Hannover – Edesbütteler Dreieck – Wolfsburg – Rühen
(Mittellandkanal; 94 km; 2 Schleusen, keine Hebe- oder Drehbrücke)
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Für eine Woche haben sich unser Sohn und unsere Schwiegertochter mit ihrem dreieinhalbjährigen Sohn angesagt. Am Tag nach ihrer Ankunft ist schönstes, warmes Sommerwetter. Wir können nicht wissen, dass an diesem Tag der Sommer stattfindet und in den kommenden Tagen die Sintflut über dem Harz niedergehen wird.
Unbeschwert besuchen wir also den Zoo in Hannover. Wir haben auf unseren Reisen schon einige zoologische Gärten besucht und sind auch regelmässige Besucher des Zürcher Zoos. Aber wir müssen neidlos anerkennen, dass wir bisher noch keinen Zoo besucht haben, der einem Vergleich mit dem Hannoveraner Zoo standhalten würde: Grosse parkähnliche Tiergehege, mehrere grosszügige Kinderspielplätze, regelrechte Erlebnislandschaften und viele Verpflegungsmöglichkeiten.
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Am 24. Juli beginnt es wie aus Kübeln zu regnen, am 25. Juli regnet es wie aus Kübeln weiter und am 26. Juli regnet es unvermindert wie aus Kübeln. Während Kinette unbeeindruckt auf dem Mittellandkanal schwimmt, treten in der Umgebung Flüsse über die Ufer, werden Keller unter Wasser gesetzt und ganze Innenstädte überschwemmt. Die Feuerwehren sind im Dauereinsatz und Sandsäcke werden Mangelware. Da wir nicht (mehr) auf einem strömenden Fluss fahren, sondern auf einem Kanal, können uns diese Wassermassen nichts anhaben, auch wenn wir uns schöneres Wetter gewünscht hätten. Wie es sich mit der globalen Klimaerwärmung verhält, wissen wir nicht. Was wir allerdings wissen ist, dass wir in diesen Julitagen die Heizung anwerfen müssen.
So ist es in unserem Schiff trocken und gemütlich warm. Wir kommen uns vor wie in der Arche Noah..
Die Schiffsmannschaft nimmt dankbar zur Kenntnis, dass während der ganzen 70 km langen Strecke von Hannover bis zum Edesbütteler Dreieck nur eine Schleuse zu passieren ist. Das Regenzeug ist nur bei dieser Schleuse sowie für das An- und Ablegemanöver gefragt.
Unsere Hinteregger Freunde Ruth und Peter mailen uns aus der Schweiz:
«Wie geht es euch beiden? Könnt ihr einen schönen Sommer im Norden Deutschlands erleben? Hier in der Schweiz macht der diesjährige Sommer seinem Namen wirklich alle Ehre. Bereits im Juni hatten wir eine längere Periode mit Hitzetagen. Anfangs Juli war es etwas verhaltener, für uns dennoch ganz passabel. Seit bald 3 Wochen haben wir Tage mit Temperaturen von öfters über 30 Grad und auch immer mal wieder starke Gewitter und Stürme.»
Die Frage, ob wir einen schönen Sommer im Norden Deutschlands erleben können, haben wir oben beantwortet: Nein.
Und um den meteorologischen Katastrophen etwas vorzugreifen: Bis Mitte August wird der Wetterbericht in Niedersachsen und Schleswig-Holstein Tag für Tag gleich lauten: «Sonne, abwechselnd mit Bewölkung, kühl, im Laufe des Tages Regenschauer und örtliche Gewitter.«
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Das oben erwähnte Edesbütteler Dreieck ist die Abzweigung des Elbe-Seitenkanals (ESK) vom Mittellandkanal (MLK). Hier ist eine lange Liegestelle für die Berufsschifffahrt (die wir wegen unserer Schiffslänge benützen dürfen) und ein kurzer Anleger für Kleinfahrzeuge – also, alles, was weniger als 20 Meter misst.
Zwischen hier und Wolfsburg liegen 13 Kilometer sowie die Schleusen Sülfeld mit Kammern von 190 Meter Länge und einem Hub von 9 Meter. Hier gibt es bei grossem Verkehrsaufkommen lange Wartezeiten. Wir kommen mit einem blauen Auge davon und können nach etwas über einer Stunde in eine Schleusenkammer einfahren.
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In Wolfsburg könnte man die Autostadt besuchen, also die Volkswagenwerke. Sehenswert wären hier vor allem die Räume, in welchen Abgasbetrugssoftware programmiert und illegale Kartellabsprachen gemacht wurden. Das wird indes nicht gezeigt, weshalb wir mit unserem Enkel zu dessen ungebremster Begeisterung das «phaeno» besuchen. Das «phaeno» ist ein gigantischer Technik-Experimentier- und -Erlebnisort, an welchem über 350 physikalische Phänomene erlebbar werden. Untergebracht ist das «phaeno» in einem von der letztes Jahr verstorbenen Stararchitektin Zaha Hadid entworfenen futuristischen Gebäude, das «The Guardian» eines der «zwölf bedeutendsten Bauwerke der Welt nannte».
Unser Enkel verbringt jedenfalls einen ganzen Tag im «phaeno». Am meisten faszinieren ihn die Kletterburg aus geometrischen Körpern und die unterschiedlichsten Kugelbahnen.
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Wolfsburg selbst ist eine Ansammlung architektonischer Todsünden und Grässlichkeiten, bevölkert von einem Viertel junger Schwarzafrikaner, einem Viertel Muslime, einem Viertel Hartz-IV-Empfänger sowie einem Viertel Angestellter der Volkswagenwerke im Kleiderlook von Mormonen-Missionaren, die am Morgen mit dem Zug an- und am Abend wieder abreisen. Douglas Murray beschreibt in seinem Buch „The Strange Death Of Europe“ den Untergang unserer Zivilisation, den wir zur Zeit miterleben. Irgendwie erscheint uns das plötzlich als realistisch. Das ist zugegebenermassen politisch nicht korrekt. Aber es ist der subjektive Eindruck, den wir mitgenommen haben. Andere Besucher haben sicher andere Eindrücke.
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Die Schiffs-Liegestelle Wolfsburg liegt direkt am Bahnhof Wolfsburg, das «phaeno» ist in Sichtweite, ebenso das riesige Outlet-Center mit Ladengeschäften aller bekannten und unbekannten Designerlabels. Von Wolfsburg fährt ein direkter ICE nach Interlaken-Ost und mit demselben verlassen uns Sohn, Schwiegertochter und Enkel nach einer Woche.
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In Wolfsburg selbst ist die Liegestelle mit Stromzapfsäulen ausgestattet, nicht aber mit einer Wasserzapfstelle. Eine solche gibt es an der 10 Kilometer entfernten Liegestelle Rühen, weshalb wir, nunmehr wieder zu zweit auf dem Schiff, dorthin dislozieren. Am Ostende der etwa einen Kilometer langen Liegestelle ist das griechisch-italienische Restaurant «Jorgos am Kanal». Dort haben wir auf der Terrasse gut gegessen – und es hat nicht geregnet! Her in der Nähe verlief bis zur Wende die Staatsgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem sozialistischen Arbeiter- und Bauernparadies, wovon noch ein still vor sich hin verfallendes Zollhäuschen zeugt.
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Aus dem Logbuch:
- Hannover. Yachthafen Hannover. Gastliegeplätze, davon ein langer an der Ostkade. Kostenpflichtig. Strom, Wasser, Dusche, Toiletten, Waschmaschine, Dieseltankstelle (meist günstiger als Arnemann in Lohnde!), Fäkalienabsaug-Anlage. «Schifftaurant» mit gepflegter Küche. Bus und Strassenbahn in der Nähe. Die üblichen Lebensmittelgeschäfte in näherer Umgebung. Am Samstag sehr schöner Markt mit Regionalprodukten am Moltkeplatz (vom Hafen aus mit Bus oder Fahrrad gut erreichbar) Falls Sie Ihre Feuerlöscher wieder mal prüfen lassen müssen: Sven Homeier (Mobil 0172-54 59 208) kommt zum Hafen und ist absolut seriös.
- Liegestelle Edesbüttel. Lange Kade für die Berufsschifffahrt mit einigen Stromzapfstellen(Wertkarte). Hinter der Böschung Freibad. Einkaufsmöglichkeiten sind uns nicht bekannt.
- Wolfsburg. Wolfsburg verfügt über einen Yachthafen an der Nordseite des Mittellandkanals sowie eine Schiffsliegestelle für Schiffe über 20 m an der Südseite des MLK beim Bahnhof (Direkte Züge nach Berlin, Amsterdam und Bern). Am Westende der Kade Liegeplätze für etwa drei Yachten. An der langen Kade Stromzapfstellen (Wertkarte). In Wolfsburg selbst alle Einkaufsmöglichkeiten. Gastronomisch können wir nichts empfehlen. Liebhaber von Döner-, Thai- und China-Fast-Food kommen hingegen voll auf ihre Rechnung.
- Rühen. Lange Liegestelle mit mehreren Stromsäulen (Wertkarte) und einer Wasserzapfstelle (Wertkarte). Am Ostende der Kade, beim Restaurant, Liegeplätze für Kleinfahrzeuge (ohne Stromsäule). Restaurant «Jorgos am Kanal» (Dienstags geschlossen). Wir haben dort gut gegessen.