Namur – Hasselt
(Maas, Maas-Waal-Kanal, Waal, Gelderse IJssel)
Wir legen um 14:00 Uhr in Namur ab und fahren maasabwärts – zu Tal – zur nur ein paar hundert Meter entfernten Schleuse «Grands-Malades». Sie heisst so, weil im 13. Jahrhundert ein Krankenhaus in der Nähe stand. Es hängt nicht damit zusammen, dass das Schleusenpersonal grundsätzlich nicht auf Funksprüche von Schiffen antwortet. Zumindest dann, wenn es sich nicht um Berufsschifffahrt handelt. In all den Jahren, in welchen wir diese Schleuse, ob zu Berg oder zu Tal, passiert haben, erhielten wir noch nie eine Antwort auf einen Funkaufruf. Vermutlich ist das Schleusenpersonal stumm oder weiss nicht, wo sich an seinem Funkgerät der Knopf für «Senden» befindet. Wir sehen das allerdings nicht so eng, denn nach kurzer Wartezeit öffnet sich das Schleusentor, einige Schiffe, die zu Berg geschleust wurden, fahren aus und wir erhalten grünes Licht für die Einfahrt. Mehr wollen wir ja gar nicht.
Die Fahrt auf der belgischen Maas bietet abwechslungsweise eine wundervolle Sicht auf eine von schroffen Felsen eingerahmte Flusslandschaft sowie auf riesige Gipswerke und Kernkraftwerke.
Es folgt die Schleuse Andenne-Seilles. Sie ist mit einer Schleusenkammer von 200 m Länge und 25 m Breite von imposanter Grösse. Die Schleuse steht offen, wir können ohne Wartezeit einfahren. Sie hat 5.35 m Hub, aber keine Schwimmpoller und die Poller in der Schleusenwand sind so weit auseinander, dass es nur für die Bugleine reicht, die man dann umhängen muss. Aber das geht beim Schleusen zu Tal ohne Probleme. Die nächste Schleuse, Ampsin-Neuville ist eine grosse Baustelle, wir müssen etwas warten, bis wir hinter dem Frachtschiff «Neuro» einfahren können. Kurz nach 19 Uhr können wir aus der Schleuse ausfahren und es wird Zeit, einen Liegeplatz für die Nacht zu suchen. Ich habe den etwa 50 m langen Quai von Amay im Visier, an welchem Charlotte und ich im Mai 2018 mit defektem Bugstrahlmotor lagen, als wir die «Independent» von Rotterdam nach Toul überführten (Bericht 150).
Aber ob dort so spät am Abend noch ein Liegeplatz frei ist? Wie der Quai in Sicht kommt, sehen wir, dass er durch eine Tjalk, nämlich die niederländische «Hardy» und eine Segelyacht belegt ist.
Wir nähern uns der «Hardy» in Schleichfahrt, das Eignerpaar kommt an Deck und ich frage sie höflich, ob wir für die Nacht längsseits liegen können. Das ist unter Schiffern eigentlich eine Selbstverständlichkeit, das sehen auch David und Lieke, das Eignerpaar, so und sind uns beim Vertäuen behilflich. Nach einem kurzen Klönschnack – so nennt man in Norddeutschland eine gemütliche Plauderei – sind wir bezüglich der jeweiligen Reiseziele aufdatiert.
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Nach einer ausgesprochen ruhigen Nacht neben der «Hardy» laufen wir früh am nächsten Morgen aus, denn die Meteo sagt Höchsttemperaturen bis 41 °Celsius voraus.
Mein Ziel ist Maastricht. Zeitlich und streckenmässig liegt das drin. Von unterwegs ruft Susanne die Hafenmeisterin des historischen Binnenhafens ’t Bassin in Maastricht an: Sie werde uns einen Liegeplatz reservieren. Damit ist das Ziel für den folgenden Tag vorgegeben.
Die Maas ist dort, wo nicht Industrie und Fabriken das Ufer säumen, sehr idyllisch.
Während der Fahrt klettert das Thermometer unaufhaltsam in Richtung der prognostizierten 41 °Celsius. Vor der belgisch-niederländischen Grenze verlassen wir die Maas und fahren ein längeres Stück auf dem Albertkanal. Alles ist im grünen Bereich, bis unvermittelt ein schriller Alarm losgeht: Feueralarm in Zone 1, dem Maschinenraum.
Das ist der Albtraum jeder Schiffsbesatzung.
Der Maschinenraum der «Tarahumara» wird von einer Kamera überwacht, deren Bild man auf den Bildschirm im Steuerhaus legen kann. Da ist kein Feuer sichtbar. Während der Alarm weiter durchdringend schrillt, übernehme ich das Steuer und Paul öffnet das Schott zum Maschinenraum. Offensichtlich handelt es sich um einen Fehlalarm. Die Ursache ist schnell gefunden: Der Sensor des Feueralarms im Maschinenraum ist direkt an einer Strebe des stählernen Achterdecks angebracht. Dort hatte der Voreigner sein Auto abgestellt, sodass der Stahl des Achterdecks beschattet war. Aber jetzt brennt die Sonne unbarmherzig darauf, das hat den Alarm ausgelöst. Somit wäre alles im grünen Bereich – wäre, wenn Paul wüsste, wie man den Feueralarm abstellt. Aber da ist nirgends ein Reset-Knopf oder dergleichen sichtbar. Während das nervtötende Schrillen anhält, legen wir am Ufer an – Neptun hat uns einen Quai beschert – und Paul macht sich auf die Suche nach einer Möglichkeit, den Alarm zu, Schweigen zu bringen. Die Suche bleibt ergebnislos. Schliesslich ruft er den Voreigner an, der glücklicherweise den Anruf entgegennimmt und Rat weiss.
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An der belgisch-niederländischen Grenze wartet der Schleusenkomplex von Lanaye (flämisch Lanaken) auf uns. Als Charlotte und ich 2005 erstmals von den Niederlanden nach Belgien fuhren, gab es drei Schleusen in Lanaye: Zwei «kleine» (55 m x 7.5 m) und eine grössere Schleuse (136 m x 16 m) für Schiffe bis 2’000 Tonnen. Die Schleusen haben einen Hub von 13.7 Metern und zumindest die «kleinen» Schleusen verfügten damals nicht über Schwimmpoller. Man musste die Taue also umhängen, was besonders beim Schleusen zu Berg heftig werden konnte, wenn der Schleusenwärter die Schützen alle miteinander öffnete und das Wasser in die Schleusenkammer schoss, so dass man sich in einer Waschmaschine wähnte.
Seither hat sich Einiges getan: Seit 2015 besteht der Schleusenkomplex aus vier Schleusen, alle mit Schwimmpollern ausgestattet. Die grösste Schleusenkammer misst 225 x 25 Meter und fasst Schiffe bis zu 9’000 Tonnen.
Wir melden uns über Funk an («Bâteau de plaisance de 24 m, avalant»), erhalten eine der «kleinen» Schleusenkammern zugewiesen, hängen die Taue an die Schwimmpoller und schleusen sozusagen im Schlafwagen 13.7 Meter hinunter.
Eine Zwischenbemerkung zum Schiffs-Handling: In einer Schleusenkammer liegt das Schiff längs der Schleusenwand. Hat das Schiff eine linksdrehende Schraube, geht man mit Vorteil an die Steuerbordwand, also rechts), bei einer rechtsdrehenden Schraube an die Backbord-Wand. Grund: Beim Abbremsen mit dem Rückwärtsgang «zieht» der Radlaufeffekt das Heck an die Schleusenwand.
Beim Ausfahren aus einer Schleuse ist man versucht, das Schiff mit dem Bugstrahlmotor von der Schleusenwand zu lösen. Ich rate davon ab, weil in Schleusen oft abgerissene Taue und Teile von Fendern herumschwimmen – Gift für Bug- und Heckschrauben.
Meine Methode, die ich auch Paul in dieser Schleuse zeige, ist folgende: Am Bug muss backbord und steuerbord ein Fender montiert sein, damit man – wenn alle Leinen los sind – beim Wegfahren im Standgas in die Schleusenwand hineindrehen kann (wie wenn man in eine Spring fahren würde), damit das Heck freikommt. Jetzt ein kurzer Schub im Rückwärtsgang, umsteuern und Kraft vorwärts. Durch den kurzen Schub rückwärts und das nachfolgende Umsteuern kommt ein Momentum ins Schiff, welches das Heck davon abhält, wieder Richtung Schleusenwand zu drehen.
Wir lassen die Schleusen von Lanaye hinter uns und sind in den Niederlanden, kurz vor Maastricht.
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Susanne hat die Hafenmeisterin des ’t Bassin etwa eine Viertelstunde vor unserer geschätzten Ankunft via Mobiltelefon (0031 653 960 349) angerufen, da diese zwei Schleusen zu bedienen hat.
Die Schleuse von der Maas in den Binnenhafen ’t Bassin (Schleuse Nr. 20) ist, fährt man sie von der Maas aus an, etwas versteckt, weil sie von einer Spundwand und einem kleinen Vorhafen verdeckt wird. In diesem Vorhafen warten wir etwa eine Viertelstunde, bis uns die Hafenmeisterin schleust. Eine feste Brücke führt über die Schleusenkammer, sie hat laut Angaben in den Büchern eine Durchfahrtshöhe von 3.6 Meter. Persönlich meine ich, zumindest beim aktuellen Wasserstand sei es eher weniger gewesen, jedenfalls habe ich Paul geraten, die Navigationslichter auf dem Steuerhausdach herunter zu holen.
Rein theoretisch stünde also einer entspannten Schleusung in den Maastrichter Binnenhafen nichts entgegen. Wie gesagt: Rein theoretisch. Wie sich die Schleusentore wieder öffnen, will Paul den Motor starten. Zwar dreht der Anlasser fröhlich, aber der Schiffsdiesel zündet nicht. Nach dem xten Versuch finden wir uns mit unserem Schicksal ab, dass wir die 80 Tonnen schwere Dame «Tarahumara» händisch aus der Schleuse schleppen resp. ziehen müssen. Weil Murphy’s Law immer und überall gilt, sind wir nämlich unter der Brücke, hat es keinen Zugang von der Schleuse her und können wir kein Tau an Land geben.
«Aller Anfang ist schwer» – dies gilt vor allem, bis man ein Schiff vom Gewicht der «Tarahumara» einmal in Bewegung gebracht hat. Hat die Masse einmal – wenn auch nur wenig – Fahrt aufgenommen, ist es nur noch halb so schlimm. Wie der Bug unter der Brücke durch ist, können wir der Hafenmeisterin ein Tau geben und sie ist sich nicht zu schade, kräftig anzupacken.
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Paul vermutet, dass sich in der Dieselzufuhr hitzebedingt Luftbläschen gebildet haben – was ja bei 41 °C im nicht vorhandenen Schatten nicht verwunderlich wäre – und dass vorerst einmal Abwarten angesagt sei. Das erweist sich als weise, denn nach einem gediegenen Nachtessen in einem der Restaurants am Hafen lässt sich der Motor ohne die geringsten Probleme starten.
Das ist auch am nächsten Morgen noch so, wir laufen mit der ersten Schleusung morgens um 09:00 Uhr aus und fahren weiter auf der Maas zu Tal. Erste Schleuse ist die Doppelschleuse von Born. Langer und guter Wartesteg für die Pleziervaart, nummerierte Schwimmpoller, was bei über 11 Meter Hub komfortabel ist. Oberhalb der Schleuse Maasbracht geht um 13:00 Uhr wieder der Feueralarm los, obwohl Paul den Lukendeckel zum Maschinenraum geöffnet hat. Das lüftet zwar den Maschinenraum, auf den am falschen Ort angebrachten Hitzesensor hat es indessen keinen Einfluss. Aber seit gestern weiss Paul glücklicherweise, wie er diese nervige Sirene zum Schweigen bringen kann.
Wir kommen auf der niederländischen Maas zügig voran, zwischen den einzelnen Schleusen liegen jeweils mehrere Stunden Fahrt. Die Schleuse Maasbracht hat ebenfalls Schwimmpoller, nummeriert wie in der Schleuse Born. Die folgenden Schleuse Heel verfügen ebenfalls über Schwimmpoller, sie sind aber nicht nummeriert und – Vorsicht! – jeweils ein Schwimmpoller ist hoch (für leere Berufsschiffe), der nächste ist tief (für geladene Berufsschiffe).
Nach Roermond wird die Maas zum Strom. Gegen 17:30 Uhr kommen wir im Oberwasser der Schleuse Belfeld an und ich frage auch hier den Schleusenwärter über Funk, ob wir am Wartesteg übernachten können. Das war nie ein Problem und ist auch hier keines, er wünscht uns sogar eine ruhige Nacht.
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Die nächste Tagesetappe wird uns in die Gegend um Arnhem/Nijmegen führen. Dort sind Liegeplätze rar, die für ein Schiff über zwanzig Meter in Frage kommenden Sportboothäfen sind ausnahmslos ausgebucht. Es ist Ferienzeit und es geht aufs Wochenende zu. Vielleicht werden wir irgendwo vor Anker gehen müssen. Die Schleuse Sambeek, die wir an diesem Morgen passieren, hat, wie übrigens Belfeld auch, keine Schwimmpoller. Das ist aber bei einem Hub von lediglich 3.25 Meter auch nicht tragisch. In der zweiten Hälfte des Nachmittags biegen wir in den Kanal ein, der die Maas mit dem Waal, einem Rheinarm, verbindet und fahren Richtung Nijmegen. Das Schutztor am Eingang des Kanals ist offen, die Durchfahrt steht auf Doppelgrün, ebenso die offenstehende Schleuse Heumen neben dem Schutztor. An der Oberseite des Schutztors befindet sich am linken Ufer ein mit «Sport» angeschriebener Steg, der auf keiner Karte vermerkt ist. Hier könnte man auch liegen. Wir fahren aber bis zum Ende des Maas-Waal-Kanals bis ins Oberwasser Schleuse Weurt. Es ist eine Doppelschleuse, zwischen den beiden Kammern ist ein mit «Sport» angeschriebener Steg, wo wir ruhig und sicher – mit ausdrücklicher Zustimmung des Schleusenwärters! – liegen können.
Die gute Nachricht ist, dass wir einen Liegeplatz für die Nacht haben, die schlechte Nachricht, dass der Generator nicht startet. Aus irgend einem Grund ist der Startakku leer, er hat nur noch 11.66 Volt. Paul lädt ihn mit dem Ladegerät, das funktioniert auch, aber die Frage bleibt, warum der Akku leer war. Hat der Akku das Ende seines Lebenszyklus erreicht oder lädt der Alternator des Generators nicht?
Ich rufe den in all meinen Jahren auf dem Wasser zum Freund gewordenen Schiffselektriker Daniël Heuvelman aus Meerkerk an, der uns schon in Beez (Belgien) aus der Patsche geholfen hatte und damals am Pfingstsonntag(!) einen fabrikneuen Ersatz montierte, als die Bugschraube der «Independent» defekt war. Er lässt sich die Situation schildern und schlägt eine Messung vor. Paul lädt den Startakku mit einem mobilen Ladegerät auf 12.6 Volt, startet den Generator und der Akku fällt auf 8.6 Volt hinunter. Der Fall ist klar. Daniël wird am nächsten Morgen mit einem neuen Startakku an Bord kommen.
Das bedeutet einen unfreiwilligen Ruhetag im Oberwasser der Schleuse Weurt. Daniël Heuvelman erscheint pünktlich um 10 Uhr und baut den neuen Akku ein. Weil wir nach der Schleuse Weurt auf dem Waal, also dem niederländischen Rhein und nachher auf der Gelderse IJssel fahren werden – beides Fliessgewässer mit flotter Strömung – empfehle ich Paul, zusammen mit Daniël die Hydraulik von Bug- und Heckanker zu prüfen. Der Voreigner hatte in Saint-Quentin auf meine entsprechende Frage geantwortet, er habe die beiden Anker überhaupt nie gebraucht. Bei unserer Kontrolle funktioniert der Heckanker problemlos – das ist im Notfall der Anker, auf den es ankommt. Beim Buganker funktioniert die Hydraulik nicht, aber die Ankerkette rauscht beim Lösen der Bremse aus und einholen lässt sich die Ankerkette von Hand.
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Am nächsten Morgen ist 05:15 Uhr Tagwache. Eine Tasse Tee und dann schleusen wir in den Vorhafen der Schleuse Weurt, der auf den Rhein hinaus führt. Ich melde uns bei der Verkehrsleitzentrale Sector Nijmegen an – das ist für Schiffe über 20 Meter Vorschrift – und gebe durch, dass wir auf den Rhein hinaus und dann zu Berg fahren wollen. «Tarahumara, in 300 und 600 m Entfernung kommen zwei Frachtschiffe zu Berg, nachher haben Sie freie Fahrt» ist die Auskunft und auf entsprechende Frage sagt der Verkehrsleiter, dass die Gegenströmung zur Zeit ungefähr 3.5 km/h betrage. Wir werden also für die 21 Kilometer bis zur Einmündung in den Pannerdensch Kanaal bei einer Eigengeschwindigkeit von rund 10 km/h – mehr macht wegen des exponentiell steigenden Dieselverbrauchs keinen Sinn – etwas über drei Stunden Fahrt zu Berg benötigen.
Die Rechnung geht auf und nach etwas über drei Stunden biegen wir in den Pannerdensch Kanaal ein. Von jetzt an fahren wir mit der Strömung zu Tal.
Eine Tafel am Ufer «niet vrijvarende veerpont» kündigt die Pannerdensche Kettenfähre an. Ich erkläre Paul, was das für uns bedeutet. Wenn die Fähre noch nicht losgefahren ist, muss man auf die Barrieren achten. Sind die Schlagbäume noch oben, bleibt sie liegen. Sind die Schlagbäume gesenkt und macht die Fähre eine leichte Tauchbewegung, so legt sie ab und man muss hinter dem Ankerfloss durchfahren. An diesem Ankerfloss ist nämlich die Kette befestigt ist, an welcher die Fähre mit Hilfe der Strömung übersetzt.
Dieses Ankerfloss muss man auf der Seite passieren, von der aus die Fähre weggefahren ist.
Gerät man nämlich zwischen Ankerfloss und Fähre, hat man wegen der Kette ein gröberes Problem, vor allem, wenn man mit der Strömung zu Tal fährt. Man sitzt dann buchstäblich in der Falle.
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Wie wir diese Fähre ohne Zwischenfall passiert haben, folgt bereits die nächste Lektion: Ein stromaufwärts, also zu Berg fahrendes Frachtschiff zeigt uns die sogenannte «Blaue Tafel» und darin ein weisses Blinklicht. Damit zeigt der entgegenkommende Schiffsführer an, dass er Linksverkehr verlangt, also Steuerbord auf Steuerbord kreuzen will.
Das quittiert man, indem man ebenfalls die – für Schiffe über zwanzig Meter (auch für Sportboote!) vorgeschriebene – Blaue Tafel zeigt. Stromaufwärts fahrende Schiffe benützen nämlich bei Flussbiegungen wegen der dort geringeren Gegenströmung die «Innenbahn». In Fliessgewässern mit regem Fähren- und Berufsverkehr zu fahren, verlangt also Aufmerksamkeit und Konzentration.
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Dank der flotten Strömung sind wir bereits um 13:00 Uhr in Doesburg. Weiter zu fahren, macht für heute keinen Sinn, denn stromabwärts gibt es bis Zwolle keinen geeigneten Hafen mehr, den wir zu einer Zeit erreichen könnten, in der der wir noch mit einem freien Liegeplatz rechnen können.
Mittlerweile hat Paul die «Tarahumara» schon ordentlich im Griff. Sein Wende- und Anlegemanöver im Hafen ist jedenfalls tadellos. Es ist Samstag, unser Ziel ist eine Werft in Hasselt, wo die «Tarahumara» bis Oktober liegen bleibt, denn die Ferien von Paul und Susanne sind bald zu Ende. Am Sonntag wird niemand auf der Werft sein, also verbringen wir das Wochenende in der alten Hansestadt Doesburg.
In Doesburg befindet sich das Lalique-Museum. René Lalique (1860–1945) war einer der bekanntesten Glas- und Schmuckkünstler des art déco, der französischen Ausprägung des Jugendstils.
Für Schmuck und Vasen von René Lalique werden heute Höchstpreise bezahlt und die Sammlung im Museum in Doesburg ist in ihrer Reichhaltigkeit schlicht atemberaubend. Ich geniesse diesen Ruhetag auch wegen dieses kulturellen Höhepunktes in vollen Zügen.
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Am Montag laufen wir sehr früh aus. Das Ablegemanöver wird nicht ganz einfach werden. Hinter uns liegt ein Plattbodenschiff bis über das Heck der «Tarahumara», vor uns drei Yachten hintereinander an einem quer zu uns liegenden Steg. Ich bespreche mit Paul und Susanne das Ablegemanöver und den Einsatz von Bug- und Heckschraube. Nach diesem Briefing legen wir ohne Komplikationen ab, tuckern aus dem Hafen hinaus und dann gehts auf der IJssel stromabwärts. Die aufgehende Sonne fährt hinter den Büschen sozusagen mit – ein wunderschöner Anblick.
Die Geldersche IJssel ist schleusenfrei, die Strömung trägt uns zu Tal und wir sind bereits um 13:00 Uhr in Zwolle. Dort können wir nach kurzer Wartezeit zusammen mit mehreren Yachten in die Spoolder-Schleuse einfahren, zwei Stunden später laufen wir in die Werft bei Hasselt ein.
Nach rund 800 Kilometern und 61 Schleusen sind wir am Ziel. Für Paul und Susanne war diese Reise durch drei Länder ein Intensivkurs, in dem alles geboten wurde: Kleine Freycinet-Schleusen und -Kanäle, Tunnels, grosse Kanäle mit Berufsverkehr und entsprechenden Schleusen, ein Schiffslift, die Maas als grosser Strom, der Rhein mit viel Berufsschifffahrt, die schnell strömende IJssel mit Kettenfähren und Steuerbord-Steuerbord-Kreuzen sowie viele An- und Ablege- und Hafenmanöver. Ich bin froh, dass diese Reise unfallfrei verlaufen ist. Das ist bei (Gross-)Schiffsungewohnten nicht ganz selbstverständlich, denn die Unfallgefahr auf einem 80-Tonnen-Schiff darf man nicht unterschätzen – ein Tau, in welchem man sich verfängt, ein Poller, über den man stolpert. Aber es ist nichts passiert und Schiff mit Mannschaft sind heil am Ziel angekommen. Ich blicke mit einem guten Gefühl auf diese Reise zurück, nicht zuletzt, weil Paul und Susanne nicht nur sehr schnell gelernt haben, sondern weil sie auch ausgesprochen nette Gastgeber waren. Fast ein bisschen schade, sind Paul und Susanne von jetzt an in der Lage, ohne mich weiter zu fahren…
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Aus dem Logbuch:
- Maastricht: Historischer Binnenhafen ‚t Bassin am linken Maasufer. Durch eine kleine Schleuse erreichbar. Wahrschau: Die Schleuse liegt unter einer nicht mehr bedienten Brücke, Durchfahrtshöhe je nach Wasserstand plusminus 3.6 m. Im Hafen selbst Fingerpontons für Yachten und ein Quai für grössere Schiffe. Das Serviceangebot des Hafens umfasst Strom (€ 0,50 je kWh), Duschen/WC (gratis). Es gibt Frischwasser in Brückennähe und schöne Restaurants direkt links und rechts nebenan. Der Hafen und dessen Anlagen wurden in den letzten Jahren ausgebaut. Das Wasch- und Sanitärgebäude wurde renoviert. Das Bassin nutzt die Betaalkaart (Bezahlkarte), die man am Automaten erwirbt und dort auch auflädt. Mit Hilfe der Chipkarte bezahlt man seinen Liegeplatz an einem Bezahlautomaten, der neben dem Waschhaus aufgestellt ist. Der Automat stellt eine Quittung aus, die man sichtbar in das Boot legt. Diese öffnet zudem die Türen des Waschgebäudes (www.bootssaison.de). Maastricht selbst ist einen längeren Aufenthalt wert. Restaurants direkt am Hafen. Schiffszubehör im Bunkerboot Nautica Jansen. Maastricht hat alle Einkaufsmöglichkeiten und zahlreiche Sehenswürdigkeiten. Weitere Liegemöglichkeiten in Yachthäfen. Eine nicht so zentrale Liegemöglichkeit ist an der Brückenkade. Keine Einrichtungen, dafür gratis.
- Doesburg: Komfortabler und ruhiger Sportboothafen am linken Ufer der Gelderschen IJssel. Finger- und Längspontons. Sanitärgebäude, Fäkalienabpumpstation, Strom und Wasser. Doesburg nutzt ebenfalls eine Betaalkaart. Liegegebühr € 1.35 pro Meter und Nacht, Strom € 1 für 2 kWh, Trinkwasser € 0.50 für 100 Liter, Dusche € 0.18 pro Minute. In Doesburg selbst gute Einkaufsmöglichkeiten (Supermärkte von Coop und Albert Heijn), Bars und Restaurants, zahlreiche Boutiquen und Ladengeschäfte. Banken, Ärzte.
Gratulation zu dieser gelungenen ‚Ausbildungsfahrt‘