Rechlin – Buchholz – Mirow – Neustrelitz
(Mecklenburgische Kleinseenplatte; 155 Kilometer, 14 Schleusen)
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Die Mecklenburgische Grossseenplatte ist für Hausboot-Neulinge ein ideales Revier – wenn man nicht bei Starkwind die Müritz befahren will. Zwischen der Schleuse Mirow im Süden und der Schleuse in Plau am See reiht sich auf einer Fläche von rund 30 auf 25 Kilometer ein See an den anderen ohne weitere Schleusen dazwischen. Kein Wunder, herrscht hier in den Sommermonaten munteres Treiben, zumal die Boote bis fünfzehn Meter Länge führerscheinfrei gefahren werden können. Die Kehrseite sind natürlich völlig überfüllte Häfen.
Das war für uns Grund genug, einen sicheren und günstigen Liegeplatz für zwei Monate zu suchen (den wir im Yachthafen des Ferienzentrums Rechlin fanden) und zwei Monate «Ferien» in der Schweiz zu machen. Unsere Enkel dankten es uns und wir sind einigermassen zuversichtlich, dass sie uns im November, wenn wir für den Winter in die Schweiz kommen, noch wiedererkennen werden. Wettermässig «genossen» wir in der Schweiz einen nasskalten, unfreundlichen «Sommer», während Kinette zwei Monate lang im strahlenden Sonnenschein lag.
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Seit anfangs September sind wir wieder an Bord. Nur unser schöner Gasgrill samt Gasflasche und Alu-Box mit Grillbesteck hatte – obwohl mit einem Stahlkabel gesichert – während unserer Abwesenheit neue Besitzer gefunden. Sonst ist Kinette unversehrt.
Nach einigen Tagen intensiver Aussen- und Innenreinigung laufen wir aus. Mit an Bord sind Kaspar und Monika Eigenmann, mit denen uns eine alte Freundschaft verbindet. Christian und Monika wuchsen beide im gleichen Quartier auf, verloren sich dann aber aus den Augen, bis das Kanuwandern die Familien Eigenmann und Huber vor rund dreissig Jahren wieder zusammenführte.
Jetzt sind sie für einige Tage bei uns an Bord und geniessen die Entschleunigung beim Schifffahren.
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Wir laufen zuerst den Hafen von Buchholz an, vorbei am Fischerhof von Vipperow, wo es so leckeren Räucherfisch gibt.
Der Hafen von Buchholz liegt am Ende des Müritzsees, einem Seitenarm der Müritz. Die Landschaft ist sehr ursprünglich und Buchholz ein pittoreskes Strassendorf.
Von Buchholz aus fahren wir durch den Mirower Kanal nach Mirow, wo wir schon im Juni lagen. Von hier aus ist es mit dem Fahrrad nicht weit nach Lärz, wo es erstens ein kleines Luftfahrtmuseum, zweitens eine sehr hübsche Kirche und drittens in den Flugzeugbunkern des zuletzt von den Russen benützten Flugplatzes den «Kulturkosmos», eine Aussteiger-Kolonie zu besichtigen gibt.
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Beginnen wir mit den russischen Kampfjet-Bunkern, welche zu farbenfrohen und reichlich anarchistisch anmutenden Gebäuden umfunktioniert wurden. Sie verbreiten einen Hauch von Mad-Max-Endzeit-Charme. Sie wissen schon, jene Endzeit-Filme, in denen Hollywood über die Zeit nach dem ganz grossen Atomkrieg fantasiert. Im «Kulturkosmos» ist nicht Endzeit, nur vegane, antikapitalistische Anarchie – oder so. Hier findet jedes Jahr ein gigantisches dreitägiges Openair-Konzert statt, die «Fusion» mit über 50’000 Besuchern.
Ganz in der Nähe ist das kleine Luftfahrtmuseum von Lärz, das auf uns fliegerische Laien eher wie eine Sammlung von aviatischem Schrott wirkt, aber wir sind da, wie gesagt, Laien.
Optisch gibt – wenigstens für uns – das Kirchlein von Lärz mit seinem Holzturm wesentlich mehr her, und zwar von aussen wie von innen. Nur schon die vier Engel an der Decke sind in ihrer Schlichtheit rührend. Vom Besuch des Luftfahrtmuseums her etwas sensibilisiert, fragen wir uns allerdings, ob diese Engel mit ihrem Verhältnis von Tragflächengrösse und Eigengewicht wirklich flugtauglich sind.
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Und wenn wir schon bei Engeln sind, so macht uns dieser Marmorengel im Schlosspark von Neustrelitz einen wesentlich flugtüchtigeren Eindruck. In einem jener genialen französischen Filme aus den siebziger Jahren fragt ein Enkel seinen Opa: «Du Opa, was sind eigentlich Engel?» Und Opa, nach kurzem Überlegen, gibt zur Antwort: «Engel sind eine Art heilige Hühner – une espèce de poules saintes».
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Damit sind wir bei den Hühnern angelangt. Fluguntauglich sind auch diejenigen in der Hühnerfarm zwischen Lärz und Mirow. Aber soviel Freiland, wie dieses Federvieh geniesst, sehen wir zum ersten Mal.
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Das führt uns nahtlos zu den Kranichen, welche definitiv äusserst flugtüchtig und jetzt im Herbst die grosse Attraktion sind. Wenn die Kraniche ziehn, dann machen sie nämlich hier im Müritz-Nationalpark Zwischenstation, futtern tagsüber irgendwo auf endlosen Brachen und kehren in der Dämmerung zu ihren Schlafplätzen zurück. Es ist ein grandioses Naturschauspiel, wenn sich die riesigen Schwärme schon von weitem durch ihr stossweises Trompeten ankündigen, um dann am Ufer ihre Schlafplätze aufsuchen, wo sie im Wasser stehend die Nacht verbringen.
Wir nehmen an einer geführten Kranichtour teil (anders kommt man abends nicht mehr in den Nationalpark) und wandern etwa 2 Kilometer zu einem gedeckten Beobachtungsstand am Ufer eines schilfbestandenen Sees. Zuvor hat uns die Rangerin Birgit Zahn zu vorsichtigem Verhalten und Stillschweigen ermahnt. Blitzlicht ist beim Fotografieren verboten und auch helle Kleidung ist nicht erwünscht.
Wie wir schweigend in Einerkolonne in der einbrechenden Dämmerung durch den urtümlichen, unberührten Wald des Nationalparks stapfen, kommt ein Gefühl von Pfadfinderromantik auf.
Wir beziehen Posten im gedeckten Beobachtungsstand und warten schweigend auf die heimkehrenden Kraniche. Während einer halben Stunde geschieht gar nichts, ausser dass die Dämmerung hereinbricht. In dieser Gegend Deutschlands ist die Abwesenheit von Zivilisationsgeräuschen, diesem ständigen Hintergrundrauschen, ohnehin Balsam für die Seele. Und dann hört man auf einmal in der Ferne Vogelgeschrei, ein paar wenige Kraniche werden sichtbar, dann werden es immer mehr, bis schliesslich Tausende von Kranichen über dem See kreisen und sich nach und nach niederlassen. Ein unvergessliches Erlebnis.
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In unseren Reiseführern haben wir von Neustrelitz gelesen und unsere Schleusenschifferklub-Kollegen Urs und Liisa Baumgartner haben den hübschen Hafen und den freundlichen Hafenmeister in den höchsten Tönen gepriesen. Das Eisenbahnbrücklein über den Kammerkanal vor Neustrelitz scheint allerdings eine Herausforderung zu sein, denn in unseren Karten ist die Durchfahrtshöhe mit 3.00 Metern angegeben, während unser nur unter Schwierigkeiten demontierbarer Suchscheinwerfer auf dem Steuerhausdach 3.18 Meter hoch ist.
Der bereits erwähnte freundliche Hafenmeister von Neustrelitz erklärt uns auf telefonische Anfrage, die Durchfahrtshöhe der besagten Brücke sei 3.40 Meter, was leider für viele Yachten ein unüberwindbares Hindernis sei – oder würde man in einem solchen Fall von «ununterwindbar» sprechen?
Der Mann hat recht und wir werden mit einem perfekten Liegeplatz in einem der schönsten Häfen der Gegend belohnt. Der Hafen liegt am Ende des Zierker See, der so flach ist, dass man sich besser an die Fahrwasser-Betonnung hält. Der Hafen ist eingerahmt von alten Lagerhäusern aus rotem Backstein, die sorgfältig renoviert wurden und heute Geschäfte, Restaurants und Wohnungen beherbergen.
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Die Geschichte von Neustrelitz ist in gewisser Weise exemplarisch für Mecklenburg-Vorpommern. Das benachbarte Alt-Strelitz war Residenz der Herzöge von Mecklenburg-Strelitz. 1712 brannte das Residenzschloss ab. Weil das Geld für einen Neubau fehlte, liess Adolf Friedrich III. sein Jagdhaus am Zierker See zur neuen Residenz ausbauen und nannte den Ort Neustrelitz.
Der Landesherr wünschte allerdings keine Ansiedlung von Industrie, was sich bitter rächte, als das Herzogtum Mecklenburg-Strelitz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs unterging. Jegliche Infrastruktur für eine wirtschaftliche Entwicklung fehlte und sie fehlt noch heute.
Was hingegen nicht fehlt, sind – einmal mehr – spektakuläre Sonnenuntergänge, wobei die Sonne so entgegenkommend ist, genau in der Achse der Hafeneinfahrt unterzugehen.
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Aus dem Logbuch
- Rechlin. Yachthafen Ferienzentrum Rechlin. Gut ausgestatteter, moderner Hafen. Strom (16 Amp), Wasser, Duschen, WC, Waschmaschine, Trockner. Dieseltankstelle. Kostenpflichtig. Hafenrestaurant «Spinnaker». Freundlicher und hilfsbereiter Hafenmeister. Sehenswürdigkeit: Luftfahrttechnisches Museum. Einkaufsmöglichkeiten Netto «rot» (Marken-Netto) und Netto «schwarz» (empfehlen wir nicht). Der Laden, der alles hat: Hobbymarkt Ronneberg. Von der Vorhangstange über den Fahrradreifen bis zum Takelgarn, buchstäblich alles.
- Buchholz. Yachthafen Müritzsee. Strom (16 Amp.) und Wasser. Mobile Dieseltankstelle. Duschen, Waschmaschine, Trockner. Restaurant «Hafenmeisterei». Im Dorf Restaurant «Drei Linden» mit angeschlossenem Tante-Emma-Laden wie aus dem Bilderbuch.
- Mirow. Bootsservice Rick an der Schlossinsel. Idyllisch gelegener, kleiner Hafen. Strom (16 Amp), Wasser, WC, Duschen, Waschmaschine, Trockner. Kostenpflichtig. Der immer fröhliche Hafenmeister Ole betreibt einen kleinen Shop mit Bootszubehör, Karten und Reiseführern, Lebensmitteln, Imbiss. Alle Einkaufsmöglichkeiten im Dorf (EDEKA, Aldi, Lidl, Penny). Zahnarzt (Dipl.-Med. W. Schneeweiss!), Apotheke, Postfiliale im «Viele kleine Dinge». VR-Bank, Sparkasse. Bahnhof (Züge nach Neustrelitz, von dort Verbindungen nach Rostock und Berlin). Gastronomie: «Blaue Maus». Von einem Fliegerass des I. Weltkriegs nach seinem Jagdflugzeug benanntes Restaurant. Wild aus eigener Jagd sowie Fischspezialitäten. Sehenswürdigkeiten: Das Museum im 3 Königinnen Palais. Modernes und gepflegtes Museum. Für Kinder Audioguide.
- Neustrelitz. Stadthafen (kostenpflichtig) am Zierker See. Strom (16 Amp.) und Wasser, Duschen, Waschmaschine, Trockner. Einkaufsmöglichkeiten: Aldi, Lidl, Netto und Kaufland. Die Strelitzer Strasse ist Fussgängerzone und Shoppingmeile. EDEKA etwas ausserhalb. Zugverbindungen nach Rostock und Berlin. Tierpark. Landestheater. Sommerfestspiele.