Was macht die Schiffs-Crew im Winter?
Die Frage hat sich bis vor wenigen Jahren eigentlich gar nicht gestellt, weil wir mit den üblichen Festtagsunterbrüchen und Heimaturlauben mehr oder weniger das ganze Jahr auf dem Schiff wohnten. Drei Winter verbrachten wir im Port de plaisance von Roanne an der Loire (Frankreich). Dort wurde es uns keinen Moment langweilig, denn wir waren nicht nur im Lions Club Roanne und im einheimischen «Club d’accueil et d’amitié» gut aufgehoben, sondern auch in einer internationalen Gemeinschaft von rund dreissig Schiffseignerpaaren aus neun Nationen.
Man kann ja über die Amerikaner sagen, was man will, aber im «socializing» sind sie unübertroffen. Davon hat zu unserer Zeit in Roanne der ganze Hafen profitiert.
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Den vierten Winter verbrachten wir in Gorinchem am niederländischen Rhein, in einer Gracht im Schutze der Stadtschleuse.
Vermutlich wird der Sinterklaas – also der Samichlaus, Nikolaus oder Weihnachtsmann, je nach Herkunft – nirgends so ausgiebig und liebevoll zelebriert wie in den Niederlanden. Traditionsgemäss kommt der Heilige Nikolaus per Schiff, zusammen mit seinem Gehilfen, dem Zwarte Piet, also dem Schwarzen Peter. Den menschenrechtsbewegten Zeitgenossinnen, die den Zwarte Piet plötzlich als rassistisch entdeckten, schenken wir hier ein mitleidiges Lächeln. Zurück zum richtigen Leben: Auch der Winter in Gorinchem ist ein bleibendes Erlebnis.
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Aber dann meldete sich plötzlich eine Enkelin an, dann ein Enkel und noch ein Enkel – sozusagen über Nacht waren wir multiple Grosseltern geworden. Nun standen wir natürlich vor dem bekannten Dilemma: Das Leben als Wasserzigeuner weiterführen oder vollamtliche Grosseltern werden? Wir wählten einen Kompromiss, der einstweilen für Alle stimmt: Vom Frühling bis in den Spätherbst sind wir mit dem Schiff unterwegs und unsere Kinder kommen samt Enkelkindern nach Möglichkeit zu uns in die Ferien.
Schliesslich haben wir dieses Leben auf dem Wasser gewählt und es ist in den letzten zehn Jahren ganz und gar unser Lebensstil geworden. Ein Lebensstil, wie er in der immer dichter bewohnten und immer stärker durchreglementierten Schweiz gar nicht mehr möglich ist.
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Womit wir zum zweiten Teil des Kompromisses kommen. Vom Spätherbst bis in den Frühling wintern wir Kinette in einem passenden Hafen ein, legen sie dem Hafenmeister ans Herz und übersiedeln in unsere Absteige im Zürcher Oberland. Dann gehört der Winter Kindern und Enkelkindern.
Nun kann man ja nicht sieben Tage die Woche Enkelkinder hüten, das täte ihnen nicht gut und uns auch nicht. Kam diesen Winter hinzu, dass wir durch medizinische Reparaturarbeiten in unserer Mobilität und unserem sozialen Leben ziemlich eingeschränkt waren.
Da traf es sich doch gerade gut, dass Christian ein altes Hobby neu entdeckte, nämlich den Bau von Schiffsmodellen. Was lag näher, als es zum Auftakt mit dem 1:30 Modell einer französischen Péniche, also eines traditionellen Lastkahns, zu versuchen. Der französische Bausatz «La Jocelyne» von New Maquette erwies sich als ziemlich anspruchsvoll: Die Holzteile waren nicht passgenau und erforderten viel Nacharbeit und die französische Bauanleitung war sehr rudimentär. Immerhin war der massstäbliche Bauplan hilfreich.
Boots- und Ladekräne zum Beispiel waren nur in Form von Messingdrähten und -rädchen vorhanden, da musste alles sorgfältig zusammengelötet werden.
Irgendwann, nach gefühlten zweihundert Stunden Arbeit, sah die Péniche wie eine Péniche aus und stand mit ihren 1.20 Metern Länge stolz auf der Werkbank.
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Dies vollbracht, hatte Christian Appetit auf mehr. Inspiriert für das nächste Projekt hatte ihn ein wunderschönes, klassisches Mahagoniboot, das letzten Sommer neben uns am Steg in Rechlin (Mecklenburg-Vorpommern) gelegen hatte.
Bei der deutschen Firma «aeronaut» fand Christian den Bausatz für eine aus Mahagoni und Birkensperrholz gefertigte Kajütyacht. Diesmal stimmte alles: Holzqualität, Zuschnitt und Passgenauigkeit. Das Modell «Victoria» im Massstab 1:20 versprach ein wahres Bijou zu werden. Als Steigerung sollte das Modell eine Fernsteuerung erhalten – Schiff(smodell) bauen ist schön, Schiff(smodell) fahren auch!
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Last but not least waren wir nicht nur als Bastler unterwegs, sondern auch schriftstellerisch tätig. Um auch (fremd)sprachlich nicht ganz einzurosten, schrieben wir für das französische Magazin «FLUVIAL» den Bericht «Notre vie en bateau: 9 ans et 4 pays», für den «Schleusenschiffer» des Schweizerischen Schleusenschifferklubs den Artikel «Kinette bei den Deutschen» und für das englische Magazin «Blue Flag» der Barge Association (DBA) die Reportage «Cruising in Germany with a 22.5 mtrs vessel».
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Die drei Enkel haben sich an uns gewöhnt und werden uns bis zum Herbst so vermissen wie wir sie auch, die Schiffsmodelle sind gebaut, die Artikel sind geschrieben, die Uhren sind auf Sommerzeit umgestellt: Unser nächster Bericht wird dann hoffentlich wieder ein Fahrbericht sein!
Ich finde Ihre Website erfolgreich und sehr kreativ. Wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.
Mutation vom Rationalen zum Konkreten
Was ist das für eine schöne „Wende“. Ein Berufsleben voller Kopfarbeit und -entscheide und jetzt, im Ruhestand, kommt die „alte Liebe“ zum Basteln und Pröbeln und Chlütterle wieder zum Vorschein. Und erst noch mit vollem Erfolg. Gratuliere: es sind sehr schöne Modelle geworden! LG Gruss Thomas
Hallo,
schönes Modell, woher kann ich denn auch so einen Plan von der Peniche bekommen. Ich möchte das Theaterschiff Heilbronn als RC bauen, und bin auf der Suche nach einem Plan. Von dem Schiff gibt es keinen mehr und deshalb suche ich einen baugleichen bzw. ähnlichen.
Vielen Dank
Es handelt sich um einen französischen Bauplan. Das Modell heisst „Jocelyne“. Mit googeln sollten Sie es fnden.