachtungen in den Häfen von Bunschoten-Spakenburg, und Elburg laufen wir aus mit Ziel Zwartsluis.
Auf dieser Fahrt ruft uns Christian Würgler an, der mit seiner «Fenna» unterwegs ist». Er habe uns soeben mit dem AIS auf dem Ketelmeer erfasst. Sie seien nicht weit von uns entfernt und kämen auch nach Zwartsluis. Wenig später erfassen wir sie auch und wie wir eine Insel umrunden, tauchen sie auf. Hätten wir dieses Treffen auf dem offenen Wasser so geplant, hätten wir es bestimmt nicht geschafft. Gemeinsam fahren wir nach Zwartsluis, wo die «Fenna» neben uns anlegt und an uns festmacht.
Von hier aus führt die Hoogeveensche Vaart nach Osten Richtung Deutschland. Die Verbindung zur Ems war nicht durchgängig. In den letzten Jahren gruben die Niederländer aber einen Kanal zwischen Erica und Ter Apel. Dieses Teilstück soll am 8. Juni 2013 offiziell eröffnet werden. Wir laufen schon am 27. Juni in Meppel aus in der Annahme, bis am 8. Juni zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
***
Zum Schluss noch eine sprachliche Anmerkung. Wir werden oft gefragt, wie man sich denn im Ausland auf den Gewässern sprachlich zurecht finde. Im Gegensatz zur Fliegerei ist auf dem Wasser nicht Englisch die Verkehrssprache, sondern die jeweilige Landessprache. Das tönt im ersten Moment abschreckend, sollte es aber nicht sein. Die im Funkverkehr verwendeten Wendungen in Deutsch, Französisch und Niederländisch sind standardisiert und können vom Internet heruntergeladen werden.
Am einfachsten ist es natürlich in Deutschland, wo, ganz im Gegensatz zur Schweiz, noch Deutsch gesprochen wird. Aber was zählt, ist am Ende des Tages lediglich, dass man verstanden worden ist. Und falls Sie noch Hemmungen haben, hilft Ihnen die Gebrauchsanweisung unseres Gehörschutzes (Marke SKANDIA), den zu tragen man beim Betreten von Maschinenräumen verpflichtet ist, darüber hinweg:
MONTIEREN SIE DIE KUNSTSTOFF-RING ALOMG HALS VORN, MACHEN JEDES OHR-STECKER AUF BEIDEN SEITEN DER OHREN.
MACHEN DEN GEHÖRGANG DURCH DAS ERREICHEN ECCESSIBLE ÜBER KOPF MIT ENTGEGENGESETZTEN HAND FEST UND ZIEHEN OHR NACH AUSSEN.
SETZEN SIE DEN FLANSCH IN GEHÖRGANG SCHIEBEN UND DREHEN, NACH HINTEN, BIS MITTE DES KOPFES EINE GEMÜTLICHE, IST FEST ABDICHTET.
Das ist doch, im Vergleich zum hilflosen, aber nach – schweizerischem Sprachverständnis – politisch korrekten Gestammel der Migros-Stellenausschreibung, reine Poesie.
***
Aus dem Logbuch
- Meerkerk. Langer Quai am Merwedekanal zwischen der Windmühle nach der Meerkerker Hebebrücke und dem Hafen von Meerkerk. Keine Einrichtungen. Gratis. Max. Liegedauer sieben aufeinanderfolgende Tage. Im Dorf alle Einkaufsmöglichkeiten.
- Loenen. Sehr schöne Anlegestellen mit Ringen am linken Ufer vor und nach der Hebebrücke Nr. 760. Max. Liegedauer 3 x 24 Stunden. Gegenüber der Mijndense Sluis Wasserzapfstelle, sonst keine Einrichtungen. Kostenpflichtig. Im Dorf Supermarkt C 1000, Drogerie mit Postablage, Bäckerei (Mo. geschl.), Metzgerei (Mo. geschl.; sonst jeweils bis 13:30 geöffnet). Hübsches Restaurant «Tante Koosje» an der Kerkstraaat 1 (0031 (0) 294 233 201
- Huizen. Jachthafen und Gemeindehafen. Im Gemeindehafen am Westquai Anlegemöglichkeiten für grosse Schiffe. Alle Einrichtungen. Kostenpflichtig. In Huizen selbst alle Einkaufsmöglichkeiten.
- Bunschoten-Spakenburg. Liegemöglichkeiten an der Ost- und an der Westmole der Hafeneinfahrt. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Empfehlung: Westmole, weil der Weg ins Dorf deutlich kürzer ist. Toiletten und Waschmaschine im Hafenmeistergebäude. Im Dorf selbsdt alle Einkaufsmöglichkeiten. Sehr sehenswertes Heimatmuseum.
- Elburg. Langer Steg an der Westseite der Einfahrt zum alten Fischerhafen. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Werften. Schiffszubehör. Alle Einkaufsmöglichkeiten. Pittoreskes Städtchen mit viel Touristenverkehr. Gutes Restaurant «De Herberg» an der Havenstraaat 7 (0031 (0) 525 690 955)
- Zwartsluis. Verschiedene Jachthäfen und Werften. Ruhiger, idyllischer Gemeindehafen. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Einkaufsmöglichkeiten vorhanden (Coop, Metzgerei, Bäckerei). Sehenswerte Bildergalerie mit Aquarellen und Repros davon (Schiffsmotive). Um die Pizzeria würden wir nach entsprechender Erfahrung einen Bogen machen.
- Meppel. Passantenhafen der Gemeinde Meppel am Meppelerdiep. Liegeplätze nach dem Jachthafen vor und vor allem nach der Meppelerschleuse in den alten Grachten. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Alle Einkaufsmöglichkeiten. Sehenswürdigkeit: Druckereimuseum. Am Sonntag ist Meppel tot.