Berlin – Potsdam – Brandenburg – Genthin
(Teltowkanal, Havel, Elbe-Havel-Kanal; 110 km, 3 Schleusen)
Karten:
– Berlin & Märkische Gewässer 1, Ausgabe 2012, Nautische Veröffentlichung Verlagsgesellschaft
–Berlin und Brandenburg. Wasserstrassen zwischen Magdeburg und Eisenhüttenstadt, Binnenkarten Atlas Band 3, 2013, Verlag Kartenwerft GmbH
Weil das Getriebe etwas Öl verliert, fahren wir noch einmal zurück auf die Werft nach Genthin. Auf der Fahrt dorthin machen wir wieder Zwischenstation in Potsdam. Das letzte Mal waren wir viel zu kurz dort gewesen. Potsdam ist dermassen von Weltgeschichte und Kultur getränkt, dass man sich einfach Zeit nehmen muss. Und dies ist unser Privileg: Wir haben Zeit. Niemand, der unsere Agenda bestimmt. Ausser natürlich der vereinbarte Werfttermin. Aber es bleiben uns immer noch neun Tage in Potsdam.
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Wir liegen wiederum am Tiefen See und mehrmals täglich fährt der zum Ausflugsschiff umgebaute Dampfschlepper «Gustav» vorbei.
Eine alte Dampfmaschine in vollem Betrieb ist natürlich immer spektakulär, weshalb wir kurz entschlossen eine sogenannte Schlösser-Rundfahrt buchen.
Unterwegs kommt Christian mit Ulf, dem Kapitän der «Gustav», ins Gespräch. Ihm ist «Kinette» beim Vorbeifahren schon lange aufgefallen – «Mein Traum, wenn ich mal in Rente bin!» – und dann die Frage: «Willste mal das Steuer übernehmen?»
Hand aufs Herz: Hätten Sie an Christians Stelle nein gesagt? Unbestreitbar ist das einer jener Höhepunkte, die man nie vergessen wird: Den Dampfschlepper «Gustav» unter der Glienickerbrücke hindurch auf den Jungfernsee hinaus zu steuern!
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Potsdam ist als ehemalige Residenz- und Garnisonstadt preussischer Könige reich an Schlössern und Parklandschaften. Drei Parkanlagen prägen ganz besonders das Bild. Am bekanntesten ist Schloss Sanssouci, die ehemalige Sommerresidenz von Friedrich dem Grossen. Flächenmässig ist die ganze Anlage grösser als das Fürstentum Monaco. Im Norden der Stadt, am Jungfernsee, liegt das Neue Schloss. Dort befindet sich Schloss Cecilienhof, wo 1945 die Potsdamer Konferenz stattfand.
Der Park Babelsberg wurde vom Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné am Ufer des Tiefen Sees nach dem Vorbild englischer Landschaftsarchitektur angelegt. Mitten im Park liegt Schloss Babelsberg. Dass in der Potsdamer Garnisonkirche am 21. März 1933 der berühmte Handschlag des neu ernannten Reichskanzlers Adolf Hitler mit dem greisen Feldmarschall Paul von Hindenburg stattfand, würden die Potsdamer allerdings am liebsten aus den Geschichtsbüchern streichen. Das ist auch der Grund, warum der Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kirche noch heute umstritten ist.
Trotz schwerer Beschädigungen des historischen Stadtkerns im April 1945 ist Potsdam ein einzigartiges Ensemble aus grossen Parks und Schlössern geblieben, geschaffen von den bedeutendsten Landschaftsarchitekten, Baumeistern, Malern und Bildhauer ihrer Zeit.
Seit der Wende wird in Potsdam an allen Ecken und Enden wiederaufgebaut, restauriert und renoviert. So auch das vom Grossen Kurfürsten 1664 bis 1670 errichtete Stadtschloss. Es brannte am 14. April bei einem Bombenangriff völlig aus und wurde in der DDR-Zeit 1959/1960 abgerissen. Zurzeit wird es als Sitz des Landtags wieder aufgebaut.
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Die historische Innenstadt, in der nach dem Zusammenbruch des realen Sozialismus eine emsige Wiederaufbau-, Renovations- und Restaurationstätigkeit eingesetzt hat, beeindruckt durch zahlreiche barocke Bauensembles. Unter dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. entstanden 1732 bis 1742 mehrere neue Quartiere. Die Brandenburger Strasse – von den Brandenburgern liebevoll «Broadway» genannt – und ihre Seitenstrassen zeigen verschiedene Haustypen dieser Bebauung. Bekanntestes Beispiel ist das Holländische Viertel. Die grösste niederländische Siedlung ausserhalb der Niederlande wurde erbaut, um holländische Handwerker und Wasserbaufachleute anzulocken. Heute ist hier eine bunte Ansammlung von kleinen Boulevardcafés, Boutiquen, Galerien und Kneipen.
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Neben Preussens Gloria, neben königlichem und kaiserlichem Prunk und Pomp gibt es auch beklemmend düstere Erinnerungsstätten. Eine davon ist das ehemalige KGB-Gefängnis, das sich in einem damals hermetisch abgeriegelten und nur von sowjetischen Geheimdienstangehörigen bewohnten Villenquartier, dem «Städtchen Nr. 7» – befand. Die Bezeichnung «Gefängnis» ist für diese von 1945 bis 1989 betriebene Einrichtung zu beschönigend. Es handelte sich um einen geheimen Kerker, um feuchte, dunkle Verliese, wo die Untersuchungsgefangenen unter völlig menschenunwürdigen Bedingungen mit Folter zu Geständnissen gezwungen wurden.
Aufgrund dieser Geständnisse wurden die Häftlinge von einem sowjetischen Militärgericht abgeurteilt, vielfach zum Tode verurteilt und anschliessend nach Moskau transportiert, wo sie erschossen wurden.
Aus Gründen der historischen Redlichkeit ist anzumerken, dass die CIA heute noch Geheimgefängnisse betreibt oder bis vor kurzem betrieben hat, in welchen mit der sogenannten «Waterboarding-Methode» gefoltert und Geständnisse erzwungen werden resp. wurden.
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Brandenburg befindet sich mitten in einem der grössten Binnenwassersportreviere Europas und dennoch ist die Stadt heute etwas im Schatten des quirligeren Potsdam. Aber die Stadt, deren Geburtsstunde um das Jahr 948 schlug, als Otto I. auf der Dominsel den Grundstein für ein Bistum legte, ist gespickt mit Baudenkmälern, insgesamt mehr als 400 an der Zahl.
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Über die Fahrt von Brandenburg nach Genthin ist nicht viel zu berichten, es sei denn, dass wir sie wegen eines angekündigten Streiks der Schleusenwärter eine Woche früher als vorgesehen antreten müssen. Eine Woche, die wir (einmal mehr) zu Fahrradausflügen in die Umgebung von Genthin benützen.
Nach Neuderben zum Beispiel, mit seinem liebevoll gestalteten Kleinmuseum über die örtliche Elbschifffahrt und zum Kloster Jerichow, einem mächtigen Backsteinbau.
Das Kloster mit seinen 56 Gebäuden ist eines der bedeutendsten romanischen Denkmäler in Deutschland. Die Klosterkirche ist ein Kunstwerk an sich. Keine Gemälde, keine Fresken, keine Schnitzereien. Nur das Rot der gebrannten Ziegel und ein wenig Weiss lassen das Gemäuer vollkommen, schlicht und schön erscheinen. Erstmalig in Norddeutschland wurde hier in der Mitte des 12. Jahrhunderts ein kirchlicher Gebäudekomplex aus Backsteinen gemauert.
Die Gemüsebeete im Klostergarten Jerichow sind aus praktischen und ästhetischen Gründen als Hochbeete gebaut. Vor tausend Jahren war das Klima in Mitteleuropa deutlich wärmer als heute (diese Feststellung ist zwar politisch nicht korrekt, aber zutreffend) und viele Gemüsepflanzen, welche damals im Freien angebaut worden waren, benötigen heute Gewächshäuser. Um diese Pflanzen dennoch ohne Gewächshäuser zeigen zu können, wird hier der Komposteffekt genutzt. Im Inneren der Beete befinden sich Holz, Reisig und Pferdemist. Diese Füllung sorgt für mehr Wärme, Speicherung der Feuchtigkeit und gute Nährstoffversorgung. Durch das offene Flechtwerk werden die Wurzeln mit reichlich Sauerstoff versorgt – optimale Verhältnisse für gutes Wachstum und hohen Ertrag.
Man sieht, auch für Gartenfreunde ist unsere Homepage lesenswert…
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Wenn wir schon bei politisch nicht korrekten Bemerkungen sind, so wollen wir Ihnen nicht vorenthalten, was der harmlose Begriff «Energiewende» (ausser dem Zusammenbruch der Energieversorgung natürlich) in landschaftlicher Hinsicht bedeutet.
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Am 29. September 2013 laufen wir aus Genthin aus. Unsere erste Station wird Kirchmöser am Plauer See sein. Davon dann im nächsten Bericht.
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Aus dem Logbuch
- Potsdam. Liegemöglichkeit für grosse Schiffe bei km 25 am West-Ufer bei km 23.5, allerdings ohne Einrichtungen. Für Yachten verschiedene Marinas mit Wasser, Elektrisch und Sanitäreinrichtungen. Kostenpflichtig. Für Sehenswürdigkeiten siehe Internet. (Vor allem natürlich Schloss Sanssouci). Unser Gastro-Tip: Fischrestaurant «Der Butt», Ecke Gutenberg-/Jägerstrasse (ca. 15 Fussminuten von der Marina am Tiefen See).
- Brandenburg. Liegemöglichkeit für Yachten an der Brandenburger Niederhavel am Schwimmsteg beim Slawendorf. Kostenpflichtig. Wasser, Elektrisch, Sanitäreinrichtungen. Für grössere Schiffe Liegemöglichkeit ohne Einrichtungen am Salzhofufer (ebenfalls kostenpflichtig). Alle Einkaufsmöglichkeiten. Sehenswürdigkeiten: Archäologisches Landesmuseum im Paulikloster, Industriemuseum im ehemaligen Stahl- und Walzwerk, Dommuseum mit Domschatz, Slawendorf, städtische Museen mit Ausstellungen zur Stadtgeschichte und Brandenburger Spielzeugindustrie, Schifffahrtsausstellung im Steintorturm.
- Diesel tanken: Die günstigste Möglichkeit ist per Tankwagen an den Elbe-Havel-Kanal (bspw. in Burg) oder an den Mittellandkanal (bspw. in Haldensleben) liefern zu lassen. Die Firma team energie GmbH & Co. KG. (Helmstedt 05351 31377 und Irxleben 039204 60598) hat uns bei einer Abnahme von 700 Litern den Tankstellenpreis berechnet.