Bremen – Verden – Nienburg – Minden
(Unterweser, Mittelweser, Aller, Mittelweser, Mittellandkanal; 153.5 km; 8 Schleusen)
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Wir liegen in Bremen im Europahafen wie in Abrahams Schoss, während sich orkanartige Stürme, schwere Gewitter und heftige Regenfälle über der Region austoben. Aber diese Wetterkapriolen können uns nichts anhaben, denn Kinette dümpelt unbeeindruckt auf dem Wasser. Das ist der unschlagbare Vorteil der christlichen Schifffahrt: Man schwimmt obenauf. Hoffentlich.
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Aber nicht nur Kinette dümpelt, auch die Tage in Bremen dümpeln vor sich hin, selbst wenn sie ausgefüllt sind mit Museumsbesuchen, Kirchturmbesteigungen, Schnapsbrennereien und Silbermanufakturen. Irgendwann ist ausgedümpelt und es zieht uns weiter die Mittelweser hinauf nach Minden. Am 1. Juli laufen wir aus dem Europahafen aus und biegen hart über Backbord auf die Unterweser ein. Diese ist hier noch Seeschifffahrtstrasse, weshalb wir einen entsprechenden Patentinhaber benötigen. In unserem Falle ist es eine Patentinhaberin, nämlich Corina Metschke. Sie ist wie wir Mitglied der DTMV, Binnenschifferin in der dritten Generation und arbeitet als Nautikerin beim Wasserstrassen- und Schifffahrtsamt Verden.
Eigentlich wäre Corinas Aufgabe bereits bei der Eisenbahnbrücke Bremen beendet gewesen, denn ab dort ist die Weser Binnenschifffahrtstrasse und auf solchen gilt Christians Kapitänspatent. Als kleines Kuriosum am Rande: Bestandene Hochseekapitäne dürfen mit ihrem Patent auf Binnenschifffahrtstrassen nicht fahren, nur auf Seeschifffahrtstrassen und auf hoher See.
Aber Corina und ihr Partner Thomas Waldtmann lassen es sich nicht nehmen, mit uns auf der idyllischen Mittelweser – die nicht streckenpatentpflichtig ist – weiter stromaufwärts mitzufahren. Nach rund fünf Stunden Fahrt biegen wir in die Aller ein, auf welcher wir gegen muntere Strömung einige Kilometer zu Berg fahren. In Verden finden wir einen Liegeplatz, wo wir die Nacht verbringen.
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Verden ist ein beinahe übertrieben sauber herausgeputztes Städtchen und gilt als wichtiges Zentrum der Zucht von Hannoveraner Pferden. Ein dominantes Gebäude ist der Dom, der auf das 9. Jahrhundert zurück geht.
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Am folgenden Tag fahren wir zuerst ein Stück zurück, nämlich die Aller zu Tal bis sie in die Mittelweser mündet und dann gegen die sanfte Strömung zu Berg.
Die Mittelweser ist hier kurvenreich und einige Biegungen sind so eng, dass ein Begegnungsverbot gilt. Vor den entsprechend ausgeschilderten Strecken meldet man sich am Funk und spricht sich mit allfälligen Talfahrern – welche vorfahrtsberechtigt sind – ab.
Auf Strömungsgewässern ist der Aussenbogen bei der Talfahrt am schnellsten, während auf dem Innenbogen für den Bergfahrer am wenigsten Gegenströmung herrscht. In (stromabwärts gesehen) Rechtskurven fährt der Talfahrer daher auf der linken, der Bergfahrer auf der rechten Seite. Dieser «Linksverkehr» wird jeweils mit dem Hochklappen der Blauen Tafel mit Blinklicht angezeigt.
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In Nienburg machen wir einen kleinen Zwischenhalt und besichtigen die dort liegende «Ahoy» von Corina Metschke und Thomas Waldtmann. Die 1892 als Dampfschlepper in Bydgoszcz (Polen) gebaute «Ahoy» blickt auf eine wechselvolle und abenteuerliche Geschichte zurück. Corina und Thomas haben die «Ahoy» liebevoll restauriert.
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Auf einem sanft strömenden Fluss in idyllischer Landschaft unter dem beruhigendem Stampfen des Schiffsdiesels zu fahren, ist eines der schönsten Erlebnisse, welches die Binnenschifffahrt zu bieten hat, zumindest in unseren Augen. Auch an diesem zweiten Tag fährt Thomas Waldtmann mit, der diese Flussfahrt offensichtlich so geniesst wie wir.
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Unsere nächste Station ist Nienburg und dort erwarten uns Margrit und Jürg Haupt. Sie haben in Sneek ihre Motoryacht «Moule» verkauft, sind auf der Rückfahrt in die Schweiz und haben uns auf Marinetraffic gesehen. Wir verbringen zusammen einen gemütlichen Abend im «Ratskeller» zu Nienburg, den man allerdings – kulinarisch betrachtet – am besten sofort wieder vergisst. Wenn hinter einem Gasthof eine «Betriebs-GmbH» steht, darf man nichts Besseres erwarten.
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Von Nienburg aus fahren wir bis ins Oberwasser der Schleuse Petershagen, wo wir die dritte Nacht auf der Mittelweser verbringen.
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Von hier aus sind es nur noch rund fünfzehn Kilometer bis zur Schachtschleuse von Minden. Die Schachtschleuse mit einem beeindruckenden Hub von 13,5 Metern wurde in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg mit dem Mittellandkanal beim Wasserstrassenkreuz Minden gebaut als Nordabstieg zur Weser. Die Schleusenkammer ist 85 Meter lang und 10 Meter breit.
Vier Sparbecken auf unterschiedlichem Niveau sorgen dafür, dass von der Füllung von 7’300 m³ beim Hinunterschleusen vom Mittellandkanal in die Weser nur 4’000 m³ in die Weser abgelassen werden.
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In Minden selbst biegen wir westlich des Wasserstrassenkreuzes hart über Steuerbord in den Mittellandkanal ein. Auf der Mittelweser gibt es praktisch keine Anlegeplätze für Schiffe unserer Grösse. Improvisieren ist angesagt: Entweder man übernachtet mit Erlaubnis des Schleusenwärters im Unter- oder Oberwasser einer Schleuse. Oder man geht in einem der zahlreichen Altarme der Mittelweser vor Anker.
In Minden hingegen sind wir, was Liegeplätze für Schiffe über zwanzig Meter Länge betrifft, wie übrigens auf dem ganzen Mittellandkanal, sozusagen im Paradies. An den beinahe unendlich langen Kaden der Berufsschiffsfahrt können wir entweder ganz am Anfang oder dann ganz am Ende anlegen und zwar völlig legal. Kleinfahrzeuge, also Schiffe unter 20 m Länge, dürfen hier ausdrücklich nicht liegen. Für sie gibt es jeweils vor und nach den Kaden der Berufsschifffahrt relativ kurze Liegeplätze.
Minden wird in den nächsten Tagen unser Ausgangspunkt für Exkursionen, zu Fuss, per Fahrrad, per Museumsbahn und per Fahrgastschiff in die nähere und weitere Umgebung sein. Die Themen des nächsten Berichts – Sie merken es – stehen schon fest.
Aus dem Logbuch:
- Auf der Mittelweser gibt es wohl einige Yachthäfen für Motoryachten. Liegeplätze für grössere Schiffe gibt es praktisch nicht. Man kann mit Zustimmung des Schleusenwärters im Unter- oder Oberwasser einer Schleuse übernachten. Alternativ kann man in den idyllischen Altarmen der Weser, jeweils vor dem Schleusenkanal, vor Anker gehen.