Berlin-Tempelhof
(Teltow-Kanal)
Karte: Berlin & Märkische Gewässer 1, Ausgabe 2012, Nautische Veröffentlichung Verlagsgesellschaft
Die Spree durch Berlin wird von Rundfahrschiffen praktisch im Minutentakt befahren und zwar in beiden Richtungen. Etwas weniger stark befahren ist der Landwehrkanal. Die Liegedauer bei den Liegeplätzen für Sportboote im Zentrum Berlins ist in der Regel auf 24 Stunden beschränkt. Soll man also auf eigenem Kiel durch Berlin fahren? Und: Darf Jedermann durch Berlin fahren? Die Antwort auf die erste Frage ist: Unbedingt. Und auf die zweite Frage lautet die Antwort: Nein. Voraussetzung ist nämlich ein (deutscher) Sportbootführerschein oder ein gleichwertiges Papier. Bis 15 m Schiffslänge gilt auch der schweizerische Schiffsführerausweis (Christian hat einen niederländischen Ausweis, der nach deutschem Recht zur Kategorie «Patent» und damit zur Berufsschifffahrt zählt. Dieses Patent gilt bis zu einer Schiffslänge von 25 m). Ferner dürfen die Spree-Kilometer 12.01 bis 17.60 zwischen 9 und 19 Uhr nur von Fahrzeugen befahren werden, welche über einen UKW-Sprechfunk verfügen. Nicht zugelassen sind schliesslich Boote mit einer Maschinenleistung unter 3.69 kW.
Unsere Freunde Urs und Liisa Baumgartner («MY Tuulikki») vom Schweizerischen Schleusenschifferklub haben die Fahrt durch Berlin vor 9 Uhr morgens angetreten und kamen aus dem Schwärmen nicht mehr heraus, weil um diese Zeit noch keine Passagierschiffe unterwegs waren.
Sonst gilt, was auf allen stark befahrenen Wasserstrassen elementar ist: Der Blick nach hinten ist beinahe wichtiger als der Blick nach vorn!
Dass UKW-Sprechfunk zwischen 9 und 19 Uhr Pflicht ist, macht durchaus Sinn, einmal abgesehen davon, dass wir uns ja aus irgendeinem Grund der Mühsal der Binnenschifffahrtsfunkerprüfung (was für ein wundervolles Bandwurmwort!) unterzogen haben. Die Strecke durch Berlin ist wegen der unzähligen Brücken manchmal unübersichtlich. Setzt man laufend Positionsmeldungen mit Fahrtrichtung ab, vermeidet man a) böse Überraschungen und wird b) als Verkehrsteilnehmer ernst genommen.
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Nachdem wir den nautischen Teil abgehandelt haben, können wir uns Berlin als Stadt zuwenden. Selbstverständlich kann dieser Bericht keinen Reiseführer ersetzen. Wir müssen uns auf einige wenige, ganz persönliche Highlights beschränken – die bleibenden Eindrücke, die unvergesslichen Erlebnisse.
Auch heute noch ist die Erinnerung an die Mauer, diesen Irrsinn, der mitten durch Berlin verlief, allgegenwärtig, etwa an der Bernauerstrasse mit einem sehenswerten Museum. Diese von den DDR-Machthabern als «antifaschistischer Schutzwall» schöngeredete Monstrosität war ja nicht einfach eine Mauer: Es war ein 156 Kilometer langes System aus Stacheldraht, Lichtmasten, Panzersperren, Minenfeldern, Todesstreifen, Hundelaufgräben und Wachtürmen. Mehr als hundert Menschen bezahlten ihren verzweifelten Versuch, dem realen Sozialismus zu entkommen, mit dem Leben.
Heute, 24 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem moralischen, wirtschaftlichen und politischen Bankrott des Ostblocks, sind diese sozialistischen Allmachtsfantasien natürlich auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Naja, beinahe…
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Aber lassen wir dieses Thema einstweilen und wenden wir uns lieber Berlin und den Berlinern zu. Dieselben sind nämlich berühmt dafür, für alles und jedes einen prägnanten Übernamen zu finden.
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Gastronomisch gibt es in Berlin natürlich alles, von der unvermeidlichen Currywurst bis zum Eisbein mit Sauerkraut und Erbsenpüree. Letzteres assen wir im einst hauptsächlich von Juristen frequentierten Lokal «Zur letzten Instanz». Die Gerichte heissen dort «Plädoyer», «Hauptverhandlung», «Urteilseröffnung» usw. Sehr stimmungsvoll, sehr alt-berlinerisch. Im Nikolaiviertel findet man den «Nussbaum», das, wie die Letzte Instanz und vermutlich noch weitere Restaurants, den Anspruch erhebt, Berlins älteste Gaststätte zu sein. Ist nicht so wichtig, sehr stimmungsvoll ist es auf jeden Fall und die Küche stimmt auch. Politik hautnah erlebt man in «Die ständige Vertretung» am Schiffbauerdamm. Im Lokal werden die Gründerjahre der Bundesrepublik bis zum Umzug von Bonn nach Berlin dargestellt, aber auch wichtige Stationen aus der früheren DDR: Fotos, Dokumente, politische Fundstücke, Personen und Ereignisse der Zeitgeschichte. «Ständige Vertretung» nannte man die Botschaft, welche die DDR in der Bundesrepublik unterhielt und umgekehrt; man anerkannte sich ja gegenseitig nicht als Staat, also gab es auch keine «Botschaften». Auf der Speisekarte findet man auch Helmut Kohls Leibspeise, den «Pfälzischen Saumagen». Entgegen dem wenig appetitanregenden Namen ist das Gericht sehr schmackhaft!
Döner Kebab, Hot Dog und McDonalds lassen wir hier grundsätzlich beiseite, dafür ist das Leben echt zu kurz.
Am meisten Mühe aber haben wir mit den sogenannten XXL-Restaurants. Berge von Fleisch und Pommes frites, ganze Blumenvasen voll Speiseeis und das alles spottbillig. Wen kümmert’s, dass dreiviertel der aufgetischten Speisen nicht gegessen werden und im Abfall landet?
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Ein Kuriosum ist der monumentale Hochbunker an der Pallasstrasse. Er wurde 1944/45 von sowjetischen Zwangsarbeitern errichtet und sollte die technischen Anlagen des nahen Fernmeldeamtes aufnehmen. Wegen des Falls von Berlin im Mai 1945 kam es nicht mehr dazu. Nach dem Krieg versuchten US-Soldaten mehrmals vergeblich, den Bunker zu sprengen. Wegen der umliegenden Bauten konnten keine ausreichend grosse Sprengladungen angebracht werden. Der Wohnblock, der an dieser Stelle geplant war, musste deshalb um den Bunker herum gebaut werden. Schliesslich ereilte den Bunker das für architektonische Greuel übliche Schicksal: Er wurde unter Denkmalschutz gestellt.
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Einen ganzen Tag haben wir im technischen Museum verbracht – und dabei nur die Abteilungen «Schifffahrt» und «Luftfahrt» erlebt. Und selbst in diesem ganzen Tag haben wir von diesen beiden Abteilungen noch nicht alles gesehen.
Genau gleich erging es uns übrigens im Pergamon-Museum und im Neuen Museum auf der Museumsinsel. Irgendwann ist die Aufnahmefähigkeit einfach erschöpft, jedenfalls in unserer Altersgruppe…
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Alles, was man nicht braucht und noch viel mehr findet man im KaDeWe, dem Kaufhaus des Westens beim Wittenbergplatz. Hier wird die Dekadenz zelebriert, es herrscht der unbeschränkte Überfluss, und im Vergleich zu den riesigen Lebensmittelabteilungen wirkt das Schlaraffenland wie eine Volksküche.
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In Hitlers Grossmacht-Fantasien sollte Berlin unter dem Namen «Germania» Hauptstadt seines Reiches sein. Er liess deshalb auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof das damals flächengrösste Gebäude der Welt errichten, das etwa 1.2 Kilometer lange Flughafengebäude.
Der Flughafen Berlin-Tempelhof ging in den Jahren 1948/49 in die Geschichte ein, als die Sowjetunion Westberlin von der Umwelt abriegelte. Die Alliierten liessen sich jedoch nicht einschüchtern und errichteten eine Luftbrücke. Vom 26. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 landeten zeitweise im 90-Sekunden-Takt die Transportflugzeuge, von denen noch ein Exemplar als Denkmal vor dem Gebäude steht. Heute ist der Flughafen stillgelegt und er wird als riesiger Freizeitpark genutzt – die Tempelhofer Freiheit. In einem Berlin-Führer wird der Raum als «Kitesurfer-Spaziergänger-Radfahrer-Langläufer-Drachensteiger-Griller-Fläzer-Wolkengucker-Skater-Modellfluglenker-Paradies» bezeichnet.
Wir haben den Flughafen Tempelhof mit dem Fahrrad erkundet, wie wir denn auch per Velo quer durch Berlin gefahren sind. Für Radfahrer hat es meistens eine eigene Spur.
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Welches ist der schönste Platz Berlins? Den Alexanderplatz, kurz Alex genannt, hat Alfred Döblin mit seinem Roman «Berlin Alexanderplatz» unsterblich gemacht. Aber Franz Biberkopf, Döblins Romanheld, würde sich im Grab umdrehen, sähe er die heutige Platzgestaltung. Der Potsdamer Platz? Glas, Stahl und Beton findet man auch in London, Singapur, Rotterdam und Shanghai.
Der Gendarmenmarkt? Baulich ist er mit dem Schauspielhaus, dem Französischen Dom und dem Deutschen Dom wohl der schönste und harmonischste Platz Berlins. Seinen Namen verdankt er dem preussischen Garderegiment «Gens d’armes», welches hier von 1736 bis 1782 Wache und Ställe hatte.
Dass wir den Gendarmenmarkt hier erwähnen, hat auch damit zu tun, dass wir im alteingesessenen Restaurant und Weinhaus Lutter & Wegner an der Charlottenstrasse immer gut aufgehoben waren. Das wäre, wenn es denn sein muss, unser Gastrotipp!
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Wir empfinden es als Privileg, dass wir mit «Kinette» in unseren eigenen vier Wänden während Wochen mitten in Berlin wohnen können. Unsere nächste Station wird Potsdam sein – aber wir werden sicher wieder nach Berlin zurück kommen!
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Aus dem Logbuch
- Berlin-Tempelhof. Yachthafen mit Elektrisch, Wasser, Toiletten und Duschen. Kostenpflichtig. Direkt hinter dem Hafen grosses Einkaufszentrum. Nähe Bus und U-Bahnstation (Ullsteinstrasse). Kann an schönen Sommerwochenenden vom gegenüberliegenden Eventlokal lärmig sein. Sonst ruhig und sicher (Security).
Liebe Familie Huber, via eure Homepage und die zahlreichen Reiseberichte, sind wir auch auf Ruud Thomas, Amsterdam, gestossen. Er hat uns bei der Suche nach „unserem Schiff“ bestens beraten. Eigentlich wollten wir zwei Evaluationsrunden machen, aber nach der Ersten wurden wir bereits fündig. Wir haben in Zwartsluis einen perfekten Valkkruiser 1400 gefunden, der vom Ausbau, Maschinenraum, Ausrüstung und Preis einfach passte. Ruud brachte uns in 4 Tagen mit ca. 40 Schiffen in Kontakt, aber bereits ab dem 2 Tag stand für uns der Entscheid faktisch schon fest. Nun, nach 50 Jahren mit Mast und Segel geht es ab Frühling 2014 für uns mit einem MOBO los. Vorgesehen auch jahrelang und ganzjährig.
Wir sollen Sie herzlich von Ruud grüssen lassen und danken für ihre Berichte, Tipps und Motivation. Liebe Grüsse vom Murtensee, den wir bald definitiv verlassen werden.
Thomas + Ruth
Hallo Charlotte und Christian,
auf der Websuche nach dem ‚Frohen Ankerplatz‘ auf dem Mittellandkanal bin ich auf Euren Bericht gestoßen. Dort habt Ihr geschrieben, dass Ihr auf dem Dortmund-Ems-Kanal die Liegestellen Rodde und Altenrheine nicht angelaufen habt, weil dort ’nur für Kleinfahrzeuge‘ steht.
Wir haben z.B. Altenrheine stets angelaufen. Das erste Mal haben wir die Schleuse angefunkt, und um deren Zustimmung gebeten, die sie uns gaben. Bei weiteren Touren haben wir gar nicht mehr gefragt. Bei Münster gibt es die alte Fahrt Hiltrup, die auch nur für Kleinfahrzeuge zu befahren ist. Da dort eine Liegestelle ist, sind wir sie trotzdem angefahren und haben dort viele schöne Tage in der Natur verbracht. Irgendwann kam die Wasserschutzpolizei längsseits mit der Bemerkung ‚das nenn ich aber mal ein Sportboot‘. Sie haben dann unsere Papier und Ausrüstung geprüft, waren supernett, wir konnten liegen bleiben.
Grundsätzlich haben wir die Erfahrung gemacht: wo zumutbare Liegestellen für die Großschifffahrt sind, legen wir uns natürlich dort hin (immer ans Ende, um die Großen nicht zu behindern), wenn das jedoch nicht der Fall ist, haben wir nie Ärger gehabt, uns bei den Kleinfahrzeugen hinzulegen, wir sind ja leider ein Zwitter und passen nicht an Dalben.
Es ist ja auch eine Diskrepanz zwischen den Begriffen Sport und Kleinfahrzeugen. Ein Sportfahrzeug kann theoretisch, glaube ich, die Größe eines Binnenschiffs haben. In Berliner Gewässern gilt ja der Begriff Sport und nicht Kleinfahrzeug. Wenn also ein Schleusenwärter uns sagt, wir sollen am Sportanleger festmachen und wir stellen fest, dass es sich um einen äußerst fragilen Holzsteg handelt, verzichten wir darauf, mit Verweis auf unsere Tonnage, was immer Verständnis findet. Für uns ist es also immer eine Abwägung im Einzelfall: stabiler Kleinfahrzeuganleger ja, fragiler Sportanleger nein. Wir sind in der Praxis mit dieser Vorgehensweise stets gut gefahren.
Liebe Grüße
Catharina