Genthin – Brandenburg – Ketzin – Potsdam – Teupitz
(Elbe-Havel-Kanal – Havel – Teltowkanal – Spree-Oder-Wasserstrasse – Dahme-Wasserstrasse – Teupitzer Gewässer; 189 km, 4 Schleusen, 1 bewegliche Brücke)
Wir sind auf der Schiffswerft Genthin der «Schiffbau- und Entwicklungsgesellschaft Tangermünde», welche zu DDR-Zeiten zu den Schiffswerften Berlin gehörte und VEB (Volkseigener Betrieb) Schiffsreparaturwerft Genthin hiess. 40 Mitarbeiter bauen und reparieren hier beinahe ausschliesslich Berufsschiffe.
Wir sind am Samstagmorgen per Schlepp angekommen, am Montag werden wir zum Slip verholt und aufs Trockene gezogen. Unmittelbar danach werden Schraube und Schraubenwelle ausgebaut, ebenso die Stopfbuchse sowie die Sternbuchse, also das Wellenlager vor der Schraube.
Sehr schnell steht fest, dass das Lager unmittelbar vor der Schraube, die sogenannte Sternbuchse und die Stopfbuchse neu aufgebaut sowie die Welle selbst neu gedreht werden müssen.
Nicht umsonst hat Betriebsleiter Michael Hupka beruhigend gesagt: «Wir machen alles!». Offensichtlich haben hauptsächlich die älteren Mechaniker aus DDR-Zeiten die Fähigkeit mitgenommen, zu improvisieren und (beinahe) alles zu reparieren.
Arbeitsbeginn ist übrigens jeweils morgens um 6 Uhr, Arbeitsende dafür bereits um 15:30 Uhr, was, mit einem verkürzten Arbeitstag am Freitag, eine 40-Stunden-Woche ergibt. Der frühe Arbeitsbeginn erweist sich bei den zur Zeit herrschenden hochsommerlichen Temperaturen als Vorteil.
Natürlich dauert es seine Zeit, bis die erwähnten Teile neu angefertigt resp. neu aufgebaut sind und die Geduldsprobe geht für uns, nach drei Wochen Haldensleben, weiter. Wir wollen ja fahren und nicht sozusagen waidwund herumliegen.
***
Zum Fahren kommen wir dank unseren Freunden Christian Würgler und Therese Christen, die mit ihrer «Fenna» bei der Werft Halt machen und uns nach einem gemeinsamen Abendessen im Restaurant «Stadt Genthin» folgende SMS schicken: «Bording Card für den Wochenendausflug mit MS Fenna nach Brandenburg, mit 1 Übernachtung an Bord in einfacher Luxuskabine für 2 Personen, hin und zurück. Sponsored by Fenna Crew Members». Offensichtlich haben Christian und Therese bemerkt, dass wir einen ziemlichen Werftkoller haben.
Man hätte uns kein grösseres Geschenk machen können als diese zwei Tage Auszeit an Bord der «Fenna» und wir geniessen jede Minute.
***
Die weitere Wartezeit benützen wir für Veloausflüge in die Umgebung. Sachsen-Anhalt ist, zumindest für Ausländer, ein weisser Fleck auf der touristischen Karte. Zu Unrecht. Wir sind hier im Jerichower Land, einem der ältesten Landkreise in Deutschland. Der Ortsname «Jerichow» hat übrigens nichts zu tun mit Jericho in Palästina. Er leitet sich ab vom slawischen Jarec (der Kühne) und Chow (die Burg).
Ausser «Jerichow» stösst man in der Gegend noch auf viel rätselhaftere Ortsnamen, wie etwa Altenklitsche, Zabakuck, Nielebock, Scharteucke und Redekin. Zum Zabakucker See sind wir übrigens mehr als einmal am späten Nachmittag mit den Fahrrädern gefahren, um uns im kristallklaren Wasser – Güteklasse 1 der EU-Badegewässer – abzukühlen. Mit exotischen Ortsnamen wie «Hakab» und «Tablat» kann übrigens auch unsere Heimatregion, das Zürcher Oberland, aufwarten.
***
Dann endlich hat das Warten ein Ende. Unser Pannenhelfer aus Haldensleben, Maik Hartmann, bringt jene neu gedrehten Teile der Welle, welche er während unserer dortigen Wartezeit ausgebaut hat, während die Werftschlosser das hinterste Stück der Welle samt Stopf- und Sternbuchse einsetzen.
Es braucht noch einiges an Finetuning, bis die Höhe des Stehlagers und dessen Winkel zur Welle stimmen und die Schiffsschlosser Alfred Heitzmann und Klaus Wilwand ruhen nicht eher, bis die Welle einwandfrei dreht. Es folgt eine einstündige Probefahrt, während der laufend die Temperatur von Stopfbuchse und Stehlager gemessen werden – sie bleiben immer im grünen Bereich. Wir wagen es noch kaum zu glauben, dass wir wieder fahren können!
***
Die Probefahrt findet übrigens exakt einen Tag statt, bevor unsere Tochter, unser Schwiegersohn und unsere Enkelin in Berlin landen, um eine Woche Ferien bei uns an Bord zu verbringen. Was für ein Hitchcock!
***
Das mit der «Legende» hat uns natürlich gewaltig geschmeichelt!
Die Fahrt von Genthin nach Brandenburg ist erst nach der Schleuse von Wusterwitz erwähnenswert. Dann nämlich verlässt man den Elbe-Havel-Kanal, gelangt zuerst auf den Wendsee, den Plauer See, dann den Breitling See und befährt damit erstmals die einmalige Fluss- und Seenlandschaft der Havel.
***
Wir haben unsere Enkelin erwähnt. Eine quicklebendige Zweieinhalbjährige an Bord ist ja ganz etwas Spezielles. Aber die kleine Maus (O-Ton Hafenmeisterin) hält sich grossartig. Sie ist, nach einer Einführungslektion, immer sorgsam darauf bedacht, sich am Handlauf festzuhalten, klettert munter Treppen auf und ab und pfuust selig, auch wenn wir fahren. Die Bordtoiletten findet sie so spannend, dass sie beschliesst, nur noch dieselben und keine Windeln mehr zu benützen.
***
Wenn man von Genthin auf dem Elbe-Havelkanal Richtung Brandenburg fährt, ist man anfänglich noch etwas industriell unterwegs, aber dann plötzlich tut sich die Landschaft auf und man fährt von einem See zum andern.
Brandenburg ist eine sehr schöne Stadt, nach der Wende wurde viel restauriert. Von Brandenburg an befährt man die Havel und das ist einfach so, wie wenn man ins Paradies käme. Die Havel selbst ist schon ein sehr schönes Gewässer, aber zusätzlich mäandern links und rechts Altarme, in welchen man herrlich ankern kann.
***
Was in der Ferienzeit an Wasserfahrzeugen unterwegs ist, ist übrigens ziemlich gewöhnungsbedürftig.
***
Für Potsdam muss man sich mehr Zeit nehmen, als wir es machten. Auf dem Rückweg werden wir länger dort liegen. In Potsdam verlässt uns unsere Tochter mit Familie und unser Sohn mit Freundin kommen an Bord.
***
Das Zentrum von Berlin haben wir südlich auf dem Teltowkanal umfahren. Etwas Berufsfahrt, etwas Industrie, aber auch Villen und viel Wald, eine grosse Schleuse, aber alles problemlos.
Dann auf der Spree-Oder-Wasserstrasse zu Berg (mit einer Übernachtung in Berlin Ober-Schöneweide) und in die Dahme Wasserstrasse hinein.
Alle fahren nordwärts zur Müritz, also fahren Hubers nach Teupitz in den Südosten. Köpenick liegt am Weg, Königs-Wusterhausen und dann ist es aus mit der Berufsfahrt.
***
Von der Schleuse «Neue Mühle» in Königs-Wusterhausen bis zu seinem Schiffsanleger am Teupitzer See begleitet uns Arthur als Lotse, denn es kann manchmal untief sein, auch wenn die Fahrrinne immer vorbildlich betonnt ist. Ein See nach dem anderen, der eine kleiner, der andere grösser, miteinander verbunden durch sogenannte Fliessen, meistens recht eng, aber Kreuzen kein Problem, beim Einfahren lautes Hornen und Funk. Schwedische Schärenlandschaft, viel Wald, versteckte Datschen und hin und wieder eine prächtige Villa. Hier wohnten nacheinander reiche Juden, Nazibonzen, DDR-Bonzen und betuchte Bundesbürger – auch wenn die Grundstücke niemals das kosten, was man für ein Grundstück mit Seeanstoss in der Schweiz auslegen müsste.
Wir haben im letzten Bericht von unseren Berliner Freunden Arthur und Gerlinde erzählt. Sie haben ein Ferienhaus am Teupitzer See mit einem Anleger für grosse Schiffe. Hier ist das Ende der Welt, denn vom Teupitzer See aus geht es nicht mehr weiter südlich.
***
Die Fahrt nach Teupitz ist spannend. Auf der Karte ist kurz vor dem Teupitzer See eine Zugbrücke vermerkt, Durchfahrtshöhe bei gesenktem Zustand 1.65 m. «Nicht ganz öffnend», wie uns gesagt würde. Unsere Teupitzer Freunde meinten, das würde verdammt knapp und arbeiteten einen Plan B aus. Aber weil die Welt klein ist, fragen uns Freunde aus Roanne exakt am Abend vorher per Mail, wo wir eigentlich seien. «In Deutschland, in der Nähe von Berlin». Wow, das sei sehr schön, besonders der Südosten und am schönsten sei der Teupitzer See. Damit ist die Sache klar, denn ihre «Vrouwe Dirkje» ist breiter und höher als Kinette (www.vrouwe-dirkje.nl). Tatsächlich passen wir locker unter dem Zugbrüggli hindurch, allerdings mit allem gelegt, was wir legen konnten!
***
Zur Zeit sind wir proaktiv mit Nichtstun beschäftigt. Faulenzen, schwimmen, lesen. Sehr anstrengend, aber wir werden auch das durchstehen. Irgendwann werden wir nordwärts Richtung Müritz fahren, aber wohl erst Ende Monat.
***
Eine Bemerkung zum Schluss: Auch wenn wir in die Kategorie «Sportboote» fallen, sind Sportboote über 15 m Länge in Deutschland absolute Exoten. So angenehm es ist, bewundert, bestaunt und fotografiert zu werden, so ist es auf der anderen Seite nicht immer ganz einfach, einen Liegeplatz zu finden. In Gegenden ohne Berufs-, aber mit viel Freizeitverkehr empfiehlt es sich daher, vorher einem Hafen oder einer Marina anzurufen und nach einer Liegemöglichkeit zu fragen. Oft kann man dann an einem Einfahrtssteg oder an einem Kopfsteg liegen. Damit haben wir bisher gute Erfahrungen gemacht.
***
Aus dem Logbuch
- Brandenburg. Liegemöglichkeit für Yachten an der Brandenburger Niederhavel am Schwimmsteg beim Slawendorf. Kostenpflichtig. Wasser, Elektrisch, Sanitäreinrichtungen. Für grössere Schiffe Liegemöglichkeit ohne Einrichtungen am Salzhofufer (ebenfalls kostenpflichtig). Alle Einkaufsmöglichkeiten. Zahlreiche Sehenswürdigkeiten.
- Ketzin. Verschiedene Yachthäfen mit Einrichtungen. Kostenpflichtig. Sanitäreinrichtungen beim Stegmeister am Anleger für Passagierschiffe. Gute Einkaufsmöglichkeiten.
- Potsdam. Liegemöglichkeit für grosse Schiffe bei km 25 am West-Ufer bei km 23.5, allerdings ohne Einrichtungen. Für Yachten verschiedene Marinas mit Wasser, Elektrisch und Sanitäreinrichtungen. Kostenpflichtig. Für Sehenswürdigkeiten siehe Internet. (Vor allem natürlich Schloss Sanssouci). Unser Gastro-Tip: Fischrestaurant «Der Butt», Ecke Gutenberg-/Jägerstrasse (ca. 15 Fussminuten von der Marina am Tiefen See)
- Ober-Schöneweide. Spree-Oder-Wasserstrasse km 28.5. Freier Liegeplatz unterhalb der Brücke Kaisersteg am Süd-Ufer. Keine Einrichtungen. Industriedenkmäler.
- Königs-Wusterhausen. Liegemöglichkeit nach der SB-Tankstelle am Westufer der Dahme-Wasserstrasse km 8.7. Keine Einrichtungen. Gratis. Gute Einkaufsmöglichkeiten.
- Teupitz. Liegemöglichkeiten im Hafen der Familie Kaubisch. Alle Einrichtungen. Kostenpflichtig. Restaurant beim Hafen. Einkaufen im Dorf Teupitz.
…ui nei….Herr Huber…
hätte ich nur nichts gesagt…jetzt ist noch die Antriebswelle kaputt gegangen….und die Kinette liegt auf dem Trockenen…tut mit leid…
Kann ich etwas tun…?? (neue Welle bringen ???)
mit hilfsbereiten Grüssen BK
Per Zufall bin ich auf diese Seite gestossen.Ich habe mich riesig gefreut, als ich auf den Fotos meinen Kollegen Armin erkannt habe (der mit dem Trike und als Wirt mit seiner Frau Claudine in Diou am Canal latéral à la Loire). Freundliche Grüsse aus dem Aargau. Walter Fäs
Hallo liebe Hubers,
ich habe gerade euren neuen Reisebericht gelesen. Spannend die Wellenreparatur – schon irre was da alles zugehört. Mittlerweile könnt ihr sicher auch schon darüber lachen, stelle ich mir ziemlich schwierig vor diese Situation – aber ihr habt es gemeistert.
Ich bin seit Sonntag wieder zu Hause und der Alltag hat mich wieder mit allem was dazu gehört. Mittlerweile ist mein Bericht auch fertig, schon über 50 Mal aufgerufen worden in den letzten beiden Tagen. Hier der Link für den Fall von Langeweile und der Teaser:
http://www.czierpka.de/wassersport/2013/sommer/
Eine Windhose hat uns erwischt, Blondie wollte mit dem roten Hebel spielen, es gab eine unerwartete Polizeikontrolle, Babelsberg vs. Lok Leipzig und die Mückeninvasion auf der Havel. Die unheimlichen Nachtgewitter auf dem Werbellinsee sind uns genau so gut in Erinnerung wie die Milliarden von Eintagsfliegen die unser Boot als Startposition in ein neues aber kurzes Leben nutzten. Einen echten Seeadler, jede Menge Milane und Bussarde – dazu mehrere Clips mit der neuen Bordkamera, so etwa das Eindampfen in die seewärtige Achterleine oder Münster bei 30 Grad. Ottos Grab und die letzten Spuren des Hochwassers gibt es genau so zu sehen wie das Leiden der Männer beim Einkauf der Damen. Wir treffen die Otrate, das Grüne Haus und auch die Kinette – und viele nette Menschen. Der heißeste Tag des Jahrhunderts blieb uns ebenso wenig erspart wie die Zerstörung unseres Kräutergartens durch Wind und Wasser. Dafür haben wir richtig lecker gegessen: Viel Fisch – aber wir schrecken auch vor anderem nicht zurück. Ihr werdet es sehen (und aushalten müssen)! Das alles und viel mehr auf den folgenden 190 Seiten mit mehr als 520 Fotos. Dahinter stehen 1.700 Kilometer auf Flüssen, Kanälen und Seen und 178 Motorstunden.
Viele Grüße aus Dortmund
Karl-Heinz