Weener – Herbrum – Haren – Rütenbrock – Emmer Compascuum –
Nieuw Amsterdam – Hoogeveen
(Ems, Dortmund-Ems-Kanal, Haren-Rütenbrock-Kanal, Koning Willem-Alexander-Kanaal, Veenvaart; Verlengde Hoogeveensche Vaart, Hoogeveensche Vaart; 129 Kilometer mit 19 Schleusen und 46 Hebe- und Drehbrücken)
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Wintert man sein Schiff irgendwo weit entfernt ein, verbringt den Winter an Land und fährt im Frühjahr wieder zum Schiff, so stellt sich immer die Frage: Wie kommt man am besten vom eigenen Winterquartier zu demjenigen des Schiffs? In unserem Fall: Wie kommt man am besten vom Zürcher Oberland nach Ostfriesland? Mit viel Gepäck? Das Flugzeug fällt wegen des Gepäcks ausser Betracht und mit der Bahn reisen heisst mehrere Umsteiger (mit viel Gepäck). Unsere Lösung, die sich jetzt seit mehreren Jahren bewährt, heisst Einwegmiete eines Autos. Da die Einwegmiete von einem schweizerischen Anmietort zu einem deutschen Rückgabeort prohibitiv teuer ist, mieten wir in Deutschland, in unserem Fall in Singen, also in Grenznähe, ein Auto und geben es dann in Papenburg, also immer noch Deutschland, wieder zurück. Das kostet für sechs Tage bei unbeschränkten Kilometern nicht ganz 400 Euro plus knapp 70 Euro für den Diesel. Die Variante Mietwagen erlaubt uns einen kleinen Umweg über Südholland, wo unsere langjährigen, treuen Freunde Nell und Frits von der «M.S. SHELL V» schon sehnsüchtig, auf uns und noch mehr auf das mitgebrachte Käsefondue warten.
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Am nächsten Tag fahren wir in rund zweieinhalb Stunden nach Weener, gegen den morgendlichen Stossverkehr und gegen die in den Niederlanden berüchtigten, bis zu zwanzig Kilometer langen Staus. Kinette hat auf den ersten Blick den ostfriesischen Winter gut überstanden und ein zweiter Blick bestätigt diesen Eindruck. Lediglich das Teakholz des Steuerhauses hat etwas gelitten, aber das werden wir wieder hinkriegen. Dafür (und für den gesamten Schiffsanstrich) haben wir im Mai einen Werfttermin in Harlingen.
Das haben wir unseren Schiffsnachbarn Klaus und Christa («M.S. NJORD») und unseren Weeneraner Schifferkollegen Hilmar und Catharina («M.S. ANIMO») sowie Bernhard («M.Y. LILO») zu verdanken. Wir revanchieren uns mit einem weiteren Käsefondue bei uns an Bord – damit kann hier immer punkten –, wobei leider Klaus und Christa nicht teilnehmen können, weil sie bereits ausgelaufen sind.
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Uns zieht es aufs Wasser und nachdem wir das Schiff ausgewintert, die Vorräte aufgefüllt und Frischwasser gebunkert haben, kommt der grosse Moment: Das Drehen des Zündschlüssels. Wie wenn kein Winter seit der letzten Fahrt dazwischen läge, springt der Schiffsdiesel auf Anhieb an. Wir lassen ihm Zeit zum Warmwerden, dann legen wir ab.
Da wir im Herbst mit dem Bug zum Städtchen angelegt haben, um näher beim Stromkasten zu liegen, müssen wir jetzt im relativ engen Hafen ein Wendemanöver machen – achtern der Quai und vorne die «ANIMO».
Aber weder KINETTE noch der Kapitän haben das Wenden an Ort verlernt und so dampfen wir zügig Richtung Seeschleuse.
Wir wollen so schleusen, dass wir drei Stunden vor Hochwasser auf der Ems sind und mit auflaufendem Hochwasser sozusagen zu Berg gespült werden. Die Mechanik eines der beiden Schleusentore hat den Winter nicht überstanden, die Ersatzteile sind noch nicht eingetroffen und so müssen wir uns eben mit der Hälfte der üblichen Einfahrtsweite begnügen. Geht auch.
Während sich die äusseren Schleusentore langsam öffnen, winken uns Schleusenwärter und Hafenmeister Heiner Düring sowie unsere Schifferskollegin Catharina von der «ANIMO» zu, bevor es mit voller Kraft voraus in die Strömung hinaus geht, an Bord auch der Eigner der wunderschönen Swisscraft-Motoryacht «LILO», Bernhard Kiessetz (siehe Bericht 119).
Ein paar hundert Meter oberhalb Weener passieren wir die historische Eisenbahnbrücke – die gehoben werden kann – über die Ems. Sie bietet einen traurigen Anblick. Im letzten November, kurz nachdem wir KINETTE eingewintert hatten, fuhr ein Frachtschiff trotz eines Lotsen an Bord in die gesenkte Brücke hinein und zerstörte sie völlig. Die beispielhaft funktionierende Bürokratie hat den Wiederaufbau bisher erfolgreich verhindert, sodass die Eisenbahnverbindung zwischen den Niederlanden und Ostfriesland auf unabsehbare Zeit unterbrochen bleibt.
Knapp zwei Stunden später fahren wir in die Schleuse Herbrum ein und verlassen damit das Tidengewässer. Wir finden einen Liegeplatz im stillen Seitenarm der Ems, ein paar hundert Meter oberhalb der Schleuse.
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Über die Fahrt am folgenden Tag auf dem Dortmund-Ems-Kanal nach Haren gibt es nicht viel zu berichten. Es ist Sonntag, wir sind allein unterwegs. Wir können uns schon von rund einem Kilometer über Funk bei den Schleusen anmelden, sie stehen alle offen für uns. Die Berufsschiffer haben übers Wochenende ihre Schiffe verlassen, weil die Schleusen am Sonntag nur bis 14:00 Uhr bedient werden. Wir laufen um die Mittagszeit im Yachthafen Emspark in Haren ein und verbringen daselbst einen ruhigen Sonntag. Wir krönen ihn mit einem Nachtessen im «Steakhouse am Dom», das wir immer noch empfehlen. Das Lammfilet auf dem heissen Stein ist hervorragend, die Bedienung aufmerksam und freundlich, der Preis – vor allem für schweizerische Verhältnisse – sehr günstig.
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Am folgenden Montag wollen wir auf dem Haren-Rütenbrock-Kanal nach den Niederlanden fahren. Die deutsch-niederländische Grenze ist nur etwa 20 Kilometer entfernt. Der Haren-Rütenbrock-Kanal, dies als historische Klammerbemerkung, wurde zwischen 1870 und 1878 gegraben, war damals Teil des linksemsischen Kanalsystems und steht heute unter Denkmalschutz. Auf der Fahrt in die Niederlande passiert man vier Schleusen und zwölf Brücken, davon zehn Klapp- und Drehbrücken. Sie werden alle zentral von der Schleuse I aus in Haren bedient.
Die Schleuse ist über Funk nicht erreichbar, nur über Telefon. Wir melden kurz vor dem Auslaufen aus dem Hafen beim Schleusenwärter an. Vom Hafen bis zur Schleuse sind es fünf Minuten Fahrt. Wir wollen sicherstellen, dass die Schleuse offen und die Fussgängerbrücke gehoben ist, denn die Einfahrt in die Schleuse ist nicht ganz ohne. Vorsicht: Erstens muss man quer zur Strömung in die Schleuse einfahren und zweitens liegt in der Schleuseneinfahrt – genau dort, wohin Dich die Strömung treibt – das Passagierschiff «AMISIA». Aber weder das Passagierschiff, noch die Schleuse noch unser Schiff nehmen Schaden – was ja eigentlich selbstverständlich ist.
Einmal auf dem Haren-Rütenbrock-Kanal, läuft alles wie am Schnürchen, zentral gesteuert von der Schleuse Haren I aus. Die Brücken werden bei Annäherung gehoben, die Schleusen stehen alle offen und nach zweieinhalb Stunden erreichen fahren wir in die niederländische Grenzschleuse ein.
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Sechs Hebebrücken später machen wir in Emmer Compascuum fest. Hier lagen wir bereits im Juni 2013, als wir die Reise in entgegengesetzter Richtung machten.
Zu Emmer Compascuum fällt uns nichts ein, das Dorf ist ziemlich gesichtslos und im grauen Wetter wirkt alles noch eintöniger. Aber bevor wir uns der Fahrt nach Nieuw Amsterdam zuwenden, werfen wir noch einen letzten wehmütigen Blick auf unseren stolzen Flaggenstock, eigens für KINETTE in der Tukker-Werft zu Gorinchem gefertigt aus bestem rostfreien Stahl.
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Wie wir am Morgen des 12. April mit stolz flatternder Flagge in Emmer-Compascuum ablegen, können wir nicht ahnen, dass unserem Flaggenstock bald ein jähes Ende beschieden sein würde.
Man fährt von Emmer Compascuum aus um mehrere Ecken herum auf ehemaligen Torfstich-Kanälchen zum Veenpark-Museum, mitten in einem Naturschutzgebiet, wo die Geschichte des Torfstechens – in vergangenen Zeiten die Haupteinnahmequelle in dieser Gegend – erzählt wird. Leider regnet es in Strömen, sodass wir hier, entgegen unserer ursprünglichen Absicht, keinen Halt einlegen.
Unmittelbar nach dem Veenparkmuseum folgt eine kleine, reichlich kurze Schleuse mit einer Hebebrücke. Normalerweise stehen Brücke und Schleuse offen und man kann einfach durchfahren. Normalerweise. Aber heute muss man schleusen, vermutlich wegen des Wasserstandes.
Der Schleusenwärter, der gar kein richtiger Schleusenwärter, sondern ein Museumsparkangestellter ist, hebt die Brücke und wir fahren in die offene Schleuse ein. Wie er die Brücke, welche den hintersten Teil der Schleuse überspannt, zu senken beginnt, rufe ich nach hinten: «Reicht das überhaupt oder soll ich noch etwas nach vorne fahren?» «Das reicht gut und wenn nicht, hören wir es ja dann!» lacht er fröhlich. Er hat noch nicht ganz fertig gelacht, verkündet ein hässliches Geräusch, dass sich der «Schleusenwärter» gründlich verschätzt hat.
Der Fuss des Flaggenstocks ist ausgerissen, der Stock selbst verbogen. «Das kann man ja gut wieder zurechtbiegen» meint der Schleusenwärter unvermindert fröhlich, sieht dann aber Christians Miene und beeilt sich dann, anzufügen: «Selbstverständlich übernehmen wir den Schaden!»
Bei unserer Ankunft in Nieuw Amsterdam erscheint dann tatsächlich ein Angestellter der Provinzverwaltung und füllt ein Schadenformular aus, nachdem sich niemand hat finden lassen, der das kräftige Stahlrohr wieder hätte gerade biegen können.
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Die anschliessende Strecke auf dem neu gegrabenen Koning-Willem-Alexander-Kanaal sind wir Ende Mai 2013, noch vor der offiziellen Eröffnung, gefahren. Damals war alles noch braun und vegetationslos.
Wäre nur das Wetter besser, würde alles noch viel freundlicher wirken. Aber es regnet unvermindert Bindfäden.
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Wir legen erst in Nieuw Amsterdam an, das einige solide Anlegestege mit Strom (aber weniger als 5 Ampère!) sowie alle notwendigen Einkaufsmöglichkeiten zu bieten hat. Seit Weener konnten wir uns nicht mehr verproviantieren, sodass wir hier einen Ruhetag einlegen.
Wir holen unsere Fahrräder vom Achterdeck und unternehmen eine Radtour nach Klazienaveen. Dort, so haben wir gelesen, gibt es heute die allerersten frisch gestochenen Spargeln.
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In Nieuw Amsterdam liegen wir direkt unterhalb der Kerkbrug an einem soliden Steg. Der Liegeplatz ist gratis, die Liegedauer ist auf 14 Tage beschränkt. Ein paar hundert Meter weiter liegt ein zweiter, langer Steg, an dem wir eine Yacht erkennen können. Dass dahinter die «Weltevreden» mit unseren niederländischen Freunden Andries und Rita liegt, mit denen zusammen wir einige Winter in Roanne verbrachten, sehen wir nicht. Erst als wir am nächsten Morgen ablegen und am Steg vorbeifahren, erkennen wir die «Weltevreden» (Das heisst übrigens nicht, wie man meinen könnte, «Weltfrieden», sondern prosaischer «Sehr zufrieden»).
Andries und Rita sind unterwegs nach Coevorden, wo ihr Schiff einen neuen Unterwasseranstrich erhalten soll.
Wir haben uns sicher fünf Jahre nicht mehr gesehen, und es gäbe natürlich viel zu erzählen, aber die uns begleitende Brückenwärterin wartet und so brechen wir unseren Schwatz ab und auf in eine ungewisse Zukunft. «Aufbruch in eine ungewisse Zukunft» deshalb, weil von einer Minute auf die andere dichter Nebel aufsteigt.
Die Brücke vor uns ist kaum zu erkennen und trübselig wie das Wetter schauen uns einige Schafe auf dem Deich zu.
Wenn Sie die Fotos in unserem Bericht 118 gesehen haben, kommt Ihnen die Szenerie bekannt vor und sie kann Sie nicht erschrecken. Uns auch nicht… Ungerührt fahren wir weiter. Schnell fahren kann man in diesen engen Torfstichkanälen ohnehin nicht und dass nichts entgegenkommt, wissen wir von der Brückenwärterin.
Nach fünf Stunden Fahrt erreichen wir Hoogeveen (zu deutsch: Hochmoor), ein altes Schifferdorf. Es ist bekannt für seine grossen Flohmärkte, die im Sommer jeden Donnerstag im ganzen Stadtzentrum stattfinden.
Der brandneue Schiffsanleger von Hoogeveen an der Hoogeveensche Vaart ist leer, er soll am kommenden Wochenende eingeweiht werden. Von hier aus ins Zentrum sind es mit dem Fahrrad fünf Minuten und dort findet man alle Einkaufsmöglichkeiten einer Stadt.
Aus dem Logbuch
- Weener. Moderner Sportboothafen mit allen notwendigen Einrichtungen sowie Alter Hafen für Traditionsschiffe. Kostenpflichtig. Das Gebiet ist strukturarm und das merkt man dem Städtchen auch an. Dennoch sind alle Einkaufsmöglichkeiten vorhanden. KINETTE hat hier den Winter 2015/16 verbracht und war sehr gut aufgehoben.
- Herbrum. Anleger des Ems Yachtclubs Lingen in einem Altarm der Ems bei DEK km 211. Strom und Wasser. Kostenpflichtig (1 Euro pro Meter Schiffslänge). Sehr ruhig und idyllisch. Hier sind schon Robben beobachtet worden, die vom Dollart her durch die Schleuse Herbrum «schleusten».
- Haren. Endpunkt (resp. Beginn) des Haren-Rütenbrock-Kanals. Liegemöglichkeit entweder am 60 m langen Steg am linken Ufer oberhalb Schleuse I des Haren-Rütenbrock-Kanals (keine Einrichtungen, Liegegeld für unsere Länge € 16, viele Klampen fehlen. Im Frühling 2016 wirkte der Steg verwahrlost) oder im neuen Emspark-Yachthafen an der Ems. Liegegeld für uns € 24, dafür Strom (16 Ampère!) und Wasser inbegriffen. Moderner Yachthafen, neu WiFi. In Haren alle Einkaufsmöglichkeiten. Markt am Freitag. Sehenswert: Schifffahrtsmuseum. Gastrotip: «Steakhouse» beim Dom. Ergänzung 2016 zum Steakhouse: Gleiche Leitung, aufmerksamer Service, gutes Preis-/Leistungsverhältnis und deshalb immer noch unsere Empfehlung.
- Emmer Compascuum. Stads-Compascuumkanaal. Liegeplätze vor der Paul Krugerbrug am rechten Ufer (sehr langer Quai mit Pfählen) 1 Stromkasten. 1 kWh = 1 Euro, lediglich 4 Ampère. Kein Liegegeld. ALDI und C1000 in Fussdistanz. Weitere gleich ausgestattete Liegeplätze vor der Schniedersbrug. Zwischen der De Koepelbrug und der Schleuse Jansenverlaat am linken Ufer Liegeplätze mit Strom und Wasser
- Nieuw Amsterdam. Gute Anlegemöglichkeiten zwischen Westerveensche brug und het Vonder. Liegedauer max. 14 Tage. Gratis. Strom 1 kWh = 1 Euro (ca. 4 Ampère). Gute Einkaufsmöglichkeiten.
- Hoogeveen. In Hoogeveen selbst hat es unseres Wissens keine Liegemöglichkeiten. Hingegen komfortable Liegeplätze am rechten Ufer unterhalb der Nieuwebrugsluis. Gratis. Strom (1 kWh = 1 Euro), Wasser, Toiletten, Duschen. Fünf Minuten vom Zentrum mit dem Fahrrad. Alle Einkaufsmöglichkeiten einer Stadt. Weitere Liegeplätze im Schatten alter Bäume oberhalb der Noordscheschutsluis.