Minden – Haste – Hannover
(Mittellandkanal; 64 km; keine Schleuse, keine Hebe- oder Drehbrücke)
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Wir liegen, wie bereits im letzten Bericht erwähnt, in Minden am Mittellandkanal. Minden kann man am ehesten mit einem langgezogenen Strassendorf vergleichen, wo auf beiden Seiten der Hauptstrasse unzählige Lastwagen parkiert sind. Minden ist nämlich ein Zentrum der Berufsschifffahrt sowie Heimathafen von rund hundert Frachtschiffen.
Wenn wir schon von der Berufsschifffahrt sprechen: Frank und Vilta Kordbarlag liegen mit der «MS Einigkeit», mit der wir seinerzeit von Berlin bis Fürstenwalde mitfahren durften, ebenfalls in Minden. Wiedersehen mit Freunden auf dem Wasser ist immer wieder schön.
Der Mittellandkanal durch Minden ist deshalb über mehrere Kilometer gesäumt von Liegeplätzen für die Berufsschifffahrt. Das wirkt vermutlich auf viele Freizeitkapitäne abschreckend, weshalb sie in Minden keinen Aufenthalt einlegen. Zu Unrecht.
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Wegen des schönen Wetters verschieben wir Stadtbesichtigung und Museumsbesuche auf später. Mir dem Fahrrad unternehmen wir eine ausgedehnte Tour der Oberweser entlang. Am markanten Weserdurchbruch Porta Westfalica bahnt sich die Weser zwischen Wiehengebirge im Westen und Wesergebirge im Osten ihren Weg in die Norddeutsche Tiefebene. Überragt wird Porta Westfalica vom insgesamt 88 m hohen Kaiser-Wilhelm-Denkmal.
Dieses wurde nach dem Tode von Kaiser Wilhelm I. (1888) in den Jahren 1892 bis 1896 erbaut. Scheut man die (mit dem Fahrrad schweisstreibenden) 170 m Höhenunterschied von der Weser bis zum Denkmal hinauf nicht, so wird man mit einer eindrücklichen Aussicht belohnt.
Auffälligstes Gebäude dieser Aussicht ist übrigens das imposante ehemalige Hotel «Zum Kurfürst» in Porta Westfalica. Heute ist es ein äusserlich leicht heruntergekommenes Etablissement, das uns ein Einheimischer mit entwaffnender Offenheit als «Puff» bezeichnet hat.
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Weiter stromaufwärts führt ein sehr schöner Radweg entlang der Oberweser nach der Kurstadt Bad Oeynhausen. Wunderschön ist der direkt an die Innenstadt grenzende Kurpark. Die klassische Parkanlage entstand 1853 und beherbergt prächtige Gebäude: Eine säulengeschmückte Wandelhalle, das Theater im Park und das ehemalige Kurhaus.
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Auf der Rückfahrt mit dem Fahrrad gelangen wir an den Weserbogen. Die Weser kann man hier mit einer kleinen Fussgänger- und Radfahrerfähre überqueren. Die Fähre selbst stammt aus dem Jahre 1928. Angetrieben wird sie von einem luftgekühlten Dreizylinder Deutz-Diesel aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Um in der starken Strömung überhaupt manövrieren zu können, hat die kleine Fähre zwei hintereinander angeordnete Schiffsschrauben, welche je über einen Kardan angetrieben und manuell um 360 Grad gedreht werden können. Simpel, narrensicher und wirkungsvoll. Die Gelassenheit, mit welcher der Fährmann, ein altgedienter Seemann, die Fähre in der Strömung wendet, um gegen die Strömung anlegen zu können, ist jedenfalls beeindruckend.
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An einem schönen Juli-Sonntag fahren wir mit dem Passagierschiff auf dem Mittellandkanal nach Südhemmern. Eine Liegestelle, die diesen Namen verdient, gibt es nicht. Ein in die Spundwand-Abdeckung eingelassener Ring und ein einziges Tau müssen genügen(!).
Zu Fuss geht es zur historischen Windmühle von Südhemmern, welche von einem Verein von Freiwilligen unterhalten wird. Nachdem sich das Fahrgastschiff entleert hat, herrscht rund um die alten Gebäude der Kornmühle fröhliches Biergarten-Treiben.
Etwas weniger beachtet wird, dass der örtliche Heimatverein im Müllerhaus altes Handwerk zeigt: Flachsverarbeitung, Spinnen, Weben und Zigarrenmachen. Windmühlen zum Kornmahlen sind offensichtlich keine niederländische Exklusivität.
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Für einen Dampflokfan wie Christian ist eine Fahrt mit der Museums-Eisenbahn Minden ein absolutes Muss. Diese Museums-Eisenbahn mit dem berühmten «Preussenzug» zählt zu den älteren Museumseisenbahnen Deutschlands. Gefahren wird auf den Strecken der Mindener Kreisbahnen und der Wittlager Kreisbahn. Von Südhemmern zurück nach Minden fahren wir deshalb mit der Museumseisenbahn, vorbei an Kornfeldern, wo bereits Dreschmaschinen unterwegs sind.
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Man kann nicht nur mit Windkraft Korn mahlen, sondern auch mit Wasserkraft. Das ist an sich banal. Aber dass die Strömung eines Flusses eine schwimmende Mühle antreibt ist ungewöhnlich. So ist denn die Schiffmühle in Minden die letzte in Deutschland. Ihr grosser Vorteil: Bei steigendem Wasserstand steigt sie mit.
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Zum Thema Wasserstand: als wir 2013 in Minden lagen, führte die Weser Hochwasser. Der Vergleich zweier vom gleichen Standort aus aufgenommener Fotos zeigt dies eindrücklich.
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Die in Deutschland für Betrieb und Unterhalt zuständige Behörde (Wasserstrassen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV) unterhält auf der gesamten Länge des Mittellandkanals Liegestellen für die Berufsschifffahrt. Meistens befindet sich am Ende einer solchen Liegestelle auch noch eine ca. 30 m lange Kade «Nur für Kleinfahrzeuge». Damit sind Boote unter 20 m gemeint. Die Wasserschutzpolizei wacht unerbittlich darüber, dass sich kein Kleinfahrzeug zu den «Grossen» verirrt und umgekehrt. Zum guten Ton für Schiffe wie das unsrige – über 20 m, aber nicht Berufsschiff – gehört es, dass man sich ganz am Anfang oder dann ganz am Ende einer der über 500 m langen Kaden hinlegt.
An manchen dieser Liegestellen befinden sich Stromzapfsäulen, an einigen Liegestellen kann man auch Wasser bunkern. Dazu benötigt man Wertkarten, welche man bei den verschiedenen Standorten der WSV kaufen kann.
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Man kann noch so lang an einem Ort bleiben, Alles hat man nie gesehen. Nach einer Woche in Minden zieht es uns dennoch weiter, wobei «weiter» distanzmässig etwas hoch gegriffen ist. Bereits nach 38 km legen wir an der langen Berufsschifffahrts-Kade in Haste (MLK km 138) an. Auf der Karte haben wir gesehen, dass sich in der Nähe ein sehr grosser Binnensee befindet, nämlich das Steinhuder Meer. Wetter und Distanz – rund 20 km – sind ideal für eine Fahrradtour. Auf dem Weg nach dem Steinhuder Meer bleiben wir etwas in der malerischen Kleinstadt Wunstorf hängen.
Sie beeindruckt mit alten Fachwerkhäusern, malerischen, verwinkelten Gässchen und einem leckeren Wurststand. Absoluter Anrater für alle Carnivoren: Die Fleischerei Ludowig.
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Auf der Fahrt von Wunstorf nach Steinhude glauben wir, eine Fata Morgana zu sehen: den Ayers Rock, den wir eigentlich in Australien wähnten. Ein vorsichtig befragter Eingeborener klärt uns auf, dass es sich um die Abraumhalde des Kalibergwerks von Tienberg handle.
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Das Steinhuder Meer ist ein Mekka für Segler und Kitesurfer. In Steinhude selbst reiht sich Aalräucherei an Eisdiele an Aalräucherei an Eisdiele. Uns erscheint es etwas sehr touristisch.
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Unser nächstes Etappenziel liegt noch näher. Nach nur 10 km Fahrt legen wir in Lohnde an. Unsere Freunde Nell und Frits van Geijtenbeek haben dort mit ihrer «Shell V» Halt gemacht. Sie sind von Berlin aus über die Müritz, die Elde, den Elde-Seitenkanal, die Elbe und den Elbe-Seitenkanal auf dem Mittellandkanal Richtung Holland unterwegs. Grosses Wiedersehen und ausgedehnter Erfahrungsaustausch – Klönschnack heisst das auf «Seemännisch».
Zu Lohnde noch eine kurze, schadenfreudige Anekdote. Direkt hinter uns ist noch ein Liegeplatz von rund 30 Metern, ideal für «Kaa» von Andrew Gall, der laut den van Geijtenbeeks auch hierher unterwegs ist. Ein Yachtskipper, dessen Nationalität wir fremdschämend verschweigen, nähert sich, um anzulegen. Frits van Geijtenbeek fragt ihn freundlich, ob er etwas weiter unten anlegen könne, er erwarte noch einen Freund mit einem 25-Meter-Schiff. «Ich lege an, wo ich will! Reservieren geht gar nicht!» schnarrt es von hoch oben herab. Frits, der sofort erkannt hat, dass die Poller viel zu weit auseinander sind für eine Yacht und die Leinen unseres neuen Freundes mit Sicherheit zu kurz, anerbietet sich mit ausgesuchter Höflichkeit, ihm beim Anlegen zu helfen und die Leinen abzunehmen. Das hat aber der Yachteigner mittlerweile auch bemerkt, schrumpft sichtlich zusammen und fährt kleinlaut weiter. Schadenfreude ist manchmal eine wahre Wohltat…
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In Hannover, bei MLK km 163,5 war einst die Arminius-Werft, später ein von einer Marinekameradschaft unterhaltener Sportboothafen und heute der Yachthafen Hannover. Hier hat uns der freundliche und unermüdliche Hafenmeister Lothar Brüssing einen Liegeplatz freigehalten. Wir haben uns eine Woche Hannover vorgenommen, auch weil wir hier auf Sohn, Schwiegertochter und Enkel warten, die dann bei uns eine Woche Ferien verbringen werden.
Alles Wissenswerte über die Hauptstadt Niedersachsens findet der interessierte Leser in den einschlägigen Reiseführern. Wir belassen es mit ein paar Eindrücken von den immensen Parkanlagen von Schloss Herrenhausen und der von Nikki de Saint Phalle gestalteten Grotte.
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Aus dem Logbuch:
- Minden. Liegeplätze für Kleinfahrzeuge gegenüber der Schachtschleuse MLK km 102.4 S-Ufer (gratis, ohne Einrichtungen) und bei einigen Liegestellen der Berufsschifffahrt. Sportboothafen des Mindener Yacht-Clubs MLK km 97.0 N-Ufer. Alle üblichen Einrichtungen. Minden bietet alle Einkaufsmöglichkeiten, kulturellen Einrichtungen und Sehenswürdigkeiten einer grösseren Stadt.
- Haste. MLK km 138. Liegeplatz für die Berufsschifffahrt mit Liegestelle für Kleinfahrzeuge. Keine Einrichtungen. In Haste «Netto» mit EDEKA-Produkten, Strassentankstelle.
- Lohnde. MLK km 148.5. Liegeplatz für Berufsschifffahrt und Kleinfahrzeuge. Keine Einrichtungen. Nähe zum Bunkerboot Firma DVS (vormals Arnemann). Roter und weisser Diesel, Trinkwasser. In Lohnde EDEKA.
- Hannover. Yachthafen Hannover. Gastliegeplätze, davon ein langer an der Ostkade. Kostenpflichtig. Strom, Wasser, Dusche, Toiletten, Waschmaschine, Dieseltankstelle (meist günstiger als Arnemann in Lohnde!), Fäkalienabsaug-Anlage. «Schifftaurant» mit gepflegter Küche. Bus und Strassenbahn in der Nähe. Die üblichen Lebensmittelgeschäfte in näherer Umgebung. Falls Sie Ihre Feuerlöscher wieder mal prüfen lassen müssen: Sven Homeier (Mobil 0172 54 59 208) kommt zum Hafen und ist absolut seriös.