Hamburg – Wittingen – Hannover – Altenrheine – Haren – Herbrum – Weener
(Elbe, Elbe-Seitenkanal, Mittellandkanal, Dortmund-Ems-Kanal, Ems; 527 Kilometer; 17 Schleusen, ein Hebewerk)
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Am 17. September geht unser Hamburg-Aufenthalt zu Ende. Partir c’est toujours mourir un peu, Weggehen ist immer ein bisschen Sterben, aber die Aussicht, wieder auf der Elbe fahren zu können, kompensiert den Abschiedsschmerz. Kommt hinzu, dass Wetter und Gezeitenkalender mitspielen. Der Wetterbericht meldet «heiter», und Niedrigwasser ist um 09:30 Uhr, was uns reichlich Zeit für die Vorbereitungen zum Auslaufen gibt. Elbphilharmonie und Hafencity sind in die goldene Morgensonne getaucht. Ein letzter Blick hinauf zur Elbphilharmonie, vorbei am Marco-Polo-Tower (von den Hamburgern «Döner» genannt) und dann sind wir auf der Norderelbe. Langsam setzt die Flut ein und wir nehmen Fahrt auf.
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Wiederum ist Christian als Schiffsführer für die Navigation zuständig, während dieses Mal Charlotte das Steuer übernimmt. Sie macht das ganz entspannt. Goldenes Herbstwetter, wenig Schiffsverkehr, die Flut, die uns nach Geesthacht hinauf trägt – was will man mehr?
Rund drei Stunden später melden wir uns über Funk bei der Schleuse Geesthacht an und können direkt einfahren.
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Weiter geht es elbeaufwärts am stillgelegten Kernkraftwerk Krümmel vorbei zum Elbe-Seitenkanal. Nach wenigen Kilometern kommt das Hebewerk Lüneburg-Scharnebeck in Sicht. Es ist für seine langen Wartezeiten berüchtigt, aber wiederum haben wir Glück, denn wir können mit den beiden nicht sehr langen Ausflugsschiffen «Herzog von Lauenburg» und «Aurora» in den 110 Meter langen Trog einfahren. Von der Galerie aus verfolgen Zuschauer, wie der Trog mit den drei Schiffen 37,5 Meter empor gehoben wird.
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Der Elbe-Seitenkanal ist eine von der Berufsschifffahrt viel befahrene Verbindung von Hamburg Richtung Berlin und Richtung Ruhrgebiet.
Wir begegnen einem vollgeladenen Containerschiff und laufen auf einen der zahlreichen langsamer fahrenden Schubverbände auf, die jeweils mehrere tausend Tonnen Kohle transportieren. Die Kohle wird in Hamburg geladen, wohin sie mit Kohlefrachtern (mit Schweröl betrieben) aus Australien gebracht wird. Sie ist für die Kohlekraftwerke entlang des Mittellandkanals und in Berlin bestimmt. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist für die Kohleindustrie ein Segen und wer hier einen energiewendeskeptischen Unterton heraushört, ist selber schuld.
Wir rufen den Schiffsführer des Schubverbandes per Funk auf und fragen ihn, ob wir an Backbord überholen können. Zuvor haben wir uns auf dem AIS vergewissert, dass kein Schiff entgegen kommt. «Bitte vorbeikommen!» tönt es mit starkem polnischen Akzent aus dem Funk und wir setzen zum Überholmanöver an. Es gibt dank Funk und AIS nichts Entspannteres als Überholmanöver auf solchen Kanälen.
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Nach einer Übernachtung an einer der grosszügig angelegten Liegestellen für die Berufsschifffahrt steuern wir am nächsten Tag den Sporthafen in Wittingen an. Hier übernachteten wir bereits auf der Hinfahrt und waren gut aufgehoben, zumal wir mit einem Traditionsschiff nur das halbe Liegegeld bezahlen müssen. Wir schalten hier einen Ruhetag ein, den wir für einen ausgiebigen Marsch benützen. Nach den langen Fahrtagen haben wir etwas Bewegung dringend nötig.
Solcherart frisch gestärkt, steuern wir am nächsten Tag Hannover an. Da wir die beiden Grossschleusen Uelzen und Anderten wiederum ohne Wartezeiten passieren können, schaffen wir die 109 Kilometer in nicht einmal zwölf Fahrstunden.
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Im Yachthafen Hannover, der ehemaligen Arminius-Werft, erwartet uns bereits Hafenmeister Lothar Brüssing an der Tankstelle. Nachdem wir Diesel gebunkert haben, legen wir uns an die Kade, vertäuen das Schiff und gönnen uns ein Nachtessen im «Schifftaurant», direkt beim Yachthafen. Wie bereits auf der Hinfahrt ist das Essen – frischer Wolfsbarsch – hervorragend.
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Für die restlichen 164 Kilometer des Mittellandkanals haben wir keine Schleuse mehr zu passieren, sodass wir die hundert Kilometer bis Bad Essen in nicht einmal zehn Stunden zurücklegen.
Seit unserer Abreise in Hamburg geniessen wir schönstes Herbstwetter als kleine Entschädigung für einen Sommer, der kein Sommer war.
Von unserer weiteren Reise auf dem Dortmund-Ems Kanal gibt es nicht viel zu berichten, es sei denn, dass wir die insgesamt zwölf Schleusen von Bevergern bis Herbrum ohne Wartezeiten passieren können.
Wir fahren meistens hinter einem Frachtschiff her, für welches die Schleusen zügig bedient werden. Die Schleusenkammern auf dem Dortmund-Ems Kanal sind durchwegs 160 Meter lang, so dass wir auch zusammen mit einem Frachtschiff von achtzig oder hundert Meter Länge bequem in die Kammer passen.
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Oberhalb der Schleuse Bollingerfähr, bei der Abzweigung des Küstenkanals, schliesst sich der Kreis unserer Reise nach Oldenburg, Bremen, Hannover, Lübeck und Hamburg. Hier bogen wir am 25. Mai, von Weener herkommend, Richtung Oldenburg ab.
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Die letzte Nacht verbringen wir oberhalb der Gezeitenschleuse Herbrum in einem Seitenarm der Ems am Gästesteg des Ems Yacht Clubs Lingen.
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Auf unserer Fahrt von Hamburg bis Herbrum haben wir, wie bereits beschrieben, kein einziges Mal vor einer Schleuse oder dem Hebewerk Lüneburg-Scharnebeck warten müssen. Jede Glückssträhne geht einmal zu Ende und unsere endet bei der Schleuse Herbrum, der Gezeitenschleuse zur Ems. Ab hier ist die Ems nicht mehr kanalisiert sondern Tidengewässer und Seeschifffahrtsstrasse (letzteres ab Papenburg). Hochwasser in Herbrum ist an diesem 25. September um 16:50 Uhr. Bis Weener sind es 22 Kilometer, bei ablaufendem Wasser rund eindreiviertel Stunden Fahrt, dann wären wir rund 18:30 Uhr in Weener vor der dortigen Schleuse – knapp vor dem Eindunkeln also. Um 15:00 Uhr kommt unser streckenkundiger Lotse Bernhard Kiessetz – unser Weeneraner «Standardlotse» – an Bord. Mit der Vorahnung auf die zu Ende gehende Glückssträhne laufen wir die Gezeitenschleuse in Herbrum bereits um 15:45 an – und warten in der Tat rund eindreiviertel Stunden, bis wir dann endlich geschleust werden. Punkt 17:30 laufen wir aus der Schleuse Herbrum aus, das wird knapp mit dem Tageslicht.
Langsam senkt sich die Dämmerung über das Emsland und die Sicht auf die Pricken und Tonnen, welche die Fahrrinne markieren, wird kritisch.
Um 18:45 Uhr Telefon an die Schleuse Weener, welche nur bis 19:00 Uhr dreht: Wir werden um 19:15 Uhr an der Schleuse sein. Schleusenwärter Frank wird uns noch schleusen. 19:10 Uhr sind wir auf der Höhe der Schleuse. Die Strömung ist mittlerweile kräftig geworden, um 180 Grad wenden auf dem Fluss in der starken Strömung etwas unterhalb der Schleuse, 158 DAF-Pferde legen sich in die Zügel und immer noch mit voller Kraft leicht schräggestellt gegen den Strom zurück, dann quer zur Strömung in den kurzen Vorhafen hinein, Gas zurück, die Schleuse steht offen, wir fahren ein. Schifffahren ist keine Hexerei, auch nicht mit einem Schiff von der Grösse des unsrigen. Aber dieses Manöver verträgt kein Zögern und kein Zaudern, ein Fehler wäre verhängnisvoll. Alles geht gut, das Adrenalin kann auf den Normalspiegel zurück, wir sind am Ziel. Ein Liegeplatz ist uns noch nicht zugewiesen, wir vertäuen an der grossen «Animo» unserer Freunde Catharina und Hilmar, machen uns über Käse und Kartoffeln her (für Schweizer: «Gschwellti mit Chäs»), dazu das verdiente Glas Rotwein und sinken dann müde und glücklich ins Bett.
Aus dem Logbuch:
- Hamburg. Sportboote pflegen im City Sporthafen neben den St. Pauli Landungsbrücken (beim Feuerschiff) zu liegen. Strom, Wasser und Sanitäranlagen. Wegen des ununterbrochenen Verkehrs von (zu) schnell fahrenden Hafenfähren und Rundfahrt-Barkassen ist der Sporthafen eine sehr (sehr!) schaukelige Angelegenheit. Eine ruhigere Ausweichmöglichkeit, aber etwas vom Stadtzentrum entfernt, sind die Yachthäfen in der Dove Elbe, einem Seitenarm der Norderelbe. Als Traditionsschiff konnte Kinette im Traditionsschiffhafen im Sandtorhafen liegen. Betrieben wird dieser Hafen von ehrenamtlichen Hafenmeistern der Stiftung Hamburg Maritim. Einkaufsmöglichkeiten sind Supermärkte in der Nähe der erwähnten Häfen. Alles Wissenswerte über Hamburg findet man in den einschlägigen Reiseführern. Wir haben besucht: Maritimes Museum (beinahe unübersehbare Sammlung von Tausenden wunderschöner Schiffsmodelle aus allen Epochen sowie von allem, was mit See und Seefahrt zu tun hat); Das Museumsschiff Cap San Diego an der Überseebrücke; Miniatur-Wunderland (die weltweit grösste Modelleisenbahn-Anlage im H0-Massstab mit naturgetreu nachgebauten Regionen samt Modelleisenbahnen, rollendem Strassenverkehr sowie startenden und landenden Flugzeugen); Ernst Barlach-Museum und Jenisch-Haus mit eindrücklichen, sehr schön kuratierten Ausstellungen; das Musical Aladdin im Stage Theater Neue Flora, stellvertretend für eines der zahlreichen in Hamburg aufgeführten Musicals. Gastrotipp: Die «Alt Helgoländer Fischerstube» am Fischmarkt 4a-c, erreichbar mit der Passagierfähre 62 Haltestelle Fischmarkt. Wir waren zweimal dort, beide Male war das Essen hervorragend und der Service sehr herzlich. Unbedingt reservieren!
- Wittingen. Yachthafen der Wittinger Sporthafengemeinschaft. Gästeliegeplätze mit Strom und Wasser. Grosszügige Sanitäranlagen. Waschmaschine und Trockner. Einfaches Restaurant. Kinderspielplatz. Wittingen selbst ist sechs Kilometer entfernt.
- Hannover. Yachthafen Hannover. Gastliegeplätze, davon ein langer an der Ostkade. Kostenpflichtig. Strom, Wasser, Dusche, Toiletten, Waschmaschine, Dieseltankstelle (meist günstiger als Arnemann in Lohnde!), Fäkalienabsaug-Anlage. «Schifftaurant» mit gepflegter Küche. Bus und Strassenbahn in der Nähe. Die üblichen Lebensmittelgeschäfte in näherer Umgebung. Am Samstag sehr schöner Markt mit Regionalprodukten am Moltkeplatz (vom Hafen aus mit Bus oder Fahrrad gut erreichbar) Falls Sie Ihre Feuerlöscher wieder mal prüfen lassen müssen: Sven Homeier (Mobil 0172-54 59 208) kommt zum Hafen und ist absolut seriös.
- Altenrheine. Kleiner Hafen im Oberwasser der dritten Schleuse des Dortmund-Ems-Kanals. «Nur für Kleinfahrzeuge». Da wir ausserhalb der Saison hier lagen, haben wir das grosszügig übersehen. Keine Einrichtungen. Die Stromzapfsäule ist ausser Betrieb.
- Haren. Endpunkt (resp. Beginn) des Haren-Rütenbrock-Kanals. Liegemöglichkeit entweder am 60 m langen Steg am li. Ufer vor Schleuse I (keine Einrichtungen, Liegegeld für unsere Länge € 16) oder im neuen Emspark-Yachthafen an der Ems. Im Liegegeld sind Strom (16 Ampère!) und Wasser inbegriffen. Moderner Yachthafen mit Waschmaschine, Tumbler und Dusche, aber kein WiFi. In Haren alle Einkaufsmöglichkeiten. Markt am Freitag. Sehenswert: Schifffahrtsmuseum. Gastro-Tip: «Steakhouse» beim Dom. Sehr gut besucht, unbedingt reservieren.
- Herbrum. Anleger des Ems Yachtclubs Lingen in einem Altarm der Ems bei DEK km 211. Strom und Wasser. Kostenpflichtig. Sehr ruhig und idyllisch. Hier sind schon Robben beobachtet worden, die vom Dollart her durch die Schleuse Herbrum «schleusten».
- Weener. Moderner Sportboothafen mit allen notwendigen Einrichtungen sowie Alter Hafen für Traditionsschiffe. Kostenpflichtig. Das Gebiet ist strukturarm und das merkt man dem Städtchen auch an. Dennoch sind alle Einkaufsmöglichkeiten vorhanden (Grosser EDEKA, Combi sowie Baumarkt Holz+Bau). Jeweils am Donnerstag Fischverkäufer vor dem EDEKA. Heimatmuseum, Orgelmuseum. Grosses Freibad (offen von Mitte April bis Mitte September) mit beheiztem Schwimmbecken, Riesenrutschbahn und Dampfsauna. Busverbindungen in alle Richtungen, Bahnverbindung nach Groningen. Einkaufstipp: Die in Gläsern nach Grossmutters Art eingemachten Fleischkonserven des Metzgers Leggedör.
Guten Abend Charlotte, guten Abend Christian,
Mann oh Mann, das war mal eine flotte Reise durch den Norden der Republik! Kaum schaut man einen Tag nicht nach der Kinette, ist sie auch schon vorbei gerauscht. Schade, hätte Euch gerne noch einmal gesprochen, aber ihr seid wahrscheinlich schon wieder in oder auf dem Weg in die Schweiz. Ich wünsche Euch eine gute Reise. Vielleicht sieht man sich im nächsten Jahr, wer weiß!
Mit den besten Grüßen aus Lübbecke
Monika, Maren und Hartmut Blase