Weener – Herbrum
(Ems, Dortmund-Ems-Kanal; 2 Schleusen, 26,77 Kilometer)
Auf unserer Homepage haben wir einen Link zum Inserat des Schiffsmaklers Jitse Doeve aufgeschaltet, den wir mit dem Verkauf unseres Schiffes beauftragt haben. Daraufhin haben wir mehrere Zuschriften erhalten im Sinne von «Was, Ihr wollt Euer Schiff verkaufen?». Stellvertretend für diese Zuschriften ist diese Mail:
Ich wollte Ihnen mitteilen, dass ich doch sehr betroffen und überrascht bin über den Verkauf Ihres so gepflegten Schiffes. Ich hoffe, dass nichts Schlimmes vorliegt, das Sie zu dieser Entscheidung veranlasst hat. Ich war immer ein treuer Leser Ihrer Reiseberichte und aller sonstigen Berichte über Kauf, Reparaturen etc. Jetzt ist das Schiff durch die letzte Instandsetzung ja so topp, dass die Kinette ein Edelstein geworden ist. Immer habe ich verfolgt, wie Sie mit Herzblut an die Arbeit und das Fahren gingen. Ich bin auch 10 Jahre in der Berufsschifffahrt unterwegs gewesen und habe das Rheinschifffahrtspatent von Basel bis zum Meer. Gerade deswegen habe ich immer verfolgt, wo Sie denn gerade sind und habe auch viel aus Ihren Reiseberichten gelernt und war bestens informiert und unterhalten. Wir haben uns auch in Potsdam in der Marina am Tiefen See mal getroffen und uns unterhalten. Ich war immer begeistert von Ihrem Handeln. Alle Reparaturberichte habe ich sehr interessiert verfolgt und kann sagen, dass der Käufer ein absolut gepflegtes Schmuckstück erhält. So etwas wird ja sonst gar nicht angeboten. Ich wünsche Ihnen und Ihren Fans, zu denen ich mich auch gerne zähle, dass die Kinette in gute Hände kommt und Ihr Erbe weiter mit Liebe gepflegt wird. Alles Gute für Sie und Ihre Frau.
Vorweg zur Beruhigung unserer zahlreichen Leserinnen und Leser: Es liegt glücklicherweise nichts Schlimmes vor. Aber es trifft natürlich zu, dass man sich nicht leichtfertig von einem Schiff wie «Kinette» trennt, dessen Foto sogar das Titelblatt englischer Lehrbücher sowie englischer und französischer Bootsmagazine ziert. Für einen solchen Schritt muss es ernsthafte Gründe geben.
Was also veranlasst uns, einen renommierten Schiffsmakler mit dem Verkauf unseres Schiffes zu beauftragen? Zwei Gründe: Erstens sind wir jetzt das dreizehnte Jahr unterwegs und werden auch nicht jünger – auch wenn Schifffahren mit allem Drum und Dran körperlich und geistig fit hält.
Der zweite (und hauptsächliche) Grund sind unsere Enkel. Als wir 2004 das Schiff kauften, waren unsere beiden erwachsenen Kinder noch ohne Partner und weit und breit kein Nachwuchs in Sicht. Wir konnten deshalb ohne schlechtes Gewissen, Raben(gross)eltern zu sein, ganzjährig auf dem Schiff leben, damals in Frankreich und den Niederlanden. Unsere Kinder verbrachten ihre Ferien und manchmal auch die Festtage bei uns. Aber 2011 kam unsere erste Enkelin zur Welt und seither sind noch zwei Enkel dazu gekommen, der vierte ist unterwegs. Wir wollten nicht, dass wir einmal bei unseren Kindern zur Tür hereinkommen und deren Kinder fragen leicht befremdet: «Mami, Papi, wer sind denn die beiden alten Leutchen?» Deshalb begannen wir, die Winterhalbjahre in unserer Absteige in der Schweiz zu verbringen. Hier konnten wir den familiären Kontakt wunderbar pflegen. Das machte aber den Abschied im Frühling jeweils nur umso schwieriger. Zwar sind die drei älteren Enkel jetzt altersmässig mit drei, dreieinhalb, und sechseinhalb Jahren so weit, dass sie zu uns aufs Schiff in die Ferien kommen können – aber das sind dann halt eben nur die Ferien.
Auch wenn es zutrifft, dass ein so gut unterhaltenes und ausgerüstetes Schiff wie Kinette nur selten angeboten wird, hoffen wir doch insgeheim, dass sich nicht von heute auf morgen ein Käuferpaar findet, sodass wir unseren Plan für dieses Jahr (Oldenburg – Bremen – Minden – Hannover – Lübeck – Hamburg) noch in die Tat umsetzen können.
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Aber wir sind immer noch in Weener – über drei Wochen, nachdem wir nach der Winterpause wieder an Bord gingen. Kapitän Frank Kordbarlag vom Frachtschiff M.S. Einigkeit mailt schon ganz beunruhigt: «Ich sehe, Ihr seid noch in Weener. Will Kinette nicht so richtig? Falls Ihr etwas Unterstützung braucht, ich habe gerade 3 Schweisser und 1 Maschinenmann bei mir.» Wenn Frank schreibt, er «sehe» uns, so hat das natürlich mit dem AIS zu tun, dem Automatic Information System, das unsere Position laufend und für Jedermann sichtbar übermittelt. Das Beispiel zeigt übrigens, wie gross die Hilfsbereitschaft in der «schwimmenden Gemeinschaft» ist.
Dass wir so lange in Weener liegen bleiben, hat mehrere Gründe: Erstens die Weeneraner Schweizerkolonie, zweitens die Kultur, drittens Unterhaltsarbeiten und viertens das Scheisswetter. In dieser Reihenfolge!
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Die Weeneraner Schweizerkolonie besteht (soweit uns bekannt) aus Hans und Erika Scheidegger. Veritable Auslandschweizer, die sich ein Haus im Marinapark mit eigenem Bootsliegeplatz gekauft haben.
Der Marinapark ist nicht weit entfernt vom Alten Hafen, wo Kinette den Winter verbracht hat. Hans und Erika hatten beim Vorbeigehen jeweils ein aufmerksames Auge auf Kinette. Als einmal das Landstrom-Kontrolllicht nicht brannte, informierten sie uns sofort und der Hafenmeister schaltete den Landstrom, den er versehentlich ausgeschaltet hatte, wieder ein.
Natürlich pflegen wir nach unserer Ankunft in Weener die sozialen Kontakte mit unseren Landsleuten, die uns mit vielen wertvollen Tipps versorgen.
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Weener selbst hat einen etwas verstaubten Charme. Die vielen leerstehenden Ladengeschäfte wirken auch nicht gerade einladend. Immerhin ist Weener ein Zentrum des Orgelspiels mit dem Organeum, einer Art Orgel-Konservatorium.
Wenn wir schon von verstaubtem Charme sprechen, dürfen wir das örtliche Heimatmuseum nicht unerwähnt lassen. Ausstellungsdidaktisch ist es in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts stehen geblieben. Aber es vermittelt einen packenden Einblick in das unglaublich harte Leben der Siedler, welche vor vielen hundert Jahren dieses Land dem Meer abgerungen und urbar gemacht haben. Lange Zeit war Ostfriesland niederländisch. Davon zeugen heute noch alte Hausinschriften in niederländischer Sprache. Übrigens erinnert auch das platte ostfriesische Land an das ebenso platte Land im niederländischen Friesland.
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Von Weener aus erreicht man mit dem Fahrrad innert einer knappen halben Stunde das Hafenstädtchen Leer. Diese an der Leda, einem Zufluss der Ems gelegene Stadt gelangte im Mittelalter dank Schifffahrt und Handel zu grossem Reichtum. Die Leeraner haben es verstanden, entgegen dem Zeitgeist des 20. Jahrhunderts das alte Stadtbild zu erhalten. Heute ist in der Altstadt ein Haus gepflegter als das andere.
Im traditionsreichen Weinhandelshaus Wolff (fünfte Generation!) haben wir übrigens einen hübschen Spruch in Plattdeutsch gefunden:
Söte Melk is för de Kinner
Sure Melk is för de Swien
Water supen Peer* und Rinner
Doch för uns gaff Gott de Wien(Süsse Milch ist für die Kinder
Saure Milch ist für das Schwein
Wasser saufen Pferd‘ und Rinder
Doch für uns gab Gott den Wein)
*Das plattdeutsche „Peer“ haben wir ursprünglich mit „Bär“ übersetzt und mit einem Fragezeichen versehen, weil es eigentlich keinen Sinn ergab. Leser Hartmut Blase hat uns aber – siehe „Kommentare“ – darauf aufmerksam gemacht, dass „Peer“ im Plattdeutschen „Pferde“ bedeutet. Danke, Hartmut!
Wer von Ostfriesland spricht, spricht vom Tee, denn das Eine ist ohne das Andere nicht denkbar. Der Tee nach ostfriesischer Art wird richtiggehend zelebriert: Zuerst ein Aufguss, dann Abgiessen in die Teekanne, heisses Wasser dazu und dann in die Tasse. Hinzu kommen «Kluntjes» (Kandiszuckerstückchen) und ein paar Tröpfchen Sahne, welche gegen den Uhrzeigersinn dem Tassenrand entlang in den Tee geträufelt werden müssen.
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Unterhaltsarbeiten, um zum dritten Grund unseres verlängerten Aufenthaltes zu kommen, sind auf einem Schiff natürlich ein Dauerthema. Aussen ist das Schiff nach unserem Aufenthalt beim Schiffsmaler in tadellosem Zustand, was den Stahl betrifft. Das Steuerhaus, die Luken, Türen und Oberlichter aus Teak verlangen indessen nach regelmässiger Pflege. Zum Thema Pflege von Teakholz gibt es drei Denkschulen. Die erste lässt das Teak unbehandelt, die zweite lackiert es und die dritte ölt das Holz. Lässt man Teakholz unbehandelt, nimmt es zwar keinen Schaden, wird aber grau. Mit Lackieren haben wir auf die Dauer keine besonders guten Erfahrungen gemacht. Mit dem Wechsel von Hitze und Kälte wird Lack spröde. In die Mikrorisse dringt Feuchtigkeit und das Holz verfärbt sich. Wir haben deshalb im letzten Jahr erstmals begonnen, das Teak zu ölen, nachdem wir den Lack vollständig entfernt hatten. Es gibt spezielle Kriech-Öle für Teak, welche tief ins Holz eindringen. Am Steuerhaus haben wir beispielsweise zwanzig Ölaufträge angebracht, bis das Holz völlig gesättigt war. Das auf diese Weise behandelte Steuerhaus hat den harten ostfriesischen Winter völlig unbeschadet überstanden. Wir selbst verwenden als Teaköl Owatrol D1 und für einen glänzenden Finish Owatrol D2.
Die Decken der Achterkajüte und Salon brauchten ebenfalls einen neuen Anstrich. Davor haben wir lange zurückgeschreckt. Malen im Innenbereich mit Schleifen (Schleifstaub!) und Abdecken war für uns eine Horrorvorstellung. Holländische Freunde machten uns auf das Produkt «Schilderschoon» aufmerksam, eine Kombination von Reinigung und Haftgrund. Und siehe da, nach dieser Vorbereitung geriet das Streichen der Decken zur reinen Freude.
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Das Wetter im April und Mai war auch nicht so, dass wir unbedingt die Leinen möglichst schnell hätten loswerfen wollen. Den verlängerte Aufenthalt in Weener benützten wir zu einer ausgedehnten Wanderung im einsamen Hesse Park. Dieser rund 30 Hektaren grosse Naturpark geht auf eine der bedeutendsten Baumschulen Deutschlands mit einer ursprünglichen Fläche von 200 ha zurück. Nach der Aufgabe der Baumschule 1992 wurde aus den wertvollen Baumbeständen ein Arboretum. Der Hessepark ist zwar Privatbesitz, aber zu gewissen Zeiten öffentlich zugänglich. Sumpfgebiete, Lichtungen und alte Baumbestände machen den Park zu einem Refugium für seltene Vogelarten, Insekten und Pflanzen. Beweidet wird er von einer Herde scheuer Wildpferde. Sie sorgen dafür, dass die Wiesen und Lichtungen nicht verbuschen.
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In der zweiten Maihälfte bessert das Wetter und es hält uns nichts mehr in Weener. Wir vereinbaren mit dem Schleusenwart, dass wir anderthalb Stunden nach Niedrigwasser auf die Ems hinaus schleusen wollen. Dann können wir mit dem Tidenstrom nach Herbrum zu Berg fahren. Weil die Ems für die Meyer Werft in Papenburg viel zu tief ausgebaggert wird, kommt die Flut zu schnell herein und bringt enorm viel Schlick mit. Die daraus resultierenden Probleme haben wir im letzten Bericht beschrieben.
Die Ems ist auf der Tidenstrecke von Weener nach Herbrum noch Seeschifffahrtsstrasse, weshalb wir einen Begleiter mit entsprechendem Patent benötigen. Unser Schifferkollege Hilmar Bockhacker, erster Vorsitzender der Deutschen Traditions Motorboot Vereinigung (DTMV), der das Revier wie seine Hosentasche kennt, begleitet uns.
Die Schleuse Herbrum ist ein gefürchtetes Nadelöhr, weil der gesamte Berufsverkehr vom Dollart her mit der Tide die Ems hinauf fährt und alle Schiffe mehr oder weniger gleichzeitig vor der Schleuse eintreffen.Wir haben Glück, weil uns der Schleusenwärter bereits bei der zweiten Schleusung zusammen mit einem Tanker schleust.
Ab Herbrum fahren wir auf dem Dortmund-Ems-Kanal. Etwa einen Kilometer nach der Schleuse Herbrum liegt ein idyllischer Altarm der Ems, in welchem der Ems-Yachtclub Lingen eine kleine Steganlage unterhält. Hier verbringen wir die Nacht. Am folgenden Tag werden wir auf dem knapp 70 km langen Küstenkanal nach Oldenburg fahren.
Aus dem Logbuch:
- Weener. Moderner Sportboothafen mit allen notwendigen Einrichtungen sowie Alter Hafen für Traditionsschiffe. Kostenpflichtig. Das Gebiet ist strukturarm und das merkt man dem Städtchen auch an. Dennoch sind alle Einkaufsmöglichkeiten vorhanden (Grosser EDEKA, Combi sowie Baumarkt Holz+Bau). Jeweils am Donnerstag Fischverkäufer vor dem EDEKA. Heimatmuseum, Orgelmuseum. Grosses Freibad (offen von Mitte April bis Mitte September) mit beheiztem Schwimmbecken, Riesenrutschbahn und Dampfsauna. Busverbindungen in alle Richtungen, Bahnverbindung nach Groningen. Einkaufstipp: Die in Gläsern nach Grossmutters Art eingemachten Fleischkonserven des Metzgers Leggedör.
- Herbrum. Anleger des Ems Yachtclubs Lingen in einem Altarm der Ems bei DEK km 211. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Sehr ruhig und idyllisch. Hier sind schon Robben beobachtet worden, die vom Dollart her durch die Schleuse Herbrum «schleusten».
Hallo Charlotte, hallo Christian,
ich hoffe, es gefällt euch in Niedersachsen und Bremen. Zu Eurem Fragezeichen Bär (?) folgende Antwort: Lt. der Übersetzungsseite http://www.plattdeutsches-woerterbuch.de ist Peer die Mehrzahl von Peerd, also Pferd. Das macht insofern Sinn, als ja auch die Rinder in der Mehrzahl vorkommen.
Viele Grüße aus dem nicht ganz so nördlichen Ostwestfalen, wo aber auch noch „Platt“ gesprochen wird.
Hartmut