Potsdam – Weener
(Havel, Sacrow-Paretzer-Kanal, Havel, Elbe-Havel-Kanal, Mittellandkanal, Dortmund-Ems-Kanal, Ems; 563.4 km, 20 Schleusen)
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Am 12. Oktober 2015 laufen wir aus der Marina am Tiefen See in Potsdam aus. Wie wir unter der berühmten Glienicker Brücke – hier wurden während des Kalten Krieges Spione zwischen den USA und der UdSSR ausgetauscht – durchfahren, lacht uns die Sonne entgegen. Dies sollte für längere Zeit das letzte Mal sein, dass wir die Sonne sehen. Aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Wo wir am Abend anlegen werden, wissen wir ebenfalls noch nicht. Wir haben für die rund 560 Kilometer lange Fahrt von Potsdam in unser ostfriesisches Winterquartier in Weener 12 Tage vorgesehen und wollen einfach jeden Tag solange fahren, wie wir mögen und bis wir einen geeigneten Übernachtungsplatz gefunden haben.
Wir sind die Strecke von Potsdam nach Brandenburg schon mehrmals gefahren und haben dafür jeweils die Untere Havel-Wasserstrasse gewählt. Sie bedeutet zwar einen Umweg und wird deshalb von der Berufsschifffahrt praktisch nicht benutzt. Jetzt aber nehmen wir die kürzeste Route und damit den Sacrow-Paretzer-Kanal. Er verbindet die Havel bei Potsdam mit der Havel östlich von Ketzin. Der Kanal durchquert den Weissen See, den südlichen Teil des Fahrlander Sees und den Schlänitzsee. Er ist 12,5 km lang, wobei man etwa 7,5 km auf Kanalstrecken, die restlichen 5,0 km auf vorhandenen Seen-strecken fährt.
Da wir nur die Schleusen von Brandenburg und Wusterwitz zu passieren haben, kommen wir zügig voran und schaffen an diesem Tag über 70 Kilometer. Eine Klammerbemerkung zur Schleuse Wusterwitz: Neben der bisherigen Schleusenkammer wurde 2008 mit dem Bau einer zweiten Schleusenkammer von 12.50 Meter Breite und 190 Meter Länge begonnen. Die Eröffnung des 60 Millionen Euro-Projektes hätte schon vor über einem Jahr erfolgen sollen. Die Bauarbeiten ruhen aber seit geraumer Zeit. In Schifffahrtskreisen wird erzählt, der verwendete Beton habe sich als porös herausgestellt und das Geld sei in den Sand (resp. in den Beton) gesetzt. Wie dem auch sei, wir werden in der (alten) Schleusenkammer nach erträglicher Wartezeit geschleust.
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Wir übernachten am Ufer des Elbe-Havel-Kanals in Genthin und legen am nächsten Morgen früh ab. Gegen Mittag passieren wir die Schleuse Hohenwarthe und überqueren dann das Wasserstrassenkreuz Magdeburg. Hier führt eine 918 Meter lange und 34 Meter breite Kanalbrücke über die Elbe.
Die Fahrt von Ost nach West auf dem Mittellandkanal ist als «Talfahrt» definiert. Daraus ergibt sich die paradoxe Situation, dass wir als Talfahrer in der Schleuse Hohenwarthe 19 Meter in die Höhe geschleust werden, also eigentlich zu Berg. Meldet man bei der Schleuse über Funk, dass man zu Tal geschleust werden möchte, wird man deshalb regelmässig gefragt: «Richtung Ost oder West?»
Weil die Schleuse Hohenwarthe mit Schwimmpollern ausgestattet ist, erfolgt das Schleusen trotz des beeindruckenden Hubs sehr entspannt.
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Von diesem zweiten Fahr-Tag an vermeldet das Logbuch unter «Wetter» Tag für Tag: «Kühl, grau, nass». Zur Abwechslung steht auch einmal: «Ganzer Tag Dauerregen.» Glücklicherweise können wir uns auf der langen und gelegentlich etwas eintönigen Fahrt am Steuer ablösen. Nur so sind bis zu zehnstündige Fahrtage möglich.
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Liegestellen zu finden, ist am ganzen Mittellandkanal kein Problem. Rund alle 50 km sind Liegestellen für die Berufsschifffahrt angelegt, einige davon mit Elektrizität und Wasser.
Für den Bezug von Elektrizität und Wasser benötigt man sogenannte Wertkarten, welche man bei den jeweiligen Wasserstrassen- und Schifffahrtsämtern (WSA) beziehen kann. Am Anfang und Ende der Liegestellen für die Berufsschifffahrt sind jeweils rund 50 Meter für «Kleinfahrzeuge» reserviert, also für Schiffe unter 20 Meter Länge. Wir legen jeweils ganz am Ende oder ganz am Anfang der für die Berufsschifffahrt vorgesehenen Liegestellen an. Damit sind wir jedenfalls weder bei der Wasserschutzpolizei noch bei den Berufsschiffern angeeckt.
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Vor Antritt unserer Fahrt nach Ostfriesland haben wir noch einen Ölwechsel vorgenommen. Gelegentlich sollten wir wieder Diesel tanken und die Ventile am Schiffsdiesel einstellen lassen. Tanken kann man in Lohnde, Mittellandkanal-Kilometer 149.25, bei der Bunkerstation Arnemann. Wir melden uns per Telefon an und erhalten den Bescheid, wir sollten uns längs eines Berufsschiffes legen, wir seien in etwa einer Stunde an der Reihe.
Aus dem einen Berufsschiff werden zwei und aus der einen Stunde zwei. Wie wir dann endlich an die Reihe kommen, ist nach rund 350 Litern (weissem) Diesel Schluss. 1000 Liter hätten wir gebraucht. Das sei der letzte Sommerdiesel gewesen, der Winterdiesel werde erst in einigen Tagen geliefert. Wir kommen uns ziemlich veräppelt vor.
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Wie geplant verläuft dafür das Einstellen der Ventile des Schiffsdiesels. Wir haben ausgerechnet, dass wir am siebten Fahrtag die Alte Fahrt Hörstel erreichen, einen stillen Seitenarm des Mittellandkanals, unmittelbar vor dessen Einmündung in den Dortmund-Ems-Kanal. Diese Einmündung ist unter dem Namen «Das Nasse Dreieck» bekannt.
Zwei Tage vorher rufen wir die Firma Sommerkamp-Motoren in Bergeshövede an und vereinbaren einen Termin. Pünktlich legen wir in der Alten Fahrt an und ebenso pünktlich erscheint Firmeninhaber Ralph Sommerkamp. Wir lassen die Ventile in einem Zweijahresintervall einstellen. In der Zwischenzeit sind die Ventile jeweils kaum verstellt. Aber ein beruhigendes Gefühl ist es doch!
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Seit Potsdam sind wir bis zum Nassen Dreieck in sieben Tagen 430 Kilometer nach Westen gefahren. Jetzt biegen wir in den Dortmund-Ems-Kanal (DEK) ein und fahren nordwärts durch das Emsland nach Ostfriesland. Wir übernachten nach Hörstel im kleinen Hafen im Oberwasser der Schleuse Altenrheine. Laut Beschilderung dürfen hier zwar nur Kleinfahrzeuge anlegen, aber es ist Ende Saison und wir sind mutterseelenallein.
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Am nächsten Morgen laufen wir hinter einem Frachtschiff in die Schleuse Altenrheine ein. Sie ist, wie alle Schleusen des Dortmund-Ems-Kanals, von einer Schaltzentrale aus fernbedient. Unser Liegeplatz war unmittelbar oberhalb der Schleuse, diese ist hell beleuchtet und so erkennen wir gar nicht, dass von der Schleuse an dicker Nebel herrscht.
Und wenn wir «dicker Nebel» schreiben, dann meinen wir tatsächlich dicken Nebel. Wie dick er ist, merken wir allerdings erst bei der Einfahrt in die Schleuse. Aber da ist es schon zu spät.
Das vor uns fahrende Frachtschiff erkennen wir nur schemenhaft. Eigentlich würden wir am liebsten am linken oder rechten Ufer (das wir kaum sehen) anlegen, aber am steinigen Schrägufer gibt es keinerlei Anlegemöglichkeiten. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als hinter dem Frachtschiff herzufahren und zwar so nahe, dass wir es gerade noch sehen können. Das sind geschätzte dreissig Meter.
Nach ein paar Kilometern beginnt sich der Nebel zu lichten und wir können aufatmen.
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Die Schleusen des DEK sind nicht nur auf Fernbedienung durch eine Schaltzentrale umgestellt, sondern zum Teil auch modernisiert worden. Das betrifft ganz augenscheinlich die Schleuse Hüntel, welche seit unserer letzten Durchfahrt anfangs Juni 2013 für zehn Millionen Euro umgebaut worden ist.
Damals war es noch eine veraltete Schleuse mit schrägen Grasufern und Holzdalben, heute ist es eine blitzsaubere Schleuse mit ordentlichen Pollern.
Und das Sahnehäubchen ist, dass der Funkkontakt mit der Schaltzentrale in Meppen völlig problemlos funktioniert. Wir melden uns jeweils etwa anderthalb Kilometer vor den Schleusen an, werden über den Füllzustand der Schleuse informiert und erleben praktisch keine Wartezeiten. So macht das doch Spass!
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Die Schleuse Herbrum ist die letzte Schleuse des DEK. Von hier an ist die Ems bis zur Einmündung in den Dollart Gezeitenwasser. Damit wir mit ablaufendem Wasser nach Weener fahren können und nicht 21 Kilometer lang gegen die Strömung ankämpfen müssen, warten wir ab, bis In Herbrum Hochwasser ist. Das wird am folgenden Tag um 10 Uhr der Fall sein. Wir übernachten in einem idyllischen Altarm der Ems am Gastlieger des Ems Yacht Clubs Lingen, ein paar hundert Meter oberhalb der Schleuse.
Weil wir ab Papenburg auf einer Seeschifffahrtstrasse fahren, begleitet uns Bernhard, ein Weeneraner und, wie wir, Mitglied der Deutschen Traditions-Motorboot-Vereinigung (http://www.dtmv-online.de).
Die Schleuse, welche das Städtchen Weener von der Ems trennt, steht quer zum Fluss. Wir müssen also wegen der starken Strömung etwas unterhalb der Schleuse im Fluss wenden und dann zu Berg fahren. Einmal mehr sind wir froh, dass Kinette mit ihrem 8-Liter-Schiffsdiesel mehr als ausreichend motorisiert ist. Die 158 Pferde stürmen los, Kinette pflügt munter gegen die Strömung, dann etwas schräg versetzt durch das Kehrwasser im Unterwasser der Schleuse und direkt durch die offen stehenden Schleusentore in die Schleuse hinein.
Hier muss man rechtzeitig abstoppen, denn die Schleuse ist mit 25 Metern nicht viel länger als unser Schiff. Kinette macht das Manöver brillant und dazu trägt auch bei, dass Schleusenwärter Heiner Düring, den wir von unterwegs angerufen haben, die Schleuse vorbereitet hat.
Elf Tage und 67 Motorstunden nach unserem Auslaufen aus Potsdam haben wir unser Ziel erreicht. Ohne die geringsten Zwischenfälle und ohne kritische Situationen (sieht man einmal vom Nebel in Altenrheine ab).
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Der nächste Bericht wird einige Weener Impressionen enthalten und von einer überraschenden Entdeckung berichten. Und falls Sie noch kein Weihnachtsgeschenk für Ihren Filius haben: Das wunderschöne Mahagoniböötchen mit einem Renault R4-Innenbordmotor steht für 9000 Euro zum Verkauf – samt Trailer.
Aus dem Logbuch
- Potsdam. Liegemöglichkeit für grosse Schiffe am West-Ufer bei km 23.5, allerdings ohne Einrichtungen. Für Yachten verschiedene Marinas mit Wasser, Elektrisch und Sanitäreinrichtungen. Kostenpflichtig. Wir lagen in der «Marina am Tiefen See» und waren gut, wenn auch nicht billig aufgehoben. Für Sehenswürdigkeiten siehe Internet. (Vor allem natürlich Schloss Sanssouci). Unser unveränderter Gastro-Tip: Fischrestaurant «Der Butt», Ecke Gutenberg-/Jägerstrasse (ca. 15 Fussminuten von der Marina am Tiefen See). Weitere Liegemöglichkeit beim Eisenbahner Sportclub Potsdam (Sportplatz Berliner Strasse). Kostenpflichtig (1.50 Euro/Meter). Dusche, Abfall. Abgeschlossenes Gelände. Vereinsgaststätte auf dem Gelände (Empfehlung von Detlef Unger).
- Genthin. Noch nicht als solche bezeichnete Liegestelle am linken Ufer des Elbe-Havel-Kanals. Keine Einrichtungen.
- Haldensleben. Liegeplätze für Kleinfahrzeuge und die Berufsschifffahrt nach dem Schutztor am Südhafen. Strom und Wasser (mit Wertkarten der WSV).
- Wolfsburg. Yachthafen mit allen Einrichtungen am rechten Ufer. Für grössere Schiffe am linken Ufer beim Bahnhof kostenlose Liegestelle ohne Einrichtungen.
- Hörstel. Liegestelle in der Alten Fahrt Hörstel, MLK km 3.5. Keine Einrichtungen. Kostenlos. 10 Fahrradminuten von Hörstel entfernt. Dort alle Einkaufsmöglichkeiten.
- Haren. Endpunkt (resp. Beginn) des Haren-Rütenbrock-Kanals. Liegemöglichkeit entweder am 60 m langen Steg am li. Ufer vor Schleuse I (keine Einrichtungen, Liegegeld für unsere Länge € 16) oder im neuen Emspark-Yachthafen an der Ems. Im Liegegeld sind Strom (16 Ampère!) und Wasser inbegriffen. Moderner Yachthafen mit Waschmaschine, Tumbler und Dusche, aber kein WiFi. In Haren alle Einkaufsmöglichkeiten. Markt am Freitag. Sehenswert: Schifffahrtsmuseum. Gastro-Tip: «Steakhouse» beim Dom.
- Herbrum. Anleger des Ems Yachtclubs Lingen in einem Altarm der Ems bei DEK km 211. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Sehr ruhig und idyllisch. Hier sind schon Robben beobachtet worden, die vom Dollart her durch die Schleuse Herbrum «schleusten».
- Weener. Moderner Sportboothafen mit allen notwendigen Einrichtungen sowie Alter Hafen für Traditionsschiffe. Kostenpflichtig. Das Gebiet ist strukturarm und das merkt man dem Städtchen auch an. Dennoch sind alle Einkaufsmöglichkeiten vorhanden.
- Motorenspezialist unterwegs: Sommerkamp Motoren GmbH, Kanalstrasse 111, 48477 Hörstel (beim Nassen Dreieck), Tel. +49 (0) 5459 88 22 88.